„Das erste Opfer jedes Krieges ist die Wahrheit“: Dieser Satz wird nicht zuletzt im Zusammenhang mit dem Krieg Russlands gegen die Ukraine inflationär gebraucht. Dennoch bringt es dieser Satz auf den Punkt: Denn dass es in Kriegszeiten selten um Wahrheit geht, gilt zumal für Zeiten sich global verbreitender neuer Medien mit ihrer Flut an Bildern und Videosequenzen, die angeblich nicht lügen können. Gleichwohl sind zwar nicht die Techniken, aber die Strategien der Kriegspropaganda und der Medienmanipulation weitgehend gleichgeblieben. Der maßgebliche Unterschied: Früher wurde den Menschen Information vorenthalten, was zwar auch heute geschieht, doch es ist neuerdings oft das Überangebot an Information, das die Wahrheitsfindung erschwert.
Diesem Themenkomplex – der auch einer seiner Forschungsschwerpunkte ist – hat der promovierte Historiker Christian Hardinghaus sein neues Buch gewidmet. Bereits der Titel sagt, worum es dem Autor geht: „Kriegspropaganda und Medienmanipulation: Was Sie wissen sollten, um sich nicht täuschen zu lassen.“ Hardinghaus ist TE-Lesern kein Unbekannter: viele seiner Werke wurden von uns rezensiert und wir haben Interviews mit ihm geführt (siehe weiter unten: „Mehr zum Thema“).
Zudem rekapituliert Hardinghaus die in Sachen Kriegspropaganda lange federführende belgische Historikerin Anne Morelli mit ihrem Standardwerk „Prinzipien der Kriegspropaganda“ (2004). Die von ihr beschriebenen zehn Prinzipien seien auch hier genannt: 1. Wir wollen keinen Krieg. 2. Das feindliche Lager trägt die alleinige Schuld am Krieg. 3. Der Feind hat dämonische Züge. 4. Wir kämpfen für eine gute Sache und nicht für eigennützige Ziele. 5. Der Feind begeht mit Absicht Grausamkeiten. Wenn uns Fehler unterlaufen, dann nur versehentlich. 6. Der Feind verwendet unerlaubte Waffen. 7. Unsere Verluste sind gering, die des Gegners aber enorm. 8. Unsere Sache wird von Künstlern und Intellektuellen unterstützt. 9. Unsere Mission ist heilig. 10. Wer unsere Berichterstattung in Zweifel zieht, ist ein Verräter.
Propagandainstrumente
Die drei Kernstücke seines Buches beschäftigen sich mit den Themen „Propaganda entlarven“, „Kriegspropaganda“, und der „Propaganda im Ukrainekrieg“, sowie dem Umgang der deutschen Presse damit.
Der Reihe nach: Hardinghaus rekapituliert die ersten systematisch-wissenschaftlichen Ansätze von Propaganda. Er geht vom US-„Institute for Propaganda Analysis (IPA)“ aus, das von 1938 bis 1942 „Seven Propaganda Devices“ entwickelte: Name Calling, Glittering Generality, Transfer, Testimonials, Plan Folks, Card Stacking, Bandwagon. Nachfolgend beschreibt Autor Hardinghaus quasi lexikalisch 75 Propagandatechniken der Täuschung: von Ad-hominem-Angriff und Brunnenvergiftung über Embedded Journalism und Fake News / Fake Accounts, False Flag bis hin zu Framing, Reductio ad Hitlerum und Victim Blaming.
Im zweiten Kernstück wird Kriegspropaganda historisch am Beispiel von sieben militärischen Konflikten analysiert: 1. Weltkrieg, 2. Weltkrieg, Vietnamkrieg 1955/1975, Zweiter Golfkrieg 1990/91, Kosovo 1999, Irak 2003, Syrien/Afghanistan 2001/2021. Gemeinsam ist hier allen Kombattanten, dass sie – in unterschiedlich cleverer Weise – Propaganda als Waffe einsetzen und Medien als Teil ihrer Armeen nutzen. Zum Beispiel um eigene Erfolge hochzujubeln und eigene Rückschläge zu bagatellisieren oder zu vertuschen.
Beispiele „Lusitania“, „Gleiwitz“ und „Katyn“
Der 1. Weltkrieg stellt den Vorläufer moderner Medienkriege und die Geburtsstunde der Kriegsfotografie dar. Erstmals perfektioniert wurde dies in den USA und in Großbritannien. In den USA vor allem zu dem Zweck, gegenüber der pazifistisch eingestellten Bevölkerung den Kriegseintritt gegen Deutschland vorzubereiten. Instrumentalisiert und ausgekostet wurde in den USA und in Großbritannien vor allem die Versenkung der „RMS Lusitania“ am 7. Mai 1915 durch ein deutsches U-Boot. Die Lusitania war als angebliches Nur-Passagierschiff auf dem Weg von New York nach Liverpool, und deshalb seien die rund 1.200 Opfer nur zivile Opfer gewesen.
Tatsächlich beförderte das Schiff mindestens viertausend Kisten Munition. Die damalige alliierte Propaganda setzt sich übrigens indirekt bis heute fort: Bis zum heutigen Tag sind die Archivmaterialien dazu unter Verschluss, und Großbritannien untersagt nach wie vor jede Untersuchung des in 90 Meter Tiefe 16 Kilometer vor der südlichen Küste Irlands liegenden Wracks. Hinzu kam von Seiten der Westalliierten typische Gräuelpropaganda, indem in drastischen Beschreibungen Verbrechen deutscher Soldaten an der Zivilbevölkerung und an Kindern inszeniert wurden. Deutschland war hier weniger professionell, in Sachen Propaganda hinkte es hinterher, es erschöpfte sich nach innen allenfalls in Durchhalteparolen.
Fingierter Anlass für den Beginn des 2. Weltkrieges war dann auch eine mediale Inszenierung, nämlich das „Unternehmen Tannenberg“, dem zufolge Polen am 31. August 1939 den deutschen Radiosender Gleiwitz gesprengt hätten. Ein klassisches Beispiel von „False-Flag“-Operation. Die USA errichteten 1942 ein „Office of War Information (OWF)“; es ging wie schon 1915 ab Juni 1942 um die Einstimmung der nach wie vor pazifistisch gesinnten US-Bevölkerung auf einen Kriegseintritt. Gearbeitet wurde erneut mit Gräuelpropaganda, dazu mit Tarnsendern, Störsendern, mit Flugblattpropaganda, ab 1943 auch über Deutschland.
In der Sowjetunion war „Agitprop“ an der Tagesordnung. Das Massaker von Katyn zwischen 3. April und 11. Mai 1940 mit der Ermordung von 4.400 polnischen Offizieren und Intellektuellen wurde den Deutschen in die Schuhe geschoben. Von sowjetisch-russischer Seite wurde dies erst 1990 eingestanden.
Erfolgreiche, erfolglose und entlarvte Propaganda
Weniger erfolgreich war US-Propaganda im Vietnamkrieg. Die US-Bevölkerung war kriegsmüde geworden angesichts von 58.000 toten US-Soldaten und Massakern etwa im Dorf Son My vom 16. März 1968. Neue Möglichkeiten vor allem durch neue Informationstechniken ergaben sich ab den 1990er Jahren. Im Zweiten Golfkrieg 1990/91 (1. Irakkrieg) wurden Kampfhandlungen wie Videospiele verbreitet. Die Propaganda konnte aber im Endeffekt nicht verhindern, dass das Kartenhaus der Lüge vom Besitz von Chemiewaffen in irakischer Hand zusammenbrach und sich auch die angebliche Ermordung von 313 Säuglingen durch irakische Soldaten in Krankenhäusern Kuweits als „Brutkastenlüge“ herausstellte.
Nicht unbeteiligt war Deutschland im Kosovokrieg 1998/99, wo auch von deutscher Seite (Verteidigungsminister Scharping) Gräuelpropaganda verbreitet wurde. Angeblich hätten Milošević-Soldaten mit abgeschlagenen Kinderköpfen Fußball gespielt. Als Lüge stellte sich auch die Propaganda der US-Obama-Administration heraus, der syrische Machthaber Assad habe gegen die eigene Bevölkerung Giftgas eingesetzt.
Der Leser erfährt Interessantes über die Infrastruktur des russischen Propagandaapparates. Zum Beispiel wurde dort 2008 die mediale Überwachungsbehörde „Roskomnadzor“, aufgebaut, hinzu kamen RIA NOVOSTI, Sputnik, der News-Sender RT (früher Russia Today) und Talkshowformate wie Mesto Vstrechi. Die mittlerweile wohl wirksamsten Agenten russischer Propaganda sind die russischen Troll-Fabriken, die einen „Tik-Tok-Krieg“ betreiben. Alle lassen es sich angelegen sein, vor allem Putins Narrativ von einer „Russki Mir“ (einer russischen Welt, der russischen Erde) zu verbreiten. Die russische Propaganda hat dabei laut Hardinghaus vier Adressaten:
- Erstens das russische Volk; hier wird der Westen als russophob dargestellt und die Ukraine als nazistisch, als ein Land, das B- und C-Waffen und schmutzige Bomben besitze und einsetze.
- Zweitens das ukrainische Volk als Brudervolk und vom degenerierten Westen gesteuert.
- Drittens der Westen, der angeblich seine Versprechen einer Ost-Nicht-Erweiterung gebrochen habe und sich mit den Sanktionen gegen Russland ins eigene Fleisch schneide.
- Viertens die nichtwestliche Welt, die es vor dem US-Kapitalismus zu schützen gelte.
Die ukrainische Propaganda beschreibt Hardinghaus als gleichermaßen trickreich, aber als weniger unwahr, denn würde sie vor allem Lügen verbreiten, verlöre sie die Sympathie des Westens. Vor allem aber setzt die ukrainische Propaganda auf das heroisierende Bild vom ukrainischen David, der sich gegen den russischen Goliath zu verteidigen habe und der Verteidiger des Westens sei.
Kritisch geht Hardinghaus, der sich auch als freier Journalist versteht, im Zusammenhang mit dem Ukrainekrieg mit deutschen Medien und Journalisten um. Er nennt sie in diesem Zusammenhang einseitig, simplifizierend, regierungsnah, belehrend und dilettantisch (Anmerkung des Rezensenten: Was ja etwa im Zusammenhang mit Zuwanderung, Corona und Klima mehr als zutrifft!) Dass man in Deutschland RT abgeschaltet hat, hält Hardinghaus für falsch, denn man hätte sich durch RT ein kritischeres Bild von russischer Propaganda machen können. Die Frage, inwieweit russische Propaganda in die AfD, in die Links-Partei oder in die Initiative von Sarah Wagenknecht und Alice Schwarzer hineingewirkt habe, lässt Hardinghaus offen.
5-Sterne-Buchempfehlung!
Das Buch ist überaus lesenswert und sehr gut lesbar. Hilfreich ist ein ausführliches Register. Veranschaulicht wird die Analyse mit knapp dreißig beweisstarken Fotos, Propagandabildern, Plakaten – sowie der Wiedergabe manipulierter Bilder, beginnend mit Lenin am 5. Mai 1920 in Moskau, mit und ohne Trotzki.
Hardinghaus klärt auf. Er geht gegen den Zweck von Propaganda an, nämlich zu manipulieren, was die Adressaten denken sollen. Er liefert mit seinem Buch stattdessen ein gelungenes Beispiel dafür, dass Bildung und Wissen die besten Mittel gegen Propagandagläubigkeit sind. Insofern leistet sein Buch Bildungsarbeit für medienmündige Bürger. Der Autor belehrt nicht, sondern schärft den Blick des Medienkonsumenten, um die cleveren und leider auch wissenschaftlich entwickelten Tricks der Manipulationen zu entlarven.
Christian Hardinghaus, Kriegspropaganda und Medienmanipulation. Was Sie wissen sollten, um sich nicht täuschen zu lassen. Europa Verlag, Hardcover mit Schutzumschlag, 232 Seiten, 24,00 €.
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