Wer meint, der Sozialismus sei mit dem Tod von Fidel Castro endgültig untergegangen, dem muss man vehement widersprechen. Der Sozialismus lebt. Er lebt in einer neuen Spielart. Er blüht und gedeiht und verdrängt den Kapitalismus und seine Wirtschaftsordnung, die Marktwirtschaft, zunehmend. Nicht durch einen tiefen Einschnitt, wie es der Fall der Mauer für den DDR-Sozialismus war. Nein, der Sozialismus kommt auf Samtpfoten daher, schleichend und aus vielen unterschiedlichen Ecken. Die Saat, die Castro, Che Guevara und andere „Revolutionäre“ in den 1960er und 1970er Jahre in die Köpfe Millionen junger Menschen der westlichen Welt eingepflanzt haben, ist längst aufgegangen.
Vielleicht hat die neue Variante des Sozialismus sogar eine gesellschaftliche Akzeptanz. Heute traut die Mehrheit dem Einzelnen nicht zu oder will ihm nicht zugestehen, selbst über sein Schicksal oder sein Lebensglück zu bestimmen. Es gilt als modern, wenn der Staat nicht nur den Menschen in Existenznot hilft, sondern auch denjenigen, die sich bislang selbst geholfen haben. „Vätermonate“ oder „verpflichtende Kindergartenjahre“ zeigen das. Der Staat übernimmt einen Erziehungsauftrag, den bis dahin die Eltern gegenüber ihren Kindern wahrgenommen haben. Der Staat wird so zum Übervater mit Mutti als Kanzlerin.
Es ist eine Art Scheinmoderne, die uns hier vorgespielt wird. Nicht mehr die kleinste Einheit in der Gesellschaft, der Einzelne oder die Familie, werden vor den Übergriffen der Mehrheit geschützt, sondern unter dem Duktus einer Demokratisierung in allen Lebensbereichen werden die Rechte des Einzelnen immer mehr zurückgedrängt und einer politischen Mehrheitsentscheidung unterworfen.
Mehrheitsdiktatur
Diese Entwicklung umfasst nicht nur den engsten Bereich der Familie, sondern hat längst auch die Wirtschaft erreicht. Auch hier wird der einzelne Unternehmer durch politische Mehrheiten im Parlament zum vermeintlichen Glück gezwungen. Auch hier findet letztlich ein Eingriff in die Privatautonomie und das Eigentum statt. Beide werden waidwund geschossen. Wenn Sigmar Gabriel die Übernahme eines heimischen Technologieunternehmens an einen chinesischen Investor verhindern kann und dabei ist, ein Gesetz zur Investitionsprüfung vorzubereiten, das Übernahmen ausländischer Investoren an deutschen Unternehmen unter Zustimmungsvorbehalt der Regierung stellt, ja dann verkommt das Eigentum nur noch zu einer leeren Hülle. Auch auf Kuba gibt es formal noch privates Eigentum.
Gabriels Agieren ist Teil einer Entwicklung, die die Wirtschaft, ihre Verbände und die Gewerkschaften längst erreicht hat. Eine „Verkumpelung“ der Akteure ist die Folge. Zwar sind nur noch etwa zwanzig Prozent der Arbeitnehmer Gewerkschaftsmitglieder, dennoch wird die Kungelei der Gewerkschaftsfunktionäre mit den Arbeitgeberverbänden zum Maßstab für alle Arbeitnehmer gemacht. Unternehmer werden mit dem goldenen Zügel in die Tarifbindung gezwungen, um die Existenz der Gewerkschaften trotz schwindender Akzeptanz zu sichern.
Wer sich brav dem Tarifvertrag unterwirft, wird durch Regelungen in der Zeitarbeit, bei der betrieblichen Altersvorsorge oder beim Lohngleichheitsgesetz großzügig belohnt. Den Mindestlohn handeln längst nicht mehr einzelne Unternehmer und Arbeitnehmer aus, sondern die BDA und Gewerkschaften schlagen ihn der Regierung vor. Mehr Korporatismus geht nicht.
Funktionärsherrschaft
Diese „Verkumpelung“ der großen Unternehmen mit den Gewerkschaften und der Regierung ist Kennzeichen dieser „neuen“ Wirtschaftspolitik. Sie passt zur großen Koalition, die Scheingefechte in der Öffentlichkeit führt, in Wirklichkeit sich aber in allen großen Fragen einig ist. Der schleichende Verfassungsbruch ist nicht ohne. Die „negative Koalitionsfreiheit“ ist von unserem Grundgesetz ebenso geschützt wie das Recht, sich als Arbeitgeber oder Arbeitnehmer aktiv zusammenzuschließen. Sich nicht in das Tarifkartell zu begeben, darf daher nicht diskriminiert werden. Mit Marktwirtschaft hat diese Kungelwirtschaft nur noch am Rande zu tun. Im 19. Jahrhundert nannte man diese Wirtschaftsform „Kathedersozialismus“. Sie war der Wegbereiter der verheerenden Sozialismen des 20. Jahrhunderts.
Die Ablehnung dieses Dirigismus und Korporatismus liegt auch dem Konzept der Sozialen Marktwirtschaft zugrunde. Der erste Wirtschaftsminister Ludwig Erhard sah in jeder korporativen Lenkung der Wirtschaft eine Einschränkung der Grundfreiheiten und eine Aushöhlung des Rechts auf freie Entfaltung. Er lehnte also diese Eingriffe prinzipiell ab. Sein Credo war: „Es gibt nur eine gerechte Verteilung und das ist die, die durch die Funktion des Marktes erreicht wird. Der Markt ist der einzig gerechte demokratische Richter, den es überhaupt in der modernen Wirtschaft gibt.“