Tichys Einblick
23. Grand Slam Titel

Novak Djokovic: Unbequem, unbeugsam, unübertroffen

Noch vor einem Jahr war Novak Djokovic als Ungeimpfter ein Ausgestoßener in Teilen des Tenniszirkus, bereit, den Erfolg für seine Prinzipien zu opfern. Nun kürte er sich mit seinem Sieg bei den French Open zum erfolgreichsten Tennisspieler aller Zeiten.

IMAGO/Panoramic

Es lässt sich viel Kritisches über den Sport als Massenphänomen sagen. „Brot und Spiele“ ist eine häufig vernommene Kritik, die auf die spätkulturelle Ablenkung durch den Sport hinweist und ihre Berechtigung hat. Doch das nimmt nicht weg, dass der Sport auch imstande ist, große Geschichten zu erzählen. Genau darin liegt seine Faszination.

Es gibt viele Geschichten im Sport, die aus der Feder der besten Drehbuchautoren stammen könnten. Eine der bewegtesten dieser Geschichten erreichte gestern Abend ihren vorläufigen, triumphalen Abschluss, als um knapp halb 7 Uhr abends Novak Djokovic den Matchball im Finale von Roland Garros verwandelte und sich zum alleinigen Rekordhalter mit 23 Grand-Slam-Siegen kürte. Der Djoker hatte sein Ziel erreicht, unzähligen Widerständen zum Trotz. Was nun folgt, ist Kür.

Novak Djokovic hatte das Pech, die internationale Tennisbühne zu einem Zeitpunkt zu betreten, in dem Roger Federer und Rafael Nadal bereits den Sport dominierten. Auch die Medien hatten Federer und Nadal als ungleiches Paar im Duell um den Tennisthron zum vorherrschenden Narrativ erklärt. Der elegante Schweizer Federer gegen die mallorquinische Kampfmaschine Nadal – es war die Geschichte, die den Tennissport auf Jahre prägen sollte. Djokovic war das dritte Rad am Wagen. Ein unglaublich guter Tennisspieler, aber von Natur aus weniger einnehmend als Federer und Nadal, die beide neben ihrer sportlichen Exzellenz nicht zuletzt auch die weiblichen Zuschauer mit ihrem Aussehen in den Bann zogen.

Während Federer ein Tennisästhet war, gilt Nadal bis heute als Vollendung des spanischen Sandplatzkämpfers und Konditionswunders. Djokovic, hingegen, bekam den Spitznamen Djoker und machte sich mit seinen psychologischen Mätzchen im Spiel nicht nur Freunde. Djokovic tat alles, um sich ins und die Gegner aus dem Spiel zu bringen. Mal humpelte er, wenn es gerade nicht für ihn lief, nur um danach aus dem Nichts aufzudrehen und sich das Momentum zurückzuholen, dann wieder lieferte er sich scheinbar frustrierte Wortgefechte mit Schiedsrichtern, Betreuern und sogar sich selbst, andere Male musste er wegen scheinbarer Verletzungen mehrere Behandlungspausen einlegen … doch immer wieder endeten diese scheinbar verloren geglaubten Matches plötzlich mit Djokovic als Sieger. Während Federer und Nadal als von Gott begnadete Talente erschienen, wirkte Djokovic wie ein unbeugsamer Straßenkämpfer vom Balkan.

Bewundert, aber nicht geliebt

Djokovic selbst haderte mit seinem Schicksal. Selbst zu einem Zeitpunkt, als er Federer und Nadal an der Spitze der Weltrangliste abgelöst hatte, konnte er es in Popularität lange Zeit nicht mit den Beiden aufnehmen. Er wollte vom Publikum geliebt werden, doch dieses bevorzugte lange Zeit noch seine alten Lieblinge. Djokovic beteiligte sich an zahllosen wohltätigen Aktivitäten in seinem Heimatland Serbien und darüber hinaus, doch wie viel er auch tat, stand er am Platz mit Rafael Nadal oder Roger Federer, gab es kaum ein Stadion, das nicht seinen Gegnern zujubelte.

Aber dann kam Corona und alles wurde anders. Bereits im Juni 2020 gab es erste Aufregung um den Serben, da Djokovic als Veranstalter der Adria Tour auftrat. Während die ATP-Tour aufgrund der Corona-Pandemie pausierte, organisierte Djokovic vier Turniere, die sich zwar großer Popularität bei Spielern und Publikum erfreuten, bei der sich aber nachweislich Menschen (u.a. er selbst) mit dem Corona-Virus infizierten. Djokovic geriet ins Kreuzfeuer der Kritik und dem Serben wurde vorgeworfen, das Virus nicht ernst zu nehmen.

Als im Herbst 2020 die ATP-Saison fortgesetzt wurde, kam es bei den US Open zum Eklat. Als einer der Turnierfavoriten wurde er im Achtelfinale disqualifiziert, als er frustriert einen Ball wegschlug, der eine Linienrichterin traf. Dies wurde ihm als Absicht ausgelegt, wenngleich vergleichbare Vorfälle anderer Spieler zuvor und danach nicht zwingend mit einer Disqualifikation endeten. Bereits vor dem Jahr 2020 liebte nicht jedermann Djokovic, aber spätestens mit der Adria Tour und dem Vorfall bei den US Open wurde er für einige endgültig zur persona non grata.

Wenn Prinzipien wichtiger sind als Erfolg

Doch im Jahr 2022 kulminierten die Spannungen endgültig. Da Djokovic nicht geimpft war, beschlossen die australischen Behörden, ihm die Einreise zu verweigern. Eine der Begründungen lautete, dass ein potentielles Vorbild wie Novak Djokovic der beeinflussbaren Jugend ein schlechtes Beispiel geben könnte. Das wollte das berüchtigte Impfregime in Australien nicht zulassen, man befürchtete sogar, dass die Anwesenheit von Djokovic Proteste gegen die Corona-Maßnahmen auslösen könnte. Djokovic, der mit einem Sieg bei den Australian Open (die er zum damaligen Zeitpunkt bereits 9-mal gewonnen hatte) bereits alleiniger Rekordhalter an Grand-Slam-Titeln hätte werden können, musste unverrichteter Dinge wieder aus seinem „Wohnzimmer“ abziehen. In seiner Abwesenheit gewann Rafael Nadal seinen 21. Grand-Slam-Titel und setzte sich stattdessen an die Spitze als alleiniger Rekordhalter.

Anfang 2022 befand sich die Welt am Höhepunkt der Ausgrenzung durch Impf-Regularien. Der ungeimpfte Djokovic wurde in dieser Atmosphäre zum Symbol des Widerstands gegen die Gesundheitspolitik des Zwangs. In einem Interview mit der BBC wurde Djokovic damals gefragt, ob er bereit sei, die Gelegenheit, der statistisch erfolgreichste Tennisspieler aller Zeiten zu werden, für seine Überzeugung, ungeimpft zu bleiben, opfern würde. Djokovic bejahte. Der Straßenkämpfer, der in seiner Karriere alles getan hatte, um der Beste seines Fachs zu werden, blieb standhaft und bewies, dass es für ihn wichtigere Dinge gab. Er war bereit aufzugeben, von dem alle Welt wusste, wie wichtig es ihm war. Djokovic war immer ein Getriebener, doch entpuppte er sich hier als das Gegenteil eines Opportunisten: ein Mann von Prinzipien, charakterlich integer, der sich selbst so nah vor dem Ziel seiner Träume nicht vor dem beugte, was er aus innerster Überzeugung als unrecht und falsch erfuhr.

Mit einem Schlag strahlte Djokovic, der immer gewinnen wollte, eine Ruhe, Reife und Geduld aus, die ihm auch nicht abhanden kam, als Nadal in Paris seinen 22. Grand-Slam-Titel gewann und selbst nicht, als man ihn einer weiteren Gelegenheit zu gewinnen beraubte, als die USA ihm 2022 die Einreise zu den US Open wegen seines Impfstatus untersagten.

Per aspera ad astra

In diesen Monaten gewann Djokovic den Respekt und die von ihm so ersehnte Liebe des Publikums, das erkannte, dass der Straßenkämpfer kein Opportunist, sondern ein Ehrenmann mit Rückgrat ist. Er lebte vor, dass man selbst so nah vor dem Triumph bereit sein muss, alles für seine Prinzipien und die Wahrheit aufzugeben. Und während die Meinungen über seine Entscheidungen, sich nicht zu impfen, damals noch geteilt waren, bestätigen regelmäßig erscheinende neue Studien, dass er alles richtig gemacht hatte, als er beschloss, sich der Injektion zu verweigern.

Aber auch Corona ging vorbei und wenn bereits das Einreiseverbot zu den US Open 2022 nur noch wie eine Schikane erscheinen konnte, so ließen sich 2023 die Beschränkungen nicht länger aufrechterhalten. Djokovic egalisierte bei den Australian Open im Januar den 22. Grand-Slam-Titel von Nadal und kürte sich nun mit seinem Sieg in Paris zum alleinigen Rekordhalter. Federer ist mittlerweile zurückgetreten und Nadal fehlte bei seinem Lieblingsturnier verletzt. Es darf angenommen werden, dass die Liste an Titeln von Djokovic noch um einiges länger werden wird. Zum Glück, denn so werden jene möglichen Turniersiege, um die zu kämpfen ihm aus politischen Gründen untersagt wurde, nur eine Fußnote bleiben, und nicht das fehlende Stück zum Rekord, falls dieser ihm verwehrt geblieben wäre.

Novak Djokovic hat sein Ziel erreicht und hat es sich dabei alles andere als leicht gemacht. Es gibt oft Sportler, die große Erfolge feiern und dabei Widerstände überwinden. Diese sind Vorbilder für unsere Jugend, denn die von ihnen an den Tag gelegten Tugenden sind häufig allgemeingültig. Doch Djokovic hat nicht nur einen Erfolg gefeiert, er wurde zum Besten seiner Zunft, obwohl ihm auf der Zielgerade Steine in den Weg gelegt wurden. Er überwand diese zusätzlichen Hürden nicht mit federscher Eleganz und auch nicht mit nadalscher Kraft, sondern mit seiner eigenen Integrität und Haltung.

An der Tribüne des Stadions in Paris, in dem Djokovic am Sonntag triumphierte, prangt ein Zitat des Namensgebers des Turniers, Roland Garros: „Victory belongs to the most tenacious.“ Der Sieg gehört den Hartnäckigsten. Mit anderen Worten, der Sieg gehört Djokovic. Unbequem und unbeugsam war der Straßenkämpfer schon immer, doch nun ist er auch unübertroffen, seinen unsportlichen Widersachern zum Trotz.

— Manaf Hassan (@manaf12hassan) June 11, 2023

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