Tichys Einblick
Sittenbild der Generation „Schwamm drüber“

Wie sich Habeck und Graichen im Ausschuss zur Trauzeugen-Affäre benahmen

Das Protokoll der Befragung von Robert Habeck und Patrick Graichen im Wirtschaftsausschuss offenbart einen genervten und patzigen Vizekanzler, sowie keinerlei Einsicht der Beteiligten in die Problematik der etablierten Verbindungen zwischen NGOs, Investoren und Politik. Man kennt sich halt und findet das auch ganz okay.

Staatssekretär Patrick Graichen und Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck, 10. Mai 2023

IMAGO / photothek

Man kennt sich. Auf diese einfache Formel lässt sich die Lektion der Graichen’schen Trauzeugen-Affäre nach der gemeinsamen Sitzung des Wirtschafts- und Klimaschutzausschusses letzte Woche reduzieren. Hätte die Stelle als Geschäftsführer bei der Deutschen Energie-Agentur (dena) nicht Trauzeuge Michael Schäfer bekommen, sie wäre wohl an einen anderen Bekannten oder Freund gegangen. Das spricht zwar niemand direkt an, aber das liegt wahrscheinlich daran, dass solche Prozesse in bestimmten Kreisen als vollkommen normal angesehen werden. Der Rest der Sitzung ist voll von fast schon barocken Verzierungen, Ablenkungsmanövern und Selbstinszenierungen, die anscheinend vom Wesentlichen ablenken und doch dazu beitragen.

Grüne Spezl-Wirtschaft
Der Graichen-Trauzeugen-Skandal oder Bewerbungsverfahren in Habecks Würstelbude
Der zentrale Stern, um den sich in der heliozentrischen Sitzung alles drehte, ist natürlich Robert Habeck, oberster Verantwortlicher für den Skandal und Hoffnungsträger der Generation „Schwamm drüber“ der Grünen. Wiederholt forderte der Vizekanzler, man müsse die Dinge „differenziert betrachten“, was wohl so viel bedeutet, wie eine Sache sagen, die andere Sache tun, und beide Sachen nicht miteinander in Verbindung zu bringen. Ein einfaches Beispiel: Eingangs betonte Habeck, er wäre dafür, dass die Sitzung öffentlich stattfände. Als kurze Zeit später aber ein Antrag eingebracht wurde, um die Sitzung doch öffentlich zu machen, stimmten die anwesenden grünen Fraktionsmitglieder gegen die Öffentlichkeit, ein Umstand auf den Habeck – natürlich folgenlos – später auch vom Abgeordneten der Linken, Ralph Lenkert, angesprochen wurde. Der Focus berichtet dennoch nur von Habecks Bedauern, nicht aber von den eingebauten Verhinderungsmechanismen.

Habeck spricht auch gerne und vermeintlich offen über Macht. Es ist Teil seiner Anziehungskraft, die sich aus dieser scheinbaren Ehrlichkeit speist. Er sagt, wie es ist, und – um es mit seinen Worten zu sagen – „das ist auch okay“. Sie alle wären Politiker und darum wüsste man, dass es „nicht immer um Sachaufklärung, sondern um Macht, um Machtinteressen“ ginge. So weit, so herrschaftlich. Doch dann kommt auch schon wieder der Appell zur Differenzierung, „zumindest von meiner Seite“, so Habeck. Dann schießt Habeck den Vogel ab: 

„In den letzten Wochen und Monaten, und das möchte ich gerne voranstellen, wurde mit einer Härte und teilweise einer Häme, die weit über das übliche Maß hinausgeht, geredet und gearbeitet. Dabei wurden Unterstellungen und Unwahrheiten in die Welt gesetzt. Es fielen böse Formulierungen und die Arbeit des gesamten Wirtschaftsministeriums ist teilweise diffamiert worden.“

Ausgerechnet ein Minister und Vizekanzler der Grünen beklagt nun mangelnden Respekt vor dem politischen Gegner! Er behauptet zum wiederholten Male, es handle sich um „Unterstellungen“ und „Unwahrheiten“, ohne darauf einzugehen, welche Aspekte nun tatsächlich „unwahr“ wären. Und es fielen „böse Formulierungen“? Böser als zum Beispiel „Deutschland hat eine eklige, weiße Mehrheitsgesellschaft“ (Sarah-Lee Heinrich), „Natürlich kennen die Grünen Vaterlandsliebe! Wir kennen und verachten sie“ (Timon Dzienus), oder „Rassismus gegen Deutsche ist richtig und wichtig“ (Sibel Schick)? Kann es sein, dass Robert Habeck mit zweierlei Maß misst?

Als Häuptling Robert zu Häuptling „Kurze Lunte“ wurde

Natürlich tut er das. Wenn Habeck von „Macht und Machtinteressen“ spricht, dann meint er damit den politischen Gegner, der sich nur aus solchen Interessen gegen ihn und seine Politik stellt. Für sich selbst hingegen beansprucht Habeck, ohne es auszusprechen, an der Macht zu sein und die Freiheit, man solle ihn gefälligst unbehelligt seine Arbeit machen lassen. Die Genervtheit, mit der Habeck auf jede Kritik an sich, seinem Ministerium und seiner Partei reagiert, ist getragen von einem Geist, den er auch in diesem Ausschuss ungefähr so zum Ausdruck brachte: Es sind Fehler begangen worden, okay, aber das ist menschlich. Da werden wir was dagegen tun. Zumindest geben wir aber zu, dass wir Fehler gemacht haben, andere, die das nicht zugeben, sind nicht so reflektiert, also was wollt ihr noch? Lasst uns einfach weiter arbeiten. Ähnlichkeiten zu Franziska Giffey und ihrer damaligen Hoffnung, einfach weiter regieren zu dürfen, statt neu wählen zu müssen, sind rein zufällig.

Grüner Sumpf weitet sich weiter aus:
Habecks nächster Staatssekretär – Nachhaltig in eigener Sache?
Darauf angesprochen, was nun genau passieren würde, um so etwas in Zukunft zu verhindern, kommt Habeck nicht weiter, als immer wieder auf die „sehr, sehr strengen“ Compliance-Regeln zu verweisen, bei denen nochmal nachgebessert werden soll. Erst nach mehrmaligem Nachbohren gab es ein Beispiel für solch eine Nachbesserung: Zukünftig würde auf einem Fragebogen eine weitere Frage aufscheinen, ob freundschaftliche oder sonstige Naheverhältnisse bestünden. Da wird die Luft für Hal Harvey dann schon richtig dünn. Oder wie Staatssekretärin Anja Hajduk es formulierte: „Wenn ein Fehler in der Anwendung passiert, muss nicht unbedingt die Regel schlecht sein, sondern es eine Fehlerkultur geben, in der man einen Fehler klar einräumt und ihn auch erklärt.“

Ja, so sind sie, die Grünen. Wo andere nur Fehler machen und diese nicht eingestehen, haben die Grünen sogar eine ganze Fehlerkultur. Sie erklären ihre Fehler sogar. So nutzten Habeck und Graichen gleich mehrmals die Gelegenheit, die Postenbesetzungen der Familie Graichen und die gesamte Energiewende durch Entscheidungen der Vorgängerregierung zu erklären. Vor den Augen der Öffentlichkeit entfaltet sich somit ein politisches Ballett größter Finesse. Die Grünen beanspruchen für sich Fehlerkultur, die darin besteht zu sagen „Fehler, okay, Schwamm drüber“, dann der CDU – nebenbei nicht unbegründet – die implizite Schuld dafür zu geben, die grüne Politik salonfähig gemacht zu haben, ein Vorwurf wiederum, gegen den sich die CDU nicht wehrt, wofür ihr im Umkehrschluss das Recht zukommt, in Form von Julia Klöckner im Ausschuss die einzigen kritischen Fragen zu stellen, denen nicht mit Spott und Missgunst begegnet wird. Ein Ränkespiel, das den königlichen Hof in Versailles vor Neid erblassen ließe, vor allem wenn man auch noch die anderen Parteien mit einbezieht.

Ritualisiertes Ränkespiel am Hofe Roberts I.

Da wären zunächst einmal die Grünen selbst. Gleich mehrere Abgeordnete fungierten hier als Kelchträger und Steigbügelhalter für Sonnenkönig Habeck. Ingrid Nestle gönnte ihrem Chef die erste Atempause, als sie zu Protokoll gab, wie beeindruckend sie es finde, „wie klar Patrick Graichen selbst, aber auch Minister Habeck, einfach sagen: Hier ist ein Fehler passiert“. Für alle, die es zu dem Zeitpunkt noch immer nicht wussten, legt sie dar: Alle Menschen machen Fehler. Es wäre zwar gut, wenn es „nicht zu viele“ wären, „aber einer passiert jedem ab und zu“. Entscheidend sei, wie man damit umgehe. „Ein sehr viel transparenteres Verfahren als dieses ist an dieser Stelle nicht denkbar“.

Auch die zweite Abgeordnete der Grünen, Sandra Detzer, huldigte der Arbeit des Ministeriums, als sie hervorhob, was für tolle Arbeit Patrick Graichen bei der Beilegung der Energiekrise geleistet habe. Das stieß auch bei Habeck auf offene Ohren und erlaubte ihm wieder einmal zu betonen, dass das vergangene Jahr „wirklich ein Hochleistungssportjahr“ für das Ministerium war und Patrick Graichen die Deutschen quasi eigenhändig vor dem Kältetod bewahrt hätte. Bei solchen Leistungen muss man halt auch mal über Fehler hinwegsehen, denn Fehler machen alle Menschen, usw. usf. Ob die beiden Damen am Ende ihres Lobgesangs Habecks Siegelring küssten, ist im Protokoll leider nicht festgehalten.

Hütchenspiel statt Aufklärung:
Neues aus Habeckgate – Die Trauzeugen-Affäre und der viel größere Skandal dahinter
Eine besondere Rolle im Hofstaat kommt auch der AfD zu. Denn wenngleich sie scharfe und gerechtfertigte Kritik übte, so gelang es gleich dem ersten Fragesteller, Rainer Kraft, mit seiner Wortwahl vom „parasitären Netzwerk von Beratergremien“ die unvermeidliche Nazi-Thematik zum wichtigsten Nebenschauplatz des Ausschusses zu machen. Sie erlaubte es Robert Habeck, die Frage nach den Konsequenzen des Fehlers bei der Bestellung von Michael Schäfer zur Nebensache in seiner Replik zu machen, in der er sich stattdessen als dominanter Moral- und Sprachwächter zeigte, als er „Worte wie parasitär“ der „dunkelsten Geschichte der deutschen Zeit“ zurechnete. „Hören Sie mir gut zu, Herr Abgeordneter – damit werden Menschen zu Ungeziefer gemacht.“ Die spätere Frage des AfD-Abgeordneten Karsten Hilse, wie Habeck denn dann zu Zitaten wie „Impfgegner sind gefährliche Sozialschädlinge“ (Rainer Stinner/FDP), „Demonstranten sind Aasgeier der Pandemie“ (Winfried Kretschmann/Grüne), oder „Schweizer Grüne fordern Kennzeichnung von Ungeimpften, sie können Sticker tragen“ stünde, führte allerdings nur zur lapidaren Feststellung Habecks, es handle sich hierbei nur um einen Versuch der „Relativierung“.

Damit aber war das Feld gut abgesteckt und bis zum Ende der Sitzung beteiligten sich fast alle Redner am Ritual des Hinweises auf die Ungeheuerlichkeit der Wortwahl von Rainer Kraft. Der Abgeordnete der FDP, Michael Kruse, fand auch den Kraft-Ausdruck Inzuchtgremien „unerträglich“ und Habeck selbst legte noch einmal nach, dass er nicht bereit ist, „am Tag der Bücherverbrennung Begriffe aus dem Faschismus hier zu ertragen“. Die Frage von Rainer Kraft, wie sich die Zusammenarbeit der Agora mit drei chinesischen Beratungsinstituten erklärt, wurde bereits zuvor von Habeck mit einem Seitenhieb auf die Position der AfD hinsichtlich des Kriegs in der Ukraine abgeschmettert.

Patrick Graichen unter seinesgleichen

In diesem beeindruckenden Schauspiel, in dem jeder und jede Partei ihre eigene Rolle zu spielen hatte, gab es allerdings noch einen weiteren Faktor und zwar Patrick Graichen selbst. Vor allem im Verhör mit Julia Klöckner offenbarte sich die Problematik der Methode, die diesen Netzwerken innewohnt. Graichen wusste zwar von Michael Schäfers geplanter Bewerbung, hatte ihn selbst aber nicht der Bewerbungskommission empfohlen. Allerdings hatte Graichen sehr wohl andere Kandidaten für den Posten vorgeschlagen, die wohl auch in die engere Auswahl kamen. Graichen kannte sie unterschiedlich gut, aber immerhin so gut, dass er 4 von 6 Kandidaten, die in die engere Auswahl kamen, duzte. Ob Graichen bei seiner Empfehlung Kandidaten vorschlug, die er zwar kannte, von denen er aber wusste, dass sie dem Anforderungsprofil weniger entsprachen als Michael Schäfer, lässt sich nicht beweisen. Denn die vielzitierte Einstimmigkeit über die Bestellung von Michael Schäfer muss eben nicht allein ein Resultat von offensichtlichem Protektionismus sein, sondern könnte auch lediglich auf das beste Angebot in der Auswahl zurückgeführt werden.

Habecks Anhörung im Bundestag:
Jede Menge offener Fragen: Habeck kettet sich an seinen Staatssekretär
Und selbst wenn das nicht der Fall war, so offenbart sich doch, dass, wenn Michael Schäfer die Stelle nicht bekommen hätte, ein anderer Bekannter oder Freund von Patrick Graichen wohl zum Zug gekommen wäre. Man kennt sich halt und ein steter Wechsel des Führungspersonals von NGOs zu Regierungen und in die Privatwirtschaft ist in diesen Kreisen – wie auch die Twitter Files eindrücklich belegen – gang und gäbe. Ab welchem Zeitpunkt zählt eine Bekanntschaft als Freundschaft? Und was, wenn die vermeintlich qualifizierten Eliten für diese Jobs sich alle untereinander kennen und mehr oder weniger befreundet sind? Deshalb berufen sich Habeck, Graichen und Co. immer wieder auf die Compliance-Regeln, denn diese dienen nicht wirklich der Verhinderung solcher Netzwerke und Konstrukte, sondern ihrer Ermöglichung, Legitimierung und Verschleierung.

Der Fehler, der unterlief, war für Habeck und Graichen nicht die Bestellung von Michael Schäfer, sondern dass es aufflog, weil man sich nicht genug hinter den Regeln versteckte. Das holten Habeck und Graichen im Ausschuss nach. Jede Frage nach möglichen Konsequenzen der Affäre wurde mit einem Verweis auf undurchsichtige „Prozesse“ und „Untersuchungen“ abgetan, man müsse sich das „in Ruhe angucken und dann entscheiden“. Man könnte es auch aussitzen nennen. Denn letztlich ist man sich im Ministerium Robert Habecks sicher, dass hier die Besten der Besten arbeiten, neue Eliten, befreundet seit Jahrzehnten und groß geworden in unzähligen grünen Organisationen wie der Agora. Und wir Störenfriede sollen die jetzt doch endlich mal ihre Arbeit machen lassen, Fehler hin oder her.

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