Die Tourismusbranche tagt im Berliner Adlon. Schnellere Visa und mehr Klimaschutz fordern die Funktionäre in Anwesenheit der Politik. Es bleibt fraglich, ob sich für sie die Anbiederei an die Ampel rentiert.
Das Berliner Adlon. Deutschlands erste Adresse, Suiten mit Blick aufs Brandenburger Tor. Dort trifft sich der Bundesverband der Deutschen Tourismuswirtschaft zu seinem 24. Tourismusgipfel. Nobel. So schlecht scheint es der Branche doch nicht zu gehen. Auch wenn sie in der Pandemie gelernt hat, nicht auf eigenen, sondern auf staatlichen Füßen zu stehen – und diese Zeit noch nachwirkt.
Die Übernachtungszahlen lagen in diesem März mit insgesamt 31,8 Millionen Übernachtungen um 3,7 Prozent niedriger als noch 2019, im letzten Jahr vor der Pandemie. Dabei ist es vor allem das Auslandsgeschäft, das eingebrochen ist. Nur 5,1 Millionen Übernachtungen kamen im März auf ausländische Gäste – das sind 15 Prozent weniger als vor der Pandemie. Die Zahlen hat das Statistische Bundesamt veröffentlicht.
Nun ist so ein Tourismusgipfel die seltene Gelegenheit, auf die Branche aufmerksam zu machen. Im Adlon. Mit prominenten Gästen wie Vizekanzler Robert Habeck (Grüne), Verkehrsminister Volker Wissing (FDP) und Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD). Da gilt es, die richtigen Botschaften zu setzen. Am besten schon im Vorfeld. Also gibt der Generalsekretär des Bundesverbandes, Sven Liebert, der Nachrichtenagentur DPA ein Interview und sagt: „Es kann beispielsweise nicht sein, dass Touristen und potenzielle Arbeitskräfte monatelang auf ihre Visa warten müssen.“ Touristenströme und Arbeitskräfte würden so am Land vorbeigelenkt. Das passt in die Einwanderungspolitik der Ampel. Da werden der Robert Habeck, der Volker Wissing und der Hubertus Heil nett zu dem Sven Liebert sein, wenn sie ihn im Adlon treffen.
Im Interview mit RBB24 Inforadio sagt Liebert dann, eigentlich bräuchte er die Fachkräfte noch in diesem Sommer. Sonst ließe sich der Touristenstrom nicht bewältigen.
Das hört die RBB24-Moderatorin gerne. RBB24 findet ja die Ampel gut und auch Leute gut, die die Ampel gut finden. Nur nett ist sie nicht. Sie will von Sven Liebert dann noch wissen, ob die Forderung nach mehr Reisen nicht dem Klima schade? Damit befolgt sie die oberste linke Anstandsregel: Wer sich linken Forderungen unterwirft, muss das immer restlos tun.
Nun würde der Sven Liebert vielleicht gerne antworten: Tourismus ist Reisen und da ich davon lebe, ist das halt so. Aber dann ist die Moderatorin schlecht gelaunt. Dann gucken der Robert Habeck, der Volker Wissing und der Hubertus Heil vielleicht verärgert auf dem Gipfel im Adlon und sind beim nächsten Rettungspaket auch nicht mehr ganz so generös. Also sagt der Sven Liebert im RBB viel zum Klima, um letztlich nichts zu sagen und hofft, dass sich diese Frage damit einfach versendet. Weil er es schon zusammenbringen will, dass die RBB-Moderatorin ihn mag ebenso wie der Robert, der Volker und der Hubertus – aber auch die Branchenvertreter, die ihn bezahlen und das Geld dafür durchs Reisen erwirtschaften.
Immerhin nähert sich Lieberts Präsident Sören Hartmann deutlichen Worten: „Tourismus basiert auf Mobilität.“ Das mag banal sein, steht aber schon im Widerspruch zu Habeck. Der setzte im Vorfeld auch eine Botschaft, erinnerte an die demnächst kommende Tourismus-Strategie, die weniger Kohlendioxid und folglich weniger Fernreisen vorsehe. Damit erklärt er sich eigentlich zum Gegenspieler der Tourismusbranche – doch deren oberster Vertreter Hartmann ist zur Anbiederung bereit. Man wolle ja selbst den Klimaschutz und dafür brauche es mehr als „Feigenblätter“.
Dabei trägt Hartmann Edelsteine aus dem Setzkasten für Vortrags-Geschwurbel vor: „Es ist Zeit zu handeln!“ Das ist schön. Und das stimmt fast immer. Der Mensch handelt ja eigentlich den ganzen Tag. Da kann er auch den ganzen Tag behaupten, es sei Zeit zu handeln. Außer er schläft. Aber dann erwartet von ihm auch niemand, dass er was sagt. Was ihn wiederum von der Pflicht befreit, Worte zu finden, die nach engagiertem Interessenvertreter klingen, ohne dabei den Robert, den Volker und den Hubertus sauer zu machen. Wo man doch so nett zusammen ist. Im Adlon. Am Brandenburger Tor.
Hartmann ist ohnehin ein unentdecktes Talent des Rede-Geschwurbels. So stellt sich der Tourismusgipfel schon vorab die Frage: „Zeitenwende auch in der Tourismuswirtschaft?“ Drunter macht es heute keiner mehr. Zeitenwende am kalten Buffet beim Häppchenessen. Danach Zeitenwende beim Händeabwischen. Und noch später Zeitenwende auf der Toi… aber das führt zu weit.
Doch der Verband verteidigt seinen Präsidenten: „Andererseits hatte er auch deutliche Forderungen an die Politik“: Die Politik müsse Innovationen und Forschung vorantreiben. Das ist schon ein Hund dieser Hartmann. Überall heißt es: Innovation wollen wir nicht. Forschung raus! Und da kommt er und knallt dem Robert Habeck knallhart ins Gesicht: Die Politik müsse Innovationen und Forschung vorantreiben. Zack. Das hat gesessen.
Dann will Hartmann noch Bürokratieabbau, was super ist. Das kann man in Deutschland seit 30 Jahren fordern, ohne dass irgendwer was dagegen sagt – oder irgendwas passiert. Und dann will Hartmann keine Steuererhöhungen. Senkungen zu fordern, traut er sich nicht, schließlich will er es sich mit dem Robert, dem Volker und dem Hubertus nicht verderben, da darf die Laune nicht zu schlecht werden, sonst kommt es noch zu einer Zeitenwende in der Stimmung.
Wie wird es ausgehen? Die schnelleren Visa wird die Tourismuswirtschaft bekommen, die sind ohnehin im Sinne der Ampel. Ob dann wirklich die notwendigen Arbeitskräfte kommen? Ach, dieses Mal klappt’s bestimmt. Die höheren Steuern, die Einschränkungen von Reisen und den Ausbau statt der Bürokratie bekommt der Bundesverband der Deutschen Tourismuswirtschaft aber halt auch. Doch der Sören und der Sven können sich sagen, dass sie ja dem Robert, dem Volker und dem Hubertus knallhart die Meinung gesagt hätten. Zwischen den Zeilen. Und dass die sich das ja alles ganz offen angehört haben. Mehr Interessen der Wirtschaft vertreten Interessenvertreter der Wirtschaft in Deutschland nicht mehr. Dass die Kennzahlen nach unten gehen, hat mit ihnen halt auch zu tun.
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