Eine sonntägliche Talkshow vorzubereiten, ist eine schwierige Sache. Das große Thema der Woche ist die Vetternwirtschaft in Robert Habecks (Grüne) Wirtschaftsministerium. Aber das Thema fasst die ARD nicht gerne an. Anne Will könnte es framen: Sie könnte Habeck verteidigen, dass er in der Besetzung von hochbezahlten Stellen das „Deutschland-Tempo“ einlegt und Familien unterstützt – vor allem den Graichen-Clan. Doch dieses Framing traut sich nicht einmal Anne Will. Also lässt sie das Thema ganz.
Doch die ukrainische Armee lässt die Redaktion von Anne Will im Stich. Ein paar Explosionen, einige Anschläge. Aber 60 Minuten trägt das nicht. Diese tiefe Enttäuschung der Will-Redaktion können nur die Kollegen von der Bild nachempfinden, die seit über einem Jahr etwa dreimal die Woche das politische oder physische Ende Wladimir Putins voraussagen.
Die ukrainische Armee lässt die Will-Redaktion aber im Stich. Nun müssen also fünf Gäste aus dem Kanon der üblichen Talkshow-Gäste über eine Offensive fachsimpeln, die noch gar nicht gestartet ist. Das erinnert ein wenig an die Sendung Doppelpass auf Sport 1. Nur reden die halt in der Regel über Spiele, die schon stattgefunden haben. Außerdem gibt es ein Phrasenschwein, das Anne Will auch gut tun würde.
Es gibt spannende Ansätze in der Show. Bei denen Anne Will zuverlässig nicht nachhakt. Etwa Militär-Experte Wolfgang Ischinger. Der sagt, die Offensive werde nicht zu raumgreifenden Erfolgen führen, sondern aus seiner Sicht bestenfalls kleinere Geländegewinne mit sich bringen. Und Russland werde den Krieg mindestens bis in den November 2024 ziehen, um die Präsidentenwahl in den USA zu beeinflussen.
Wieso denn das? Haben uns die öffentlich-rechtlichen Medien und ein Großteil der Zeitungen nicht beigebracht, dass jeder ein Putin-Troll ist, der in der Ukraine einen „Stellvertreter-Krieg“ der USA laufen sieht? Sind solche Putin-Trolle nicht ausgeschlossen worden, sodass in Talkshows keine unterschiedlichen Meinungen mehr vorkommen? Welche Rolle spielt dann die US-Wahl in diesem Krieg? Die Antwort wäre spannend. Also ist sie in der größten Einschlafhilfe Deutschlands nicht zu erwarten.
Es hätte noch einen spannenden Moment gegeben: Der ehemalige ukrainische Botschafter Andrij Melnyk ist zugeschaltet. Der lobt die deutschen Waffenlieferungen: „Deutschland hat einen Quantensprung gemacht.“ Legt aber nach, drei Euro ins Phrasenschwein, nach der Lieferung ist vor der Lieferung. Deutschland müsse weitermachen. Als nächstes brauche sein Land zum Beispiel 50 Kampfjets.
Doch an der Stelle hat Will ein Tonproblem. Entweder hat sie keinen Assistenten, der ihr diese Forderung Melnyks nachträglich einflüstern konnte. Oder sie will diese nicht aufgreifen. Auf jeden Fall bleibt es bei der pauschalen Frage, ob Deutschland genug tue. Das ist so schön abstrakt, so schön willesk, dass die fünf Gäste stundenlang drüber reden könnten, ohne etwas zu sagen.
Es entspannt sich eine Debatte, die so spannend ist, wie das 1:0 Deutschlands 1982 gegen Österreich. Esken sagt, die Bundesregierung werde viel tun und es werde genug sein. Norbert Röttgen sagt, die Bundesregierung werde viel tun, aber es werde nicht genug sein. Das ist die Minute, sich wie 100.000 andere Zuschauer die Frage zu stellen, ob man abschalten will? Gute Nacht.