Man darf sich fragen, was eigentlich noch passieren muss, damit die Bundesinnenministerin ein leises, aber klares Wort an Brüssel richtet und endlich feste Grenzkontrollen an allen von der massenhaften illegalen Zuwanderung betroffenen Grenzabschnitten einführt. Kenner der Lage und der Person glauben zu wissen, dass Nancy Faeser genau das auf Biegen und Brechen vermeiden will. Wenn sie es also endlich tun wird, dann weiß man, dass es nur passiert, weil ihr Ausguck von den Kritikern sturmreif geschossen wurde.
Dass diese Zahlen zudem nicht die ganze Wirklichkeit sind, zeigen die Erstasylanträge, die im April bei über 19.000 bundesweit lagen (und zu 99 Prozent nicht angenommen werden). Das sind gut 8.000 Anträge mehr als im Vorjahresmonat, und das lässt nichts Gutes für den Sommer erwarten. Bereits nach vier Monaten 2023 wurde die Zahl von 100.000 neuen Schutzersuchen übertroffen. Nimmt man diese Zahl mal drei, dann weiß man, was am Jahresende zu erwarten ist: 300.000 Asylanträge werden da durchaus möglich.
Faeser: Noch keine „ernsthafte Bedrohung der öffentlichen Ordnung“
So wird die Forderung der Innenminister von Sachsen und Brandenburg schlüssig: Michael Stübgen und Armin Schuster (beide CDU) forderten schon mit Brief vom 4. Mai vorübergehende Grenzkontrollen an den Grenzen zu Polen und Tschechien, erhielten aber erwartungsgemäß lange keine Antwort und dann eben auch nur die erwartete, negative.
Für Faeser ist die Lage noch nicht dramatisch genug. In ihrem dreiseitigen Brief an die beiden Landesminister schreibt sie, dass die „vorübergehende Wiedereinführung von Binnengrenzkontrollen“ eine „ernsthafte Bedrohung der öffentlichen Ordnung oder inneren Sicherheit“ voraussetze, außerdem nur als „ultima ratio“ möglich sei. Mit anderen Worten: Erst kurz vor dem gänzlichen Verfall der „inneren Werte“ einer Bundesrepublik würde auch diese Bundesinnenministerin so etwas wie stationäre Grenzkontrollen akzeptieren und vielleicht auch einführen.
Erst zweieinhalb Monate? Dann kann dieser Wasserhahn ja auch weiter laufen. An der tschechischen Grenze seien die Zahlen inzwischen sogar rückläufig. Auch eine Methode zur Krisenbewältigung: Man wartet einfach so lange, bis sich die Krise von selbst „normalisiert“, ob das nun durch ein Zurückgehen von Zahlen oder durch den Gewöhnungseffekt passiert. Faeser setzt offenbar auf letzteres, glaubt sie doch an eine „weitere Verstetigung das Migrationsgeschehens“, allerdings nur an der Grenze zu Österreich. Das „Ultima-ratio-Instrumentarium“ der eigentlich gebotenen Grenzkontrollen ist laut Faeser „nicht Gegenstand der hiesigen Überlegungen“.
No-Go-Areas setzen Faeser nicht in Aktion
Das erinnert – Pardon für die Abschweifung – an den unsterblichen Rosenkavalier von Richard Strauss und Hugo von Hofmannsthal, in dem eine Figur fragt, ob es sich um Hiesige handelt. Antwort: „Ja, es sind Hiesige!“ Aber das ist hier eben nicht der Fall, auch wenn Faeser das altertümelnde Wort noch in ihrem Bürokratendeutsch unterbringt. Ihr Satz bedeutet in normalem Deutsch: Die „hiesigen Überlegungen“ im BMI sind die eigentlich maßgeblichen, weil die Ministerin nur „hier“ in ihrem Ausguck den nötigen Überblick hat, um die notwendigen Maßnahmen für das gesamte Bundesgebiet zu treffen. Man könnte es auch den Gipfel der Berliner Arroganz einer SPD-Politikerin nennen.
Für Faeser reicht es offenbar nicht, dass Landräte, Städte und Kommunen nicht mehr wissen, wie sie die Ankommenden unterbringen sollen. Auch die Epidemie der Messeruntaten und Vergewaltigungen (mit jeweils überproportional hohem Ausländeranteil) reicht nicht, um die innere Sicherheit gefährdet zu sehen und das Konzept der allzeit offenen deutschen Grenzen zu überprüfen. Das Entstehen von No-Go-Areas reicht ganz sicher nicht, um die Sicherheitsministerin Faeser in den Aktionsmodus zu versetzen, denn diese No-Go-Zonen gibt es mancherorts schon seit Jahren, was nicht bedeutet, dass sie sich nicht ausweiten und nicht neue dazukommen können.
Doch das bräuchte es vielleicht alles gar nicht, um einen verständigen Innenminister zu überzeugen. Die täglich wachsende Unordnung an den Grenzen, auf den Bahnhöfen, in den Erstaufnahmen und Flüchtlingsheimen und überall darum herum, müsste eigentlich ausreichen, um zu erkennen, dass ein Wendepunkt schon lange erreicht ist.
Die Bundespolizei kann bei der derzeitigen Rechtslage in Sachsen und Brandenburg nicht nur keinen illegalen Migranten zurückweisen. Sie ist auch kaum in der Lage einen annähernd vollständigen Überblick über die illegalen Einreisen zu gewinnen – einen Überblick, der für ein genaues Lagebild zweifellos nötig und nützlich wäre. Denn so, wie die Dinge liegen, wird nur ein Teil der illegalen Migranten überhaupt an deutschen Grenzen festgestellt und aufgegriffen. Was die anderen in der Bundesrepublik treiben, ob sie bleiben oder weiterziehen, bleibt ihnen selbst überlassen.
Polen berichtet von vermehrten Aufgriffen und Gewalt gegen Grenze
Ob die zunehmenden Aufgriffe an der deutsch-polnischen Grenze auf Einreisen über Weißrussland zurückgehen, bleibt angesichts dieser mangelhaften Datenerhebung ebenfalls unklar. Aktuell berichten die polnischen Grenzschützer von Angriffen auf ihre Patrouillen durch teils maskierte Ausländer, die in den „Westen Europas“ vordringen wollen. Angeblich stehen weißrussische Dienste, mit Unterstützung durch Russland, hinter den illegalen Einreiseversuchen.
Die polnischen Grenzschützer beklagen, dass Nepalesen und Marokkaner noch immer russische Visa erhielten (zum Studium oder zur Arbeitsaufnahme) und dann in Gruppen von einigen dutzend illegalen Migranten an der weißrussisch-polnischen Grenze auftauchen. Daneben ist im Twitter-Feed der Grenzschützer beispielsweise von Nigerianern, Indern und Afghanen, Bangladeshi, Togolesen und Jemeniten die Rede.
Ob sich das auch in den steilen Anstieg der Zahlen vom April so fortschrieb, ist wie gesagt unbekannt. Möglich wäre es angesichts der für alle Seiten belastenden Kriegssituation. Möglich ist aber auch, dass nun die Balkanroute vermehrt auf eine polnische Nebenroute umgeleitet wird – weil es anderswo zu viele Kontrollen gibt. Aber der Ursprung der illegalen Migrationsströme wäre ja ganz gleichgültig, solange sie an der deutschen Grenze auf irgendeine Form von Widerstand träfen.
Scholz zieht sich offenbar auf die Schleierfahndung zurück
Beim derzeitigen Zustand der Grenze kann die Bundespolizei die ankommenden Migranten nur feststellen, denn sie hat dort nicht den Status einer Grenzpolizei. Diesen Gedanken sollte man sich einmal auf dem Frontallappen zergehen lassen. Der brandenburgische Innenminister sprach von der „statistischen Erfassung irregulärer Migration“.
In einem Papier zum Migrationsgipfel formulierte das Bundeskanzleramt kurz nach dem Brief der beiden Landesminister: „Lageabhängig wird der Bund das im Verhältnis zu Österreich bestehende Grenzsicherungskonzept auch an anderen Binnengrenzen Deutschlands etablieren.“ Aber auch Olaf Scholz wird wohl am Ende bei der Erweiterung der ineffizienten Schleierfahndung bleiben, die er „beziehungsweise“ für die betroffenen Grenzabschnitte vorschlug. Es bleibt also beim Durchwinken und Registrieren, eine unbefriedigende Situation auch für die Bundespolizisten, die ihren Dienst oft noch unter anderen Bedingungen angetreten haben. Unbefriedigend ist die Situation aber vor allem für die deutschen Bürger und ständigen Bewohner dieses Landes, denn ihr alltägliche Sicherheit wird täglich ein Stückchen mehr eingeschränkt, ihre Steuern täglich noch etwas stärker aufgezehrt. Das Land selbst wird gefühlt jeden Tag etwas kleiner.