Sag, wie hältst Du es mit der Ukraine? Den Linken stellt sich derzeit keine Gretchen- sondern eine Sahra-Frage. Die Frage lähmt die Partei in einem Themenfeld, das sie beflügeln könnte. Die SPD – aber noch viel mehr die Grünen – haben das für linke Parteien wichtige Standbein der Friedenspolitik restlos aufgegeben. Die Linke könnte entsprechend punkten. Ihre mediale Frontfrau Sahra Wagenknecht ist mit dem Thema auch vorgeprescht. Doch wie es aussieht, will sie die Partei nun endgültig einfangen.
Die TAZ berichtet von einem Ultimatum, das der Vorstand an die ehemalige Fraktionsvorsitzende im Bundestag gestellt habe. Der Parteivorsitzende Martin Schirdewan bestätigt zwar, dass es ein Treffen mit dem Vorstand der Fraktion gegeben habe, will sich aber zum Inhalt nicht äußern. Fraktionschef Dietmar Bartsch dementiert das Ultimatum sogar. Doch aus der Partei sickert laut TAZ raus: Sahra Wagenknecht solle sich bis zu diesem Wochenende öffentlich erklären. Tut sie das nicht, wolle der Parteivorstand ein Zeichen setzen – da dieser am verlängerten Wochenende ohnehin zusammenkommt.
Das Tischtuch zwischen Partei und Wagenknecht ist ohnehin zerschnitten. Im Bundestag lässt die Fraktion Wagenknecht wegen ihrer Position zur Ukraine-Frage nicht mehr ans Mikro. Wagenknecht bleibt dem Parlament im Gegenzug immer öfters fern, hat bereits angekündigt, nicht mehr für dieses kandidieren zu wollen und spielt ihren stärksten Trumpf aus: Andere Linke mögen auf der Linie der Partei stehen, aber Wagenknecht kommt in den Medien besser rüber. Und sei es nur auf YouTube, wo ihr Kanal rund 660.000 Abonnenten hat, die sie direkt ansprechen kann. Der Kanal der Partei hat keine 30.000 Abonnenten.
Der Verlauf des Krieges mildert auch den Konflikt in der Linken nicht ab: Wagenknecht hat vor einem zähen und opferreichen Stellungskrieg gewarnt – den gibt es nun. Außerdem hat Wagenknecht vorausgesehen, dass die Lieferung von Waffen weitere Begehrlichkeiten wecken wird. Mittlerweile diskutieren wir über Kampfjets. Wer sie liefert – nicht ob sie kommen. Und Wagenknecht bedient die Ängste, die es vor einer Eskalation des Krieges gibt – wie real diese sind, hat die Sprengung des Kachowka-Staudamms gezeigt. Unterdessen lässt die Fraktion Wagenknecht nicht mehr ans Mikro und verzichtet auf friedensbewegte Grüne, die unter Außenministerin Annalena Baerbock politisch heimatlos geworden sind.
Die Position der Partei zu dem Thema ist schwammig. Zwar hat der Vorsitzende Schirdewan zu Ostern die Friedensdemonstranten aufgefordert, in ihren Kundgebungen herauszuarbeiten, dass die Gewalt von Russland ausgeht. Soweit die Symbolpolitik. Nur was sagen die Linken zur Realpolitik? „Wir wollen Waffenexporte verbieten“, heißt es in einem Beitrag auf der Internetseite der Linken. Die Partei setze stattdessen „auf Entspannungspolitik, auf gerechte Weltwirtschaftsstrukturen und zivile Konfliktlösungen“.
Nun gibt es in Deutschland einen nennenswert großen Anteil an Wählern, der gegen diese Waffenlieferungen ist – mit allen Konsequenzen. In einer Demokratie ist es dann auch legitim, große Wählergruppen in wichtigen Themen anzusprechen – vor allem, wenn sie sonst heimatlos sind. Warum tun es die Linken aber nicht? Warum verstecken sie sich hinter schwulstiger Wortverwirrung und bremsen ihre prominenteste Kriegsgegnerin aus?
Die Linken wollen „anschlussfähig“ bleiben. Während CDU-Chef Friedrich Merz die Brandmauer nach Rechts beschwört und jede Zusammenarbeit mit der AfD ausschließt, gibt es keine Brandmauer nach Links. In Thüringen hat das Abstimmungsverhalten der CDU die Regierung Bodo Ramelows überhaupt erst ermöglicht. Die Partei Konrad Adenauers trägt in Thüringen faktisch einen Ministerpräsidenten mit, der zur ehemaligen SED gehört. Würde aber Sahra Wagenknecht für die Partei sprechen und sich entsprechend gegen die Kriegspolitik festlegen, wären die Linken nicht mehr anschlussfähig.
Genau das hat der Generalsekretär der FDP, Bijan Djir-Sarai, im Februar auch gefordert. Nach einer Demonstration, an der Wagenknecht unter anderem mit ihrem Mann Oskar Lafontaine und der Abgeordneten Sevim Dagdelen teilnahm, sagte der FDP-Generalsekretär der Bild: „Für SPD und Grünen ist die Linkspartei stets eine strategische Machtreserve und Option. Damit muss Schluss sein. Wir brauchen in Deutschland auch eine Brandmauer zu den linken Putin-Freunden.“
Djir-Sarai hat mit seiner Forderung nach einer Brandmauer nach Links nicht in den luftleeren Raum gesprochen: In Berlin verteidigten SPD, Grüne und Linke im Februar ihre Mehrheit. Trotzdem ging die SPD lieber als Juniorpartner in eine Koalition mit der CDU und verzichtete damit freiwillig auf das Amt des Regierenden Bürgermeisters. Ein bemerkenswerter Vorgang. Die öffentliche Aufmerksamkeit war zu dem Zeitpunkt auf der wirtschaftsfeindlichen Politik der Grünen, folglich machten viele Medien – auch TE – sie als Grund für die Entscheidung der Berliner SPD aus. Doch Djir-Sarais Forderung einer Brandmauer nach Links stand da ebenfalls als Motivation im Raum.
Auch in Bremen verteidigten SPD, Grüne und Linke eine Mehrheit. Die SPD ließ sich danach wieder Zeit für die Frage, ob sie mit der CDU oder erneut mit Grünen und Linken zusammengehen will. Die Sozialdemokraten entschieden sich letztlich für die bestehende Koalition. Doch das wurde ihnen auch dadurch erleichtert, dass die Linken Wagenknecht eben zwischenzeitlich ausgebremst hatten – und sich mit Äußerungen zum Ukraine-Thema seitdem merklich zurückhielten. Auf der Startseite der Fraktion findet es sich zum Beispiel aktuell nicht.
Es sind nur noch wenige Abgeordnete, die bei dem Thema den Zeh in den Pool halten. So wie Sevim Dagdelen vergangene Woche auf Twitter. Es sei „brandgefährlich“, schrieb sie, wie Deutschland „immer tiefer“ in den Krieg verstrickt werde. „Statt weitreichende Raketen zu schicken“ solle die Ampel anfangen, „diplomatische Initiativen für sofortige Waffenruhe zu unterstützen!“ Danach flog Dagdalen nach eigenen Angaben nach China, um dort den Nationalen Volkskongress zu besuchen.
Das Links-Rechts-Muster wird angesichts der aktuellen Themen immer weniger aussagekräftig. Die Linken könnten Wähler abfangen, die von der unsozialen „Klimapolitik“ der SPD und der Grünen frustriert sind. Das versucht die Partei. Die Linken wären aber auch eine Option für Friedensbewegte. Dagegen sperrt sich aber die Partei, auch weil sie anschlussfähig an SPD und Grüne bleiben will – aber auch an die CDU wie in Thüringen. Die friedensbewegten Wähler kämen aus allen politischen Lagern.
Noch hat die Linke die Chance, ihre Fraktion in Hessen zu verteidigen, wo sie bei der letzten Wahl 6,3 Prozent holte. Auch steht die Linke in den ostdeutschen Ländern noch bei um die 10 Prozent – mit einem Ausreißer nach oben in Thüringen, wo sie vom Ministerpräsidenten-Bonus profitiert. Den Status der ostdeutschen Volkspartei hat die Linke zwar längst an die AfD abgegeben – doch es bleibt die Hoffnung, die verbliebenen Stimmen in weitere Regierungsbeteiligungen ummünzen zu können.
Nur: Gründet die bekannteste und charismatischste Linken-Politikerin eine eigene Partei, dürfte das die ohnehin wacklingen Linken von den Füßen holen. Ob Wagenknecht und Lafontaine den dafür notwendigen organisatorischen Aufwand in den Griff bekommen, ist eine andere Frage. Mit dem „Aufbruch“ scheiterte vor fünf Jahren eine ähnliche Aktion kläglich. Doch Lafontaine und Wagenknecht haben in ihrer Biographie bereits mehrfach bewiesen, dass sie bereit sind, bestehende Strukturen einzureißen – ohne Rücksicht auf die eigenen Erfolgsaussichten. Wenn der linke Parteivorstand am Wochenende die beiden – wie auch immer – ermutigen würde, diesen Weg zu gehen, braucht es für Links bald keine Brandmauer mehr – sondern einen Besen, um die Reste aufzufegen.