Im alten Köln musste sich jeder Bürger in einer Genossenschaft eintragen – der Gaffel. Diese zunftähnlichen Organisationen, die das Stadtregiment wählten und damit das Schicksal der Stadt bestimmten, führen ihren Namen auf jene große, zweizackige Gabel zurück, mit der das alljährliche Zunftessen bestritten wurde. Wer Teil einer Gaffel war, gehörte damit zur tonangebenden Schicht; und wer nicht, der stand gesellschaftlich außen vor. Die Gaffel – oder Gabel – machte also den Mann.
Instinktiv scheint davon bis heute etwas im Kulturgedächtnis überlebt zu haben. Heutzutage gilt man als genauso gesellschaftlich ausgeschlossen, wenn man nicht mit Messer und Gabel zu essen vermag. Der Vorwurf grenzt aus, ähnlich wie eine Gaffel dazumal die Nicht-Bürger. Wenn die Gabel erst einmal weg ist, ist es auch bis zum Abgeben des Löffels nicht mehr weit.
Weil der Vorwurf so schwer wiegt, ist es freilich nicht immer gesetzt, dass man damit auch den Effekt erreicht, den man gesucht hat. Cem Özdemir hat genau das getan. Er wollte Julian Reichelt und Roland Tichy angreifen, beging aber einen entscheidenden Fehler, indem er nicht nur die Journalisten, sondern auch ihre Leser als Menschen abqualifizierte, die nicht mit Messer und Gabel essen könnten und auf „Irrsinn“ hereinfielen.
Die Erregung des Ernährungsministers hatte auch deswegen einen faden Beigeschmack, weil es ausgerechnet die Medien der beiden gabellosen Schurken waren, die gleichzeitig über die Bezahlung von Özdemirs Frau Pia Maria Castro berichteten. Castro arbeitet als Journalistin der Deutschen Welle – und steht auf jener berüchtigten Liste von Journalisten auf Staatslohn, die seit Monaten die Gemüter bewegt.
Gleich dreimal hat Castro Aufträge vom GIZ bzw. Auswärtigen Amt erhalten. Die Summe bleibt geheim. Sie ist nur für Bundestagsabgeordnete in der Geheimschutzstelle des Bundestags einzusehen. Sie wird als VS – Vertraulich eingestuft. Heißt: was in der Geheimschutzstelle steht, muss auch in der Geheimschutzstelle bleiben.
Özdemir löste damit einen Streisand-Effekt aus. Viele Leser stießen erst deswegen auf die Zusammenhänge, weil sie sich fragten, warum der Minister ein solches Eigentor schießt. Neben Solidarisierung mit den öffentlich Entgaffelten gab es auch reichlich Spott in Richtung Özdemirs. Die sozialen Medien und insbesondere Twitter wurden zur Tummelwiese derjenigen, die dem Minister zeigten, was eine Harke ist – denn von Tischbesteck hat man ja bekanntlich nur wenig Ahnung.
Gaffeln waren übrigens im alten Köln nicht bloße Zünfte, sondern auch Wehr- und Verteidigungsgemeinschaften. Vielleicht erinnert sich Özdemir daran, wenn er mal nach Köln kommt, und ein Gaffel Kölsch trinkt. Oder wenn er in seine Twitter-Timeline schaut. Man mag jemandem seine Freiheit nehmen – aber niemals seine Gabel.
— ??? Mario ??? Thurnes ?????????? (@Rioramscht) June 9, 2023