Bei Illner ging es in ihrer letzten Sendung um Ramstein – allerdings nicht die Band, sondern die Militärbasis, in der aktuell Nato-Übungen abgehalten wurden. Wäre ja auch nahezu absurd bei Illner ein Thema zu besprechen, dass die Leute interessiert. Aber auch dieses Ramstein stand nicht im Fokus der Sendung. Die Leitfrage lautete: „Schwierige Offensive – Putins Stärke unterschätzt?“ In dieser Sendung stimmt Maybrit Illner völlig neue Töne an, die nichts Gutes verheißen können. Was ist, wenn die Ukraine verliert?, fragt sie ihre Gäste – nachdem die in den vergangenen Sendungen immer an dem „Sieg der Ukraine um jeden Preis“-Standpunkt fest hielten.
Putin hat jüngst in einer Pressekonferenz provoziert: Die deutschen Leoparden brennen mit am besten, sei die Erfahrung seiner Truppe inzwischen. Zynische Propaganda ist in Kriegen nichts Neues – doch im gut behüteten Deutschland hat das jetzt eine interessante Unterhaltung ausgelöst. So kommt es, dass der Jurist und Diplomat Wolfang Ischinger diesen Donnerstag bei Illner klarstellen muss: „Es ist natürlich nicht so, dass ein deutscher Leopard, nur weil es ein deutscher Leopard ist, unverwundbar ist“, weiter erklärt er: „Und wenn das Prinzip richtig ist, dass eine solche Offensive so geführt werden muss, dass du mit drei zu eins stärkeren Kräften angreifen musst, um so einen Verteidiger in die Knie zu zwingen, dann heißt das auf Deutsch umgerechnet, man rechnete eigene Verluste ein. Sonst müsste man nicht mit erheblich größeren Mitteln und Waffen und Panzern eindringen.“ Krieg bedeutet zerstörtes Material und geopferte Menschenleben. Eigentlich klar, doch hierzulande noch nicht so ganz angekommen. Vielleicht beobachten gerade deshalb so viele diesen Krieg mit der gleichen Faszination, wie sie ein Fußballspiel verfolgen – in den Farben ihres Lieblingsteams. Beim Fußball stehen die gefallenen Männer allerdings meistens wieder auf – meist weil sie eh die Schwalbe machen. Im Krieg ist das anders.
Ansonsten zu Gast waren der SPD-Parteivorsitzende Lars Klingbeil, der CDU-Militärexperte und Oberst a.D. Roderich Kiesewetter, der Vorsitzende des Bundeswehr-Verbandes Andrè Wüstner und Nicole Dettelhof. Letztere dürfte treuen Illner-Zuschauern inzwischen sehr vertraut sein, schließlich dürfte sie inzwischen Karl Lauterbach den Thron als Talkshow-König streitig machen. Wer sich die Sendung erspart und stattdessen auf die Lektüre unserer Rezension verlässt, muss sie nicht unbedingt kennen – bei mir kommt sie jedenfalls mangels Relevanz eher kurz. Auf der Website der Illner-Sendung hat man dieses Problem wohl auch schon gesehen, allerdings aber beschlossen, es genau gegensätzlich anzugehen. Während bei Lars Klingbeil beispielsweise die Beschreibung „Parteivorsitzender“ ausreichen muss, steht bei ihr: „Professorin für Internationale Beziehungen und Theorien globaler Ordnungspolitik an der Goethe-Universität Frankfurt am Main, Direktorin des Leibnitz-Instituts der Hessischen Stiftung Friedens- und Konfliktforschung“. Lesen Sie daraus gerne, was auch immer Sie wollen.
Lars Klingbeil dagegen hat mich dieses Mal wirklich beeindruckt – ein genialer Politiker. Damit meine ich nicht seine Fähigkeiten bezüglich der Hauptkompetenzen eines Politikers wie inhaltliche Stärke oder sowas. Da würde ich ihm schon alleine deshalb einen Abzug in der B-Note geben, weil die Positionen, die er vertreten hat, alle schon zig Mal alleine in diesem Sendeformat so breitgetreten wurden. Vielmehr spiele ich auf das einmalige Talent Klingbeils an, aus einer Talkshow einen Fototermin im Kinderkrankenhaus zu machen. Nicht, dass er seine Gegner so zerstört hat, dass sie wie verwundete Kinder wirkten – in der Talkshow wurde ja ohnehin nur eine Meinung vertreten. Es geht mir um die größte Waffe, die ein Politiker in der Schlacht um gute PR nur ziehen kann. Diese Fotos, die nicht an unsereins gerichtet sind, sondern an Oma Siglinde, die Bunte-Leserinnen dieser Welt. Sie sind es, die aus ihrem Sofa mit selbstgehäkelten Spitzendeckchen gerüttelt werden sollen, ran an die Wahlurnen, um Lars Klingbeil ihre Stimme zu schenken. Wenn sie ihn nach diesem Auftritt in die Finger kriegen könnten, würden sie ihm wohl liebevoll in die Wange kneifen oder gleich einen großen Schmatzer drauf drücken.
Maybrit Illner hat dabei aber auch Anerkennung verdient, denn sie bot ihm die perfekte Vorlage: „für Militärs sind Verluste – von Menschen, von Material – etwas quasi normales. Für Zivilisten, und Politiker sind in der Regel Zivilisten, eher nicht. Die Vorstellungen von dieser Offensive, Herr Klingbeil, wie sehr hatten Sie die oder sind Sie jetzt auch überrascht, erschrocken, ergriffen?“ Lars holt tief Luft und schaut gekonnt nach unten, dann beginnt er zögerlich: „Vielleicht zur Einordnung: Ich komme ja aus einer Soldatenfamilie, insofern ist grad in den letzten Jahren, natürlich auch hier in Deutschland, bei Auslandseinsätzen in meiner Heimatstadt in Munster in einer Soldatenfamilie die Auseinandersetzung damit immer schon sehr da gewesen.“ In einem Satz hat Klingbeil es geschafft, zweimal das Wort „Soldatenfamilie“ zu erwähnen und dann auch noch (völlig grundlos aber nicht zwecklos) seine Heimatstadt namentlich zu erwähnen. Sein Kampagnenchef saß hinter der Kamera sicher mit einem Bingozettel und machte die Reihe seines Lebens. Er kann auch stolz auf seinen Lars sein, denn auch im Verlauf der Sendung schafft er es immer wieder, seine Heimatstadt, das schöne Munster, immer wieder zu erwähnen. Man kann den Regionalwahlkampf förmlich riechen.
Gleichzeitig gibt er in Sachen Mimik und Gestik alles, was er hat. Dackelblick von unten nach oben, niedergeschlagene Haltung, ruhige Stimmung. Sofort hat man den kleinen Lars vor Augen – alleine zu Hause, wartend auf seinen Papa, der gerade bereit ist, sich für sein Land zu opfern. Was Sie von Lars Klingbeil nach dieser Sendung mitgenommen haben sollten, ist folgendes: Er hatte eine ernste Kindheit als Sohn einer Soldatenfamilie, er ist aufopferungsvoll, hat schon viel durchgemacht, hat einen Dackelblick zum Dahinschmelzen, ist sehr heimatverbunden (kommt aus Munster!) und bestimmt mag er auch Tiere und Kinder. Erzählen Sie das den Bunte-Leserinnen Ihres Vertrauens bitte bei nächster Gelegenheit und mit Nachdruck. Der Lars ist doch so ein Lieber, der muss einfach ein guter Politiker sein.
Neben Klingbeil, dem Sohn eines Berufssoldaten, der selbst aber den Wehrdienst verweigert hat, sahen die tatsächlichen Militärs der Runde aus wie Zivilisten. Und das obwohl DBwV-Vorsitzender Andrè Wüstner sogar in Uniform aufgeschlagen ist. Der hat nebenbei bemerkt noch einen wichtigen Punkt angesprochen: Der neue Verteidigungsminister Pistorius hat um 10 Milliarden Euro mehr für den Haushalt der Bundeswehr gebeten – denn nach aktuellem Stand wäre Deutschland nicht verteidigungsfähig. Das ist ein Thema, das wir hier schon seit Jahren angesprochen und kritisiert haben – das aber erst durch einen Krieg in den „Mainstream“ getragen wird. Deutschland hat die letzten Jahre abgerüstet, als würden wir im Schlaraffenland leben. Diese ganze Zeit über saß Putin nebenan und diese ganze Zeit über lief der Ukraine-Russland-Konflikt bereits. Nur mal so nebenbei bemerkt. Denn dieses übermäßige Interesse an diesem Krieg ist von unserer Seite aus meiner Meinung nach einfach heuchlerisch. Jahre hat es uns nicht interessiert, nein, wir haben sogar noch unsere Energieproduktion von den Russen abhängig gemacht. Jetzt ist es im Trend und wir sind groß dabei. Doch dann wird plötzlich klar: Ups – wir haben ja die ganzen letzten Jahre auf Pazifisten gemacht, aber die Bundeswehr ist doch zu was gut.
Sie kann sogar in Sachen Politik nützlich sein, wie sich herausstellt. Wenn der Krieg noch lange dauert, könnte er bis in die Präsidentschaftswahlen in den USA hinein reichen. Gott bewahre, dann käme ein Donald Trump an die Macht – die Welt würde explodieren. Wolfgang Ischinger erzählt, aus Erfahrung als Diplomat in den USA, dass jemand wie Trump oder er selbst damit Stimmung machen könnte, dass Amerika weitaus mehr für die Ukraine tut als wir. Während Deutschland sich darauf gewissermaßen ausruht. Jetzt geht es im Ukraine-Krieg also auch noch darum, Trump zu verhindern. Nur als Kontext: Trump hat Nord Stream 2 verhindern wollen und hat uns vor der Abhängigkeit vor Russland gewarnt. Trotzdem schaffen es die Medien, ihn zum Putin-Freund zu machen, während wir die heiligen Freunde der Ukraine sind. Dabei ist doch die Tatsache ganz klar: Wäre nicht Sleepy Joe, sondern Donald Trump noch an der Macht und damit auch am Atomknopf, dann würde sich Putin Sorgen um Atomkriege machen – nicht Illner in ihrer Sendung jeden Donnerstag. Wahrscheinlich hätte es diesen offenen Krieg dann nie gegeben.