Patrick Graichen muss gehen. Wirtschaftsminister Robert Habeck hat seine schützende Hand zurückgezogen. Das mag überraschen, wenn man an die Befragung hinter verschlossenen Türen denkt, nach der Habeck den Ex-Direktor der Agora Energiewende verteidigte. Doch es gibt einen Präzedenzfall. Auch Innenminister Horst Seehofer stellte sich bei einer Befragung des damaligen Bundesverfassungschefs Hans-Georg Maaßen vor seinen Beamten. Was danach geschah, ist bekannt. Jemandem sein Vertrauen auszusprechen, ist seit der Ära Merkel zu einer Drohung geworden.
Nun also Graichen. Die Medien haben sich in den letzten Wochen vor allem auf Schwester Verena und Bruder Jakob im Öko-Institut und den Trauzeugen Michael Schäfer gestürzt. Von der „Trauzeugen“-Affäre ist mittlerweile die Rede, und vielleicht wird sie als solche auch in die Zeitgeschichte eingehen. Es ist eben nicht die „Öko-Institut“-Affäre oder gar die „Agora-Affäre“ oder die „grüne Lobby“-Affäre. Die deutsche Presse hält an der Einordnung als menschelndes Phänomen fest. Doch der „Graichen-Clan“ ist nur ein Segment einer international vernetzten grünen Interessengemeinschaft, die unser Leben durch eine „große Transformation“ nachhaltig verändern will.
Als TE sich zum ersten Mal mit Graichen beschäftigte, war das kurz nach seiner Berufung. Nicht die verwandtschaftlichen Beziehungen (um die ging es kurze Zeit später) standen für uns im Mittelpunkt, sondern Graichens Herkunft als astreiner Lobbyvertreter, dessen Think-Tank Geld aus Übersee erhält und national eine knallharte Energiepolitik vorantreibt. Für die Agora stand bereits 2016 fest: Der Verbrenner muss ab 2030 weg. Und sie ist über Staatssekretäre nicht nur im Wirtschaftsministerium vernetzt. Sie hat unter ihrem Gründer Rainer Baake – Staatssekretär im Umweltministerium, dann Co-Geschäftsführer der Deutschen Umwelthilfe, anschließend Staatssekretär im Wirtschaftsministerium, zuletzt Gründer der Stiftung Klimaneutralität – sich in alle Teilbereiche vernetzt.
Die Anti-Diesel-Kampagne, die Finanzierung aus Übersee, die „schrecklich nette Familie“ Graichen, grün-ideologische Projekte, ein eng verzahntes System derselben Persönlichkeiten zeichnen einen Komplex aus, der die deutsche Energiewende formt und antreibt. Graichen ist nur dessen bekannteste Person. Die Berichterstattung legt ihren Schwerpunkt immer noch auf familiäre Zusammenhänge, nicht aber auf das eigentliche Problem: die Unterwanderung der parlamentarischen Demokratie durch eine Öko-Lobby.
Graichen ist deswegen nur ein Kopf der Hydra. Schlägt man ihn ab, folgen sogleich zwei neue. Das wissen nicht nur Graichens Freunde in der Agora, dem Öko-Institut oder bei der Stiftung Klimaneutralität. Das weiß auch der Bundeswirtschaftsminister selbst. Staatssekretär Sven Giegold etwa ist Mitglied im Europa-Rat der Agora. Michael Kellner, Graichens Schwager, bleibt Parlamentarischer Staatssekretär. Und im Umweltministerium, Verkehrsministerium, Innenministerium und Entwicklungsministerium sitzen immer noch Graichens Agora-Leute.
Habeck denkt, mit der Enthauptung Graichens Luft zu gewinnen. Es soll eine Affäre Graichen bleiben – keine Affäre Agora. Das Wirtschaftsministerium wusste vom ersten Tag an über den Graichen-Clan und seine Vernetzungen. Habeck hat ihn dennoch reingeholt – wie auch andere Beamte, die ohne Ausschreibung auf ihre Stellen kamen. Im besten Fall hat der blauäugige Minister auf Rat der Vernetzer gehört und deren Amigos in den grünen Sumpf eingeladen. Das hieße jedoch, dass Habeck nicht wirklich der Chef seines Ministeriums ist. Ob gewusst oder nicht: Beides disqualifizierte den Minister für sein Amt. Die Affäre Graichen soll sich nicht ausbreiten. In Wirklichkeit ist sie bereits längst eine Affäre Habeck. Der ganze Sumpf muss trockengelegt werden. Und dazu gehören nicht nur Graichens Freunde, Alliierte und Schwippschwager, sondern auch der Minister selbst.