In einem Bericht über eine Reform der EU-Finanzierung, den das Parlament am Mittwoch mit großer Mehrheit angenommen hat, wurde ein bizarrer Vorschlag versteckt, den zwei Abgeordnete der Liberalen und der Europäischen Volkspartei schon im Januar ins Spiel gebracht hatten: Alle Importeure, die Produkte aus Entwicklungsländern einführen, deren Arbeitslohn zu gering ist, sollen Geld an die EU (also nicht an die Arbeiter) zahlen. Der Name der Idee heißt „Fair Border Tax“ oder inzwischen auch „Fair Border Mechanism“.
Ein Kleiderproduzent beim Export in die EU müsste beim Zoll die Gehaltskosten seiner Arbeiter und Angestellten angeben und die Differenz zu einem fiktiven Mindestlohn als Steuer an die EU zahlen.
In Bangladesch zum Beispiel liegt die Armutsgrenze bei einem Tageslohn von rund 3,65 US-Dollar. Wenn sich herausstellt, dass die Arbeiter 2,60 US-Dollar pro Tag erhalten, müsste das kleiderproduzierende Unternehmen die Differenz, also 1,05 US-Dollar nicht an die Arbeiter, sondern an die EU zahlen. Die EU möchte also im Namen der Gerechtigkeit an gering verdienenden Arbeitern in der Dritten Welt verdienen, in der Hoffnung, dass diese deshalb besser bezahlt werden.
Bei alldem ist natürlich zu bedenken, dass die Preise in Bangladesch für Alltagsgüter nur ein Zehntel der in Deutschland sind. Ein sättigender Linseneintopf (dhal) ist zum Beispiel für 60 Cent im Imbiss zu erhalten.
Niedriglöhne aus der Dritten Welt sollen EU-Kassen füllen
Der Differenz der geringen Löhne der Entwicklungsländer zu einem von Weltbank definierten „Mindestlohn“ sollen also die Kassen der EU füllen. Das soll angeblich dafür sorgen, dass die Löhne dort steigen und damit nichts mehr in die EU-Kassen fließt. Das Motto: Füll mir die Taschen, auf dass sie leer bleiben.
Noch irrer ist allerdings, dass dies im Europäischen Parlament mit Mehrheit angenommen wurde. Die Kenntnis der Dritten Welt scheint sich hier auf TV-Filme und woke Dokus zu beschränken. Wer von den beteiligten Parlamentariern hat denn schon einmal längere Lebenszeit in der Dritten Welt verbracht? Wer hat Kenntnisse vom Leben in Entwicklungsländern? Offensichtlich niemand.
Der Realitäts-Check
Nehmen wir den Unsinn einfach einmal ernst. Nehmen wir also an, an der Herstellung eines Mantels sind zehn Arbeiter und einige Angestellte beteiligt und alle verdienen unterschiedlich. Wofür bekommt die EU dann was von wem? Der FDP-Europaabgeordnete Moritz Körner zur Fair Border Tax: „Wenn bei jeder Socke, die in die EU geliefert wird, die übersetzten Gehaltszettel aller an der Produktion der Socke Beteiligten überprüft werden müssen, bricht nach einem Tag der Zoll zusammen“, meint Körner.
Die EU isoliert sich auch ökonomisch in der Welt und will die Welt mit ihrer Moral retten. China, als „systemischer“ Rivale, braucht eigentlich nur zusehen, wie sich die EU selbst ruiniert.
Wer Gutes will und Böses schafft
Darüber hinaus gibt es noch viel grundsätzlichere Einwände aus Sicht der Entwicklungsländer. Sehen wir uns doch in der Dritten Welt um. Eine Stadt in Bangladesch. Zehn Textilfabriken. Eine produziert für C&A und erhöht den Lohn der Arbeiter von 2,65 Dollar auf die geforderten 3,65 Dollar pro Tag, zusätzlich verbessert die Fabrik die Arbeitsbedingungen. Aus Sicht der Arbeiter sind die Bedingungen in dieser einen Fabrik nun traumhaft.
Die Arbeiter der neun anderen Fabriken, die für das eigene Land, für China, Afrika, Südamerika usw. produzieren, erhalten natürlich nach wie vor 2,60 Dollar und sie arbeiten unter viel schlechteren Bedingungen. Aber diese sind immer noch sehr deutlich besser als die Bedingungen auf dem Reisfeld. Genau deshalb sind sie ja vom Land in die Fabrik arbeiten gegangen. Die Fabrikarbeit für 2,60 Dollar pro Tag hat ihre Lebensbedingungen deutlich verbessert.
Würde der Lohn auf 3,60 Dollar erhöht, wäre die C&A-Näherin noch privilegierter, als sie es schon vorher war. Die Nudelsuppenverkäuferin erhält nämlich nur 2 Dollar, der junge Kellner sogar nur 1,50 Dollar pro Tag, aber damit immer noch mehr als der Reisbauer auf dem Land, denn deshalb sind ja alle in die Stadt gezogen.
Übrigens erhält der lokale Käufer eines T-Shirts in Bangladesch oft noch weniger Lohn. Er ist darauf angewiesen, dass so billig produziert wird, sonst könnte er sich kein T-Shirt mehr leisten.
Korruption verschärft sich
Durch Projekte wie den „Fair Order Mechanism“ oder das Lieferkettengesetz werden also neue soziale Ungleichgewichte geschaffen. Es passiert dann, was in solchen Situationen immer passiert: Korruption zieht ein.
Das weiß natürlich der Chef der Personalchefs und der sagt: Gib mir 20 Cent von deinen 50 Cent pro Näherin. Es entsteht eine der in der Dritten Welt beliebten Korruptionspyramiden. Je weiter oben, desto mehr bekommt der Chef. Und die haben viel bezahlt, um ihren Posten zu bekommen. Also muss sich das Ganze lohnen.
Das Ergebnis des „Fair Order Mechanism“ wird Unfairness sein – en gros und en detail. In den Entwicklungsländern will jeder etwas vom Kuchen abhaben, die korrupten Strukturen werden ausgebaut, ein paar Arbeiter haben etwas mehr und die „guten“ EU-Bürger bezahlen wesentlich mehr für die Importe, zum Beispiel für Kleidung, denn die überbordende Bürokratie müssen sie ja auch bezahlen.
Wollte man dem „Fair Order Mechanism“ einen fairen Namen geben, dann müsste man es „Bürokratiebeschaffungsgesetz“ nennen, „naiv-unfaires Abzockungsgesetz“ wäre auch ein treffender Name.
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