„Trauzeugen-Affären” sind derzeit angesagt. Nun trifft es auch Arbeitsminister Hubertus Heil: er soll seinen Trauzeugen zum Abteilungsleiter befördert haben. Heil verteidigt sich, dass der von ihm beförderte Carsten Stender den Posten nicht wegen persönlicher Beziehungen erhalten habe. Seine „umfangreiche Expertise im internationalen Bereich“ sei dafür verantwortlich gewesen.
Eine ähnliche Phrase fiel vor nicht allzu langer Zeit in einem anderen Zusammenhang. Als Robert Habeck am Mittwoch seinen Staatssekretär Udo Philipp gegen Vorwürfe der Vermischung von ministerieller Arbeit und persönlichen Interessen verteidigte, hob der Minister hervor, er sei dafür, dass auch Leute von außen ihr „Wissen einbringen“.
Die Apologie ist demnach immer dieselbe: Minister sehen keine Verfehlung, schließlich besitze die Personalie außergewöhnliches Wissen. Aber niemand hat etwas gegen außergewöhnliches oder auswärtiges Wissen oder gar gegen Quereinsteiger. Der Punkt ist, dass sie keine Vorteile abgreifen sollen. Ministerien sind kein Selbstbedienungsladen oder ein Familienunternehmen. Zumindest sollten sie das nicht sein.
Es ist dabei nicht uninteressant, wer diese Geschichte lanciert hat. Es war der Spiegel. Dasselbe Magazin, das von sich behauptet, die Graichen-Affäre ins „Rollen“ gebracht zu haben. Der Spiegel schreibt sich auch die erste „Trauzeugen-Affäre“ auf die Flagge. Flagge ist ein gutes Stichwort. Es erinnert an eine False-Flag-Aktion. Der Spiegel tut so, als betreibe er Aufklärung unter der falschen Flagge des investigativen Journalismus. In Wirklichkeit lenkt er von der eigentlichen Geschichte ab.
Denn in der vermeintlichen „Trauzeugen-Affäre“ um Patrick Graichens Ex-Mitarbeiter Michael Schäfer ging es nie um den Trauzeugen. Graichen wurde nicht entlassen, weil Schäfer zum Dena-Chef aufstieg. Graichen wurde entlassen, weil er dem BUND 600.000 Euro zuschusterte, wo seine Schwester im Vorstand saß; und weil er Felix Matthes, ebenso wie seine Schwester beim Öko-Institut, in eine Expertenkommission berief.
Wer „Trauzeugen-Affäre” sagt, will betrügen. Denn daran schließt sich die Verharmlosung an: ist die Reaktion nicht überzogen? Und ja, das wäre sie, ginge es tatsächlich nur um einen Trauzeugen. Doch mit der Causa Graichen hat ein Netzwerk sein Gesicht gezeigt, geriet an die Öffentlichkeit, dass eine ganze Reihe von Personalien zum Agora-Netzwerk gehören, wurde offensichtlich, dass es Fremdfinanzierungen von Milliardären aus dem Ausland gibt und dass eine Denkfabrik ihre Projekte im Wirtschaftsministerium vorantreibt.
Der eigentliche Skandal, dass NGOs die parlamentarische Demokratie umgehen, um ihre Vorstellungen durchzusetzen, droht im Milieu einer Geschichte aus der Brigitte unterzugehen. Und man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass genau dies auch so gewollt ist. Medial wie politisch läuft seit Beginn der letzten Woche eine Strategie des Informationskrieges.
Von dem Sprengsatz, an dessen Ende Habeck mitsamt der grünen Partei in die Luft fliegen könnte, wird gezielt abgelenkt. Dass immer noch eine ganze Reihe von Agora-affinen Staatssekretären in den Ministerien sitzen, und in der Gegenwart wie Vergangenheit Gelder an grüne Lobbies verteilten – wie etwa im Beispiel Graichen-BUND – muss der Vergessenheit anheimfallen.
Nicht alle Medien machen dieses Spiel mit. Welt und Focus etwa bleiben am Ball. Die unrühmlichste Rolle haben dagegen die öffentlich-rechtlichen Medien gespielt. Die Tagesschau weigerte sich über Wochen vehement, über das Thema mit der gebührenden Wichtigkeit zu berichten. Das Publikum musste sich dann verwundert die Augen reiben ob der Demission eines Staatssekretärs. Die Zusammenhänge blieben im Dunkeln. Es soll sogar Radiosender geben, die über Graichens Abgang nicht einmal berichtet haben.
Politisch hat Robert Habeck am Mittwoch gezeigt, dass den Grünen kein Mittel zu schmutzig ist, um ihre Macht zu erhalten. Udo Philipp ist zwar kein Teil des Agora-Netzwerks. Seine Ausgangslage war jedoch schlechter als die von Graichen am 10. Mai. Mit der Aushebelung des parlamentarischen Fragerechts und der Dressierung der Abgeordneten hat Habeck ein deutliches Zeichen gesetzt, wie in Zukunft solche „Anhörungen“ aussehen werden. Es muss nur noch demokratisch aussehen.
Es steht also düster um die weitere Aufklärung. Doch zugleich gibt es bemerkenswerte Bewegungen. Die Nervosität der Grünen ist offenbar groß. Der Vorschlag von Habeck zum Heizungsgesetz ist eine Nebelkerze, zeigt jedoch ebenso wie die Gängelung im Ausschuss, dass man um die eigene schlechte Ausgangslage weiß. Die grüne Rezession hat sich nun auch in den Zahlen niedergeschlagen. Die Sympathiewerte für Habeck sind eingebrochen. Der Minister hat seinen wichtigsten Vertrauensmann verloren. Und das Damoklesschwert eines Untersuchungsausschusses droht immer noch, sollte die Union sich dafür einsetzen.
Habeck ist also noch weit davon entfernt, in ruhige Fahrwasser zurückkehren zu können. Die Stimmung herrscht vor, dass die Grünen den Bogen überspannt haben. Die Verabschiedung des Heizungsgesetzes vor der Sommerpause ist die Daumenprobe, wie viel Zugkraft Habeck noch besitzt. Es hat anderthalb Jahre gebraucht, bis das belastende Material zu Graichen und Agora seinen Weg in die etablierte Presse geschafft hat und seine Wirkung entfaltete. Auch bei der Berlinwahl dachten die Verantwortlichen, sie könnten die Ergebnisse der Chaoswahl aussitzen. Habeck konnte seine Position in der letzten Woche stabilisieren. Fest im Sattel sitzt er aber nicht mehr.