Tichys Einblick
Plagiatsvorwurf

Warum die fragwürdige Dissertation von Patrick Graichen keine Petitesse ist

Man könnte den Fall Graichen als erledigt ansehen. Lenken die Plagiatsvorwürfen nicht von der Öko-Lobby ab? Doch an Graichens Doktorarbeit hängt mehr als nur seine persönliche Reputation.

IMAGO / Jürgen Heinrich

Die Personalie Patrick Graichen ist erledigt. Warum nun mit einer möglichen Plagiatsaffäre nachlegen? Auf den ersten Blick lenkt die Frage, ob der ehemalige Staatssekretär bei der Dissertation unsauber gearbeitet oder gar plagiiert hat, vom eigentlichen Thema ab. Denn nicht Graichen, sondern das grüne Lobbynetzwerk muss der Kernpunkt journalistischen Eifers sein.

Ähnlich wie der Spiegel die Agora-Affäre als Trauzeugen-Affäre kleinhalten will, könnte die Dissertations-Affäre das Geschehen noch weiter auf Graichen selbst personalisieren. Indem man sich an Graichen abarbeitet, geht der Story die Luft aus. Man bringt Graichen als „Menschenopfer“ – nicht die Wortwahl von TE, sondern die von Robert Habeck – um wieder zur Routine zurückzukehren.

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Denn mit Udo Philipps und seinen Start-up-Verstrickungen ist der nächste Staatssekretär im Bundeswirtschaftsministerium angezählt. Würde ein zweiter Staatssekretär geschasst, dann wird aus dem Einzelfall eine prinzipielle Frage nach der Führung im Ministerium. Spätestens dann ist Habeck auch Olaf Scholz Rechenschaft schuldig.

Doch die Frage danach, ob Graichen wissenschaftlich gearbeitet hat, ist eine imminent wichtige Frage. Denn Graichen war nicht nur Staatssekretär, sondern Direktor eben jener Denkfabrik, die sich in den Ministerien verdrahtet hat. Die Kritik an Graichen hat man damit zurückgewiesen, dass die wissenschaftliche Expertise der Agora unbestritten sei. Grüne Politiker berufen sich auf ihre Studien.

Genau das ist der Knackpunkt: „Team Wissenschaft“ steht nackt da, wenn der Think Tank, dem es jahrelang vertraut hat, sich als unseriös herausstellt. Rainer Baake hat die Agora 2012 ins Leben gerufen, von 2014 bis 2021 hat Graichen sie geleitet. Heißt: Graichen war und ist die prägende Persönlichkeit dieser NGO. Aber wie glaubwürdig ist ein Institut, das wissenschaftliche Studien lanciert, wenn dessen langjähriger Leiter unter Plagiatsverdacht steht?

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Der Plagiats-Fachmann Jochen Zenthöfer hatte die Doktorarbeit zuvor für die Bild am Sonntag überprüft und 30 Plagiatsfragmente beanstandet. Verstöße gegen die gute wissenschaftliche Praxis seien evident, auch „Täuschungsabsicht ist naheliegend“. Der Ex-Agora-Direktor suggeriere dem Leser, eigene Gedanken zu äußern, während er in Wirklichkeit aus Aufsätzen des Umweltsoziologen Karl-Werner Brand zitieren. Graichen handele sich „an diesen Aufsätzen entlang“, unterlasse es aber, die Quellen der fremden Gedanken anzugeben, so Zenthöfer.

Deswegen hat Graichen rasch geantwortet („Der wissenschaftliche Kern der Arbeit ist von der geäußerten Kritik nach meiner Ansicht nicht betroffen“) und die neuerliche Überprüfung seiner Dissertation durch die Universität Heidelberg angeboten. Er weiß: wenn sich diese Vorwürfe als richtig erweisen, dann ist nicht nur seine persönliche Reputation erledigt – sondern auch die seiner Denkfabrik. Und damit auch ein gutes Stück jener Argumentation der Klimaaktivisten und -extremisten, die behaupten, sie allein hätten die Wissenschaft gepachtet.

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