Tichys Einblick
Bürgerräte

Wie das Volk als Souverän entmündigt wird

Manchmal sieht nach Demokratie aus, was ihre Abschaffung bedeutet. Bei den "Bürgerräten", die Politiker nun einrichten, ist diese Gefahr besonders groß.

IMAGO / epd

Die Volkssouveränität und die Gewaltenteilung sind tragende Säulen eines freiheitlich-demokratischen Rechtsstaates. „Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus.“ So lautet Artikel 20 (2) Grundgesetz. Und: Legislative, Exekutive und Judikative sind an Verfassung, Gesetz und Recht gebunden. So steht es in GG-Artikel 20(3). Beides scheint allerdings im „besten Deutschland, das wir je hatten“ (Frank-Walter-Steinmeier 2020) nicht mehr zu gelten.

Das Volk, der dumme Lümmel, der schafsgeduldige deutsche Untertan, hat nichts zu sagen. Nicht einmal sein Staatsoberhaupt darf er selbst wählen. Eines seiner Kerngüter, die Sprache, wird ihm „gendergerecht“ enteignet. Und in die Parlamente kann er nur Leute wählen, die von Parteioberen erst in Hinterzimmern, dann im Schnellverfahren auf Parteitagen auf Wahllisten gesetzt werden. Angela Merkel hat dieses System perfektioniert, die „Ampel“ erntet die Früchte und toppt das System.

Der oberste Repräsentant des deutschen Volkes, die Legislative mit ihren 736 Abgeordneten, irrlichtert an der kurzen Leine der Exekutive, also der Regierenden, vor sich hin. Das freie Gewissen der Abgeordneten bei Abstimmungen ist das Papier des Grundgesetzes Artikel 38 nicht wert. Die „Volksvertreter“ sind das Stimm- und Klatschvieh ihrer Partei- und Fraktionschefs.

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Argument und Gegenargument: das war einmal
Die Exekutive als ausführendes Organ ist an den Spitzen mit Parteivorderen besetzt, die nicht selten ein wahrlich zutreffendes Beispiel für den Fachkräftemangel Deutschlands abgeben. So manche Ministerin und mancher Minister sind zum Fremdschämen. Im zweiten und dritten Glied der exekutiven Spitzen (Staatssekretäre, Abteilungsleiter) finden wir Parteisoldaten oder parteiaffine ehemalige NGO-Aktivisten. Siehe das Vettern-Wirtschaftsministerium eines Herrn Habeck. Siehe das Auswärtige Amt einer Frau Baerbock.

Die Judikative, vor allem im Bundesverfassungsgericht, wird nach Parteienproporz besetzt. Kein Wunder, wenn dann aus Karlsruhe schräge Urteile zustande kommen: zum Klima, zu Corona, zur Finanzierung des Öffentlich-Rechtlichen Rundfunks (ÖRR), zum Euro, zur Abtretung nationaler Souveränitätsrechte an die EU.

Die arrivierte Presse, die sich gern „vierte Gewalt“ nennt, ist kein Kontrollorgan mehr, sondern ein Transmissionsriemen der Regierenden. Siehe Klima, Corona usw. Vor allem die jährlich 8,4 Milliarden, täglich also 22 Millionen Euro kassierende öffentlich-rechtliche Monokultur mit ihren 21 Fernseh- und 74 Hörfunk-Programmen und die „woken“ Medienhäuser in den gentrifizierten Blasen in Hamburg und Berlin haben sich mit ihrer Affinität zu „grün“ und „rot“ nicht zu Unrecht den Ruf eingehandelt, regierungsamtliche Apportier- und Akklamationseinrichtungen zu sein.

Was eine fünfte „Gewalt“ sein könnte und wohin sie gehört, haben wir bereits angedeutet: Viele NGOs sind Teil des Staatsapparates, wie das System „Habeck/Graichen“ in erschreckender Weise belegt, und sie werden, um ja regierungstreu zu sein, mit Abermillionen an Steuergeld üppigst alimentiert. Kirchen und Kapitel fallen als eigene politische Kräfte ohnehin aus, seit sie sich ins „Wokeness“-Lager eingereiht haben.

Und jetzt auch noch ein „Bürgerrat“. Es soll „nach Demokratie aussehen“

Vor dem Hintergrund des vorab Geschilderten sowie der ohnehin schon aufgeblähten Apparate und Seilschaften kriegt man die Tür nicht mehr zu, wenn man jetzt vernimmt: Der Bundestag soll künftig von einem „Bürgerrat“ beraten werden. 160 per Los „zufällig“ ausgewählte Bürger sollen dort sitzen. Der Bundesstaat Deutschland mit seinen 736 Bundestagsabgeordneten, 1.897 Landtagsabgeordneten, weit über 200 Bundes- und Landesministerien, 500.000 Bundesbediensteten und insgesamt 5 Millionen „öffentlich Bediensteten“, 42 Regierungsbeauftragten allein auf Bundesebene, zig Ethik-, Corona, Klima-, Pflege-, Wirtschafts- und Rechtschreib-Räten braucht nun also einen „Bürgerrat“.  „Rat“ heißt in der russischen Sprache „sowjet“. Deshalb nennen wir diese Einrichtung semantisch korrekt eine Sowjetisierung der Republik. „Alle Macht den Räten!“ (Lenin 1917/18). So weit sind wir noch nicht. Aber ein wenig historisches Wissen könnte nicht schaden. Denn wer die Geschichte ignoriert, muss darauf gefasst sein, dass er sie wiederholt.

Nun also ein Bürgerrat als neues Organ des Bundestages: „Zufällig“ sollen dafür 160 Leute (Mindestalter: 16) ausgewählt werden – aber bestimmt irgendwie repräsentativ hinmanipuliert: gendergerecht, nach Altersgruppen und Ethnien gerecht, regional gerecht, gerecht nach Bildungsabschluss …. Wer da wohl Namen in die Lostrommel einspeist!? Im September 2023 soll dieser „Rat“ starten. Er soll sich – ausgestattet mit 3 Millionen Euro und selbst wiederum koordiniert und beraten vom Verein „Mehr Demokratie“ – in einem ersten Anlauf mit „Ernährung im Wandel“ befassen.  40 Stunden soll man beraten. Ach ja: Unter den 160 „Räten“ werden auch vegetarisch und vegan Lebende sein. Wer schon mal die Liste an Verboten des Landwirtschafts- und Ernährungsministers sowie Cannabis-Freigabeministers Cem Özdemir (Grüne) angeschaut hat, kann erahnen, was dabei herauskommt.

Distanz zur Politik will man abbauen, Demokratie soll damit gelebt werden! Aber das ist Operettensatire, denn was hier auf den deutschen Michel zukommt, ist noch mehr Bevormundung, noch mehr Gouvernanten- und Erziehungsstaat – basisdemokratisch ummantelt. Demokratie total? Nein, totalitäre Schein-Demokratie! Ehrlicher wäre es zu sagen: Demokratur mit schöner Ummantelung. Wenn der „Bürgerrat“ sich im ersten Anlauf mit „Ernährung“ befassen soll, dann zeigt dies, dass es wieder einmal um eine 68er Wiedergeburt geht. Damals hieß es: Das Private ist politisch. Jetzt wird aus dem, was der Mensch isst und trinkt, ein ganz oben angesiedeltes Politikum. 

Deutscher Michel, pass auf, dass es nicht so kommt, wie von DDR-Staatsgründer Walter Ulbricht (1893 – 1973, KPD, ab 1946 SED) angekündigt, als er 1945 aus dem Moskauer Exil nach Deutschland zurückkehrte, um zumindest aus der Sowjetischen Besatzungszone (SBZ) einen Satellitenstaat Moskaus zu machen: „Es muß demokratisch aussehen, aber wir müssen alles in der Hand haben.“

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