Im Schnitt zahlen Betroffene oder ihre Angehörigen laut Pflege.de derzeit 2411 Euro im Monat. Der Trend ist rasant steigend und hat verschiedene Gründe: Die Corona-Maßnahmen haben die Pflegeheime finanziell überlastet. Außerdem müssen sie die ebenfalls rasant steigenden Kosten für Strom, Wärme und Lebensmittel stemmen. Zudem hat es in den vergangenen Jahren Gehaltserhöhungen für Pfleger gegeben. Diese sind wiederum nötig, weil die Arbeit anstrengend und anspruchsvoll ist – und Deutschland trotz Einwanderung und vermeldeter Rekordbeschäftigung ein massives Problem mit seinem Arbeitskräftemangel hat.
Vor diesem Hintergrund sollte Karl Lauterbach (SPD) eine Pflegereform vorlegen. Als der Gesundheitsminister das „Gesetz zur Unterstützung und Entlastung in der Pflege“ im Bundestag vorstellte, hatte er dafür 6.40 Minuten Zeit. Die ersten 3.40 Minuten verwendete er, um zu beschwichtigen: „Es gibt keine Effizienzreserve mehr.“ Und in anderen Ländern sei die Pflegeversicherung schlechter als in Deutschland. Wenn ein Lautsprecher wie Karl „absolute Killervariante“ Lauterbach ein Gesetz so bescheiden einführt, entsteht der Verdacht: Es ist nicht viel dran. Der Eindruck bestärkt sich bei näherem Hinsehen.
Pflegebedürftige in Heimen oder ihre Angehörigen erhalten fünf bis zehn Prozent mehr Unterstützung zum Eigenanteil. In anderen Bereichen liegt der Zuschlag unter der Inflation: Zum Jahreswechsel steigt das Pflegegeld um fünf Prozent ebenso wie ambulante Sachleistungsbeiträge. Unterstützungsgeld für zeitlich begrenzte Pflege gibt es künftig für bis zu zehn Arbeitstage.
Ansonsten setzt Lauterbach – ganz Sozialdemokrat – auf den Aufwuchs der Verwaltung: Ein „Kompetenzzentrum“ entsteht, dass nach Möglichkeiten fahndet, die Pflege zu digitalisieren. Außerdem soll das Verfahren überarbeitet werden, nach dem festgestellt wird, wie pflegebedürftig ein Antragsteller ist.
Mit Lauterbachs „Pflegereform“ wird Arbeiten in Deutschland teurer. Allein die öffentliche Hand zahlt in ihrer Funktion als Arbeitgeber künftig 200 Millionen Euro im Jahr zusätzlich an Beiträgen. Deutlich über 300 Millionen Euro muss der Staat für Transferempfänger wie Arbeitslose obendrauf bezahlen. Auf die Rentenversicherung kommen durch Lauterbachs „Pflegereform“ jährlich 150 Millionen Euro Zusatzkosten zu. Anfangs. Bis 2027 steigt dieser zusätzliche Betrag aber nach Lauterbachs Rechnungen auf 700 Millionen Euro im Jahr.
Kritik an Lauterbachs Gesetz kam von der Opposition. Etwa: „Es bleibt noch viel zu tun.“ Wobei es Lauterbachs Koalitionspartner ist, der so über sein Gesetz redet. In dem Fall Kordula Schulz-Asche (Grüne). Thomas Dietz (AfD) nennt es einen „typischen Entwurf der Ampel“: Gut gemeint, aber an der Praxis vorbei. Für die arbeitende Generation werde das Gesetz zu einer zusätzlichen Belastung. So müssten Arbeitnehmer die Rentenbeiträge für Menschen zahlen, die ihre Angehörigen pflegen – dies sei aber eine gesellschaftliche Aufgabe und müsste folglich aus Steuern finanziert werden.
Nur die FDP freut sich in Person von Nicole Westig: Die Erhöhung des Beitragssatzes vermeide Steuererhöhungen. Der Handwerker muss künftig mehr für die Pflege bezahlen. Die Verkäuferin auch. Oder der Straßenfeger und der Pfleger. Aber die zählen in der Bilanz Nicole Westigs nicht, die sich freut, dass Menschen, die nicht von Arbeitseinkommen leben, verschont bleiben. Darauf ein Mövenpick-Eis auf Sylt.
Was bleibt noch von Karl Lauterbach in der Pflege zu erwarten? Die 67 Milliarden Euro, die in die Pflege flössen, seien ja schon eine Verdoppelung der Ausgaben innerhalb der letzten acht Jahre. „Ich weiß, hier gibt es viel zu tun“, sagt Lauterbach, und: „Ich weiß, dass dieses Gesetz kein perfektes Gesetz ist.“ Für Karl „absolute Killervariante“ Lauterbach, der sonst seine Gesetzesvorhaben nie mit geringeren Worten als „Revolution“ einleitet, ist das erstaunlich leise. Bye bye Talkshow, willkommen in der Realität, Herr Minister.