Tichys Einblick
Zaun mit Hintertür

Evros: Grenzschützer schleppten mit

In Griechenland laufen die Ermittlungen gegen fünf Grenzbeamte. Vorgeworfen wird ihnen die Bildung einer kriminellen Organisation zur Erleichterung der illegalen Einreise. Genau das Gegenteil ihres Auftrags. Wie kann es sein und was macht es mit dem Land?

Griechenland verstärkt die griechisch-türkischen Grenzen mit Personal, Kameras, Drohnen, schweren Fahrzeugen, FRONTEX-Beamten, aber auch mit einem 5 Meter hohen Zaun auf etwa 38km Länge, der die Feuchtgebiete des Flusses Evros abdeckt.

IMAGO / NurPhoto

„Die Grenzen fallen von innen“, so titelt die konservative, keineswegs regierungsnahe Zeitung Estia zu den jüngsten Vorwürfen gegen griechische Grenzschützer am Evros. Wie es aussieht, hat eine noch offene Zahl von Grenzbeamten mit Schleppern in der Türkei zusammengearbeitet und so eine illegale Hintertür am gerade erst errichteten Grenzzaun geöffnet.

Zuerst hatte die regionale Nachrichtenwebsite Evros News von den Ermittlungen berichtet, die am 29. Mai zu einem vorläufigen Abschluss geführt wurden. Und das ist in der Tat ein seltsamer Zufall: Am 29. Mai 1453 wurde Konstantinopel von den türkischen Osmanen eingenommen. Auch dabei soll eine Hintertür von Bedeutung gewesen sein, das sagen zumindest manche: Verräter hätten den Türken das „hintere Tor“ der städtischen Festungsanlagen geöffnet, und diese Erzählung vom Dolchstoß aus dem Inneren blieb als Legende in Erinnerung. Tatsächlich gelang die Einnahme Ost-Roms aber wohl durch massive Angriffe großer Söldnerscharen der osmanischen Sultane.

570 Jahre nach diesem schwarzen Tag in der griechischen Geschichte nahm die Antikorruptionsbehörde der Polizei fünf Grenzschützer fest. Sie bilden den harten Kern der Beschuldigten in einem neuen Fall von „Hintertür-Aufsperren“. Die „Abteilung für innere Angelegenheiten“ der Polizei hatte die Verdächtigen bereits seit Monaten abgehört. Zuletzt wurden auch ihre Wohnungen durchsucht. Man fand hohe Bargeldbeträge (unter anderem 26.550 Euro) und ganze 59 Handys. Daneben wurden kleinere Beträge in anderen Währungen (US-Dollars, türkische Liren, britische Pfund, einige Lei und zahlreiche asiatische Währungen) sichergestellt.

„Verpassen wir nur nicht den Koffer, die Schuhe, den Koffer“

In den aufgenommenen Gesprächen der Grenzer geht es unter anderem darum, wie man die erhaltenen Geldbeträge vor den Augen der Behörden rechtfertigen konnte. Daneben sind auch Gespräche mit den Schleppern dokumentiert, in denen die Schlepper von den Geldern als „Schuhen“ sprechen, die sie irgendwo ablegen, wo sie dann von den Grenzern aufgelesen werden. Alternativ ist auch die Rede von „Koffern“ oder der neuen Mitgift: „Verpassen wir nur nicht den Koffer, die Schuhe, den Koffer. Er soll zu dem Weg da hinten kommen, die Sachen da lassen und wieder zu den Personen zurückgehen.“ Die Schlepper wurden von den Grenzern dabei ziemlich offen als „Kommandos“ (also türkische Spezialeinheiten) oder mit einem Wort türkischen Ursprungs als „illegale Schleuser“ (kaçak) benannt.

Tatsächlich geht es hier nicht nur um Landesverrat, sondern auch um die jahrhundertealte Tradition des Bakschisch, in der derjenige, der etwas gibt, etwas bekommt. Nur ist das natürlich absolut unerlaubt da,wo einer einen Amtseid geschworen hat, dadurch zu einer bestimmten Leistung verpflichtet ist und dafür bezahlt wird.

Anfangs war vor allem die unerklärliche Wohlstandsvermehrung bei einigen Grenzern aufgefallen. Zuletzt hatten viele Felder den Besitzer gewechselt, auch Autos für sich selbst und ihre Kinder hatten die Beamten gekauft. Der Kopf der Bande, ein Polizeimeister von 54 Jahren, war als Gewerkschafter regional und in der Hauptstadt bekannt, hatte auch schon bei Kommunalwahlen kandidiert. Man konnte vielleicht ahnen, dass der Mann korrupt war, aber nicht, auf welche Weise.

Dieser mutmaßliche Bandenchef hat auch den Kontakt zu vier Ausländern in der Türkei gehalten, erwerbsmäßigen Schleppern, die ihn über ihre kommenden Aktionen informierten. Anfangs soll der Grenzer die Einschleusungen alleine betrieben haben, erst allmählich weihte er weitere Kollegen ein und zog sie mit ins Boot.

Den fünf Grenzschützern wirft die Staatsanwaltschaft nun die Bildung einer kriminellen Organisation vor. In einer solchen vereint, sollen sie zusammen mit mindestens vier türkischen Schleppern die Einreisen illegaler Migranten erleichtert haben. Daneben werden ihnen die Annahme von Bestechungsgeldern, Amtsmissbrauch und der Verrat von Dienstgeheimnissen vorgeworfen. Die Kerngruppe war in der Grenzschutzeinheit von Didymoteichon in dem Dorf Isaakio stationiert. Alle fünf Beschuldigten haben die gegen sie erhobenen Vorwürfe verneint. Am Freitag steht ihnen der Gang zum Untersuchungsrichter in Orestiada bevor.

Noch blüht das Schlepperwesen in Nordgriechenland

Die Details der Aktionen sind wieder einmal abenteuerlich und schockierend: Man arrangierte zum einen die Dienstpläne der beteiligten Grenzer so, dass keine Uneingeweihten etwas mitbekamen. Darüber hinaus musste man die jeweils diensthabenden Beamten davon „überzeugen“, die neu angeschafften Nachtsichtkameras für eine Zeit abzuschalten, weil man in dieser oder jener Zeit etwas vorhabe. Die Kameras wurden sowohl von Kräften der griechischen Polizei und des Heeres als auch von Frontex-Mitarbeitern beaufsichtigt. Der 54-Jährige hatte anscheinend grundsätzlich Erfolg mit seinem Vorhaben. Anschließend wurde sogar noch die Weiterreise ins Innere des Landes organisiert.

Auch so ließ sich freilich eine gewisse Ruhe an der Evros-Front vortäuschen: Die illegalen Migranten tauchten nicht mehr als marodierende Gruppen in den Dörfern auf, sondern wurden von den beteiligten Grenzern direkt in geeignete Kanäle geschleust. Nur einzelne Migranten, die von den türkischen Schleusern als Schlepper eingesetzt wurden, wurden festgenommen; die anderen, die bezahlt hatten, weitertransportiert. Laut der Tageszeitung Kathimerini könnte es pro Person 1000 Euro gegeben haben.

Dass es Wege am Zaun vorbei geben muss, wird dabei schon durch die ständigen Nachrichten von gefassten oder im Straßenverkehr verunglückten Schleusern deutlich. Tagesaktuell gibt es wieder so einen Fall: An der nördlichen Ägäisküste stieß ein Schleuser mit seinem überladenen PKW mit einem Laster zusammen. Die sieben leichtverletzten Migranten wurden ins Krankenhaus von Kavala gebracht. Der Schleuser entkam.

Die Festnahmen, wenn sie sich als berechtigt erweisen, belegen zum einen, dass auch eine durch Zaun oder Mauer gesicherte Grenze nicht zu 100 Prozent dicht sein wird, wenn es der dort dienstleistende Grenzer anders will. Im Hintergrund geht es um gewöhnliche Korruption, vielleicht wundert man sich deshalb nicht groß darüber. Auffällig ist daneben der Zeitpunkt des Behördenhandelns, relativ kurz vor einem zweiten vorgezogenen Wahlgang, der für den 25. Juni angesetzt ist.

Die „Affäre Maria“ bewegt noch die Gemüter

Aber vermutlich würde auch diese Angelegenheit – wenn man sie denn breitträte – eher der Nea Dimokratia (ND) nützen, erinnert sie doch daran, dass es diese Regierung war, die deutlich mehr Zug in den Grenzschutz gebracht hat. Bald fand man auch, dass zwei der fünf Grenzer schon unter den Radikalsozialisten von Syriza eingestellt wurden, wobei auch persönliche Beziehungen zu Politikern eine Rolle gespielt haben sollen. Unter Syriza gab es natürlich keinen Grenzschutz an den östlichen Grenzen des Landes. Und so zählen manche eins und eins zusammen.

Auch die „Affäre Maria“ bewegt in Griechenland noch die Gemüter. Ein Syriza-Vertreter, ausgerechnet der Cousin von Parteichef Tsipras, Giorgos mit Vornamen, behauptet im Fernsehen einfach, man sei bei dieser Sache im Recht gewesen. Gerade ist allerdings der Spiegel-Chefredakteur Steffen Klusmann abgetreten, der am Ende auch über diese Fake-News-Story stürzte. Es ging darin um ein angeblich am Evros verstorbenes Flüchtlingskind, das es vermutlich nie gegeben hat. Die ND-Regierung hat an dieser Stelle leichtes Spiel, zumal Syriza auch den Bau des Zauns nie akzeptiert hat.

Man wird die fünf Grenzer also als einen bedauernswerten Einzelfall darstellen, der natürlich nichts am Grenzschutz als Priorität der Regierung ändert. Wenn die etwas mehr als konservative Zeitung Estia davon spricht, dass „die Grenzen von innen fallen“, wird man das den Resten der Syriza-Herrschaft in die „Schuhe“ schieben. Die Ermittlungen um die Grenzer vom Evros sind aber noch nicht am Ende. Weitere Beamte sind im Visier der Ermittler, und es könnten noch mehr werden als die offiziell genannten 13, zu denen auch die fünf Festgenommenen gehören. Bisher schwiegen die Nachbarn über die kostspieligen Investitionen der Grenzbeamten. Nun könnte es ein großes Reinemachen geben. Aber wahrscheinlich wird es beim kleinen Skandal um einige wenige Grenzer bleiben.

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