Manchmal lohnt es sich vielleicht doch, einen Satiriker im EU-Parlament zu haben. Martin Sonneborn von der „Partei für Arbeit, Rechtsstaat, Tierschutz, Elitenförderung und basisdemokratische Initiative“ (kurz: Die Partei) ist sozusagen der bessere Parlamentspoet, einer, der zumindest in manchen Punkten durch kritische Zeitgenossenschaft auffällt. So hatte Sonneborn einem breiteren deutschen Publikum jene Szenen nahegebracht, in denen Ursula von der Leyen sich den Fragen eines kritischen Reporters demonstrativ nicht stellte und um „Respekt“ bat. Nun legt der Ex-Titanic-Chefredakteur Sonneborn mit der nächsten Fortsetzung des Pfizer-Skandals um die EU-Kommissionschefin nach.
Kritische Fragen über dieses sehr spezielle Arbeitsverhältnis und die damit einhergehende ultra-spezielle Vertragsaushandlung bügelte Bourla persönlich mit Verweis auf die immense Sachkenntnis der befreundeten Kommissionschefin glatt. Es entstand der Eindruck, dass, wo die Reichen und Mächtigen sich einig sind, eine wie auch immer vermittelte öffentliche, demokratische Kontrolle – etwa im Rahmen von EU-Behörden und Agenturen – nicht mehr nötig gewesen sei.
Im September letzten Jahres stellte der EU-Rechnungshof offiziell fest, dass von der Leyen den Pfizer-Vertrag entgegen den Kommissionsregeln im Alleingang verhandelt hatte und dass dazu keinerlei Aufzeichnungen existieren, die man den Rechnungsprüfern hätte aushändigen können. Die Kommissionschefin verpflichtet die EU-Mitgliedsstaaten also dazu, zig Milliarden Euro für mRNA-Impfdosen auszugeben, die inzwischen kaum noch ein Patient abnimmt. Die in diesem Fall wirklich dummen EU-Mitglieder können nicht einmal erfahren, wie ein derart monströser, für sie bindender Vertrag wirklich entstanden ist. Die Geschichte dieses Deals ist wahrlich eine schwarze Seite im Buch der EU-Geschichte.
Ein anonymer Rechnungsprüfer bestätigte gegenüber Politico, dass das alles schon sehr außergewöhnlich sei. Die verschwundenen Leyen-Bourla-SMS (oder welche Kommunikationswege sie auch immer nutzten) waren vielleicht schon alles, was an „offiziellen“ Verhandlungen lief. Die laut einigen Kritikern unrechtmäßigen Vorverhandlungen der Kommissionschefin waren die Verhandlungen.
Pfizer verlängert seinen Vertrag und nimmt Stornogebühren ein
Nach der zum Himmel schreienden Korruption beim Abschluss jenes Vertrags mit dem mRNA-Oligopolisten gibt es nun anscheinend eine detaillierte Einigung mit der EU-Kommission über einen abgeänderten Vertrag, die sich aber bisher in einzelnen Artikeln der Financial Times und bei Reuters verlor. Außerdem fehlten dort einige Details. Mit den Nachverhandlungen kam die Kommission dem Drängen verschiedener EU-Staaten – zuletzt vor allem von Bulgarien, Polen, Litauen und Ungarn – nach, den bestehenden Vertrag mit Pfizer zu modifizieren, da er nicht mehr den eigenen Bedürfnissen entspreche.
Sonneborn spricht von einer „Stornogebühr“ (seine Anführungszeichen) von zehn Euro pro Dosis, was etwa dem halben Verkaufspreis entspricht. Und ja, das entspricht durchaus dem erwartbaren Geschäftsgebaren eines solchen Großkonzerns. Dabei hat Pfizer ja auf der anderen Seite herausverhandelt, dass die dieses Jahr ausbleibenden Dosen von 2024 an und bis 2026 fast alle geliefert werden können (70 Millionen pro Jahr, also insgesamt noch einmal 210 Millionen Dosen). Man büßte freilich die Option auf 900 zusätzliche Dosen ein, die von der EU nicht mehr aktiviert wurde.
Darüber hinaus, so Sonneborn, habe die EU aber auch einen höheren Preis für die noch zu liefernden Dosen akzeptiert – also in jedem Fall mehr als die bisherigen 19,50 Euro pro Dosis. Das gehe aus einer schriftlichen Stellungnahme von Gesundheitskommissarin Stella Kyriakides hervor. Aus den Nachverhandlungen resultieren damit erhebliche Mehrkosten für die EU-Steuerzahler von mindestens 2,2 Milliarden Euro. Auch die ursprünglich geplante Dosis-Menge wird das deutsch-amerikanische Pharma-Jointventure am Ende nahezu an die Europäer verkauft haben, zu einem dann erhöhten Preis. Nehmen wir an, der Dosis-Preis ab 2024 erhöht sich um fünf Euro, dann kommt nochmals eine gute Milliarde Euro Mehrkosten dazu.
Übrigens waren im Jahr 2020 aus „Fairnessgründen“ einmal fünf oder zehn Euro pro Dosis von Kommissionsvertretern angedacht worden. Doch mit dem Leyen-Deal schoss der Preis von damals gängigen 15,50 auf beinahe 20 Euro hoch. Das steht, wie auch Sonneborn bemerkt, im Gegensatz zu jedem Verhandlungsgeschick, auch zu Logiken der Betriebs- und Volkswirtschaftslehre, die sich mit dem Wort „Mengenrabatt“ zusammenfassen lassen. In den USA ist für den Herbst ein Listenpreis zwischen 110 und 130 Dollar geplant.
Kyriakides: Von der Leyen war gar nicht an Verhandlungen beteiligt
EU-Kommissarin Kyriakides hat nun erst kürzlich ihre Behauptung wiederholt, dass Kommissionschefin von der Leyen an den Verhandlungen über den Pfizer-Vertrag überhaupt nicht beteiligt war. Alle „Impfstoff-Verträge“ hätten die gesetzlich vorgeschriebenen Verfahren durchlaufen, das heißt: „Es gab ein gemeinsames Verhandlungsteam und einen Lenkungsausschuss.“ Außerdem hätten die Mitgliedsstaaten „immer die Möglichkeit, einen Vertrag abzulehnen“.
Dann bleibt aber die Frage bestehen, warum dem EU-Rechnungshof keine Dokumente zu der Aushandlung des Pfizer-Vertrags vorgelegt wurden. Man kann sich insgesamt nur Fragen, ob das die Steigerung der Methode Juncker ist: Wir lügen erst mal, und schauen dann, was passiert. Glaubwürdig ist das jedenfalls nach allem, was auch die Kommissionschefin und der Pfizer-CEO selbst öffentlich verlautbarten, nicht.
Die letzte Ursache der Neuverhandlung ist natürlich die gesunkene Nachfrage (existiert sie überhaupt noch?) nach den teuren Pfizer-Biontech-Präparaten. Wie Sonneborn zusammenfasst, hat Slowenien mit Verweis auf ausgeschöpfte Lagerkapazitäten die Annahme weiterer Lieferungen abgelehnt. Die Slowakei und die baltischen Länder haben teils frühzeitig angeboten, andere Pfizer-Produkte statt der mRNA-Dosen zu erwerben. Spanien und viele andere Länder schreiten bereits zur Vernichtung voran, einfach weil die „Impfstoffe“ auch ein Ablaufdatum haben. Versuchte Griechenland wirklich, die Pakete einfach zurückgehen zu lassen, wie Sonneborn schreibt? Nebenbei erfahren wir, dass 90 Prozent der „Impfstoffe“ von Sanofi und Novavax aus den Beständen der EU bereits vernichtet wurden.
Osteuropa: Regierungen fordern Ausrichtung an öffentlichem Interesse
Im März, da lag das Verhandlungsergebnis der Gesundheitskommissarin bereits vor, forderten Bulgarien, Polen, Litauen und Ungarn nochmals „einen neuen gerechteren Deal“ mit Pfizer, den die Kommission aushandeln solle. Sonneborn nennt auch Österreich, Italien und Rumänien als Unterstützer dieser Forderung. Die bisherigen Vorschläge zur Vertragsabänderung stellen demnach „keine endgültige und gerechte Lösung für das Problem des Covid-19-Impfstoffüberschusses dar und entsprechen nicht den Bedürfnissen der Gesundheitssysteme, den Bedürfnissen der Bürger und den finanziellen Interessen der Mitgliedsstaaten“. Lieferungen, die „über den Bedarf der Mitgliedstaaten hinausgehen“, sollen laut dem Länderquartett unterbleiben. Aber ist das so einfach? Regelt der Bedarf die unterzeichneten Vertragsbedingungen? Wohl kaum. So pocht der Pharmakonzern gegenüber allen Rufen nach günstigeren Bedingungen auf die Vertragstreue.
Der polnische Gesundheitsminister Adam Niedzielski hielt sogar eine Fernsehansprache, in der er ankündigte, dass Polen sich aus dem umstrittenen Pfizer-Vertrag zurückziehe. Seine Begründung: Die verbesserte „pandemische Lage“ und die Flüchtlingskrise, die sein Land durch den Ukraine-Krieg erleidet, stellten zusammen eine Art „höhere Gewalt“ vor, die gemäß einer Vertragsklausel zu dessen Aufhebung führen kann.
Schon im Frühjahr 2022 hatten die drei baltischen Länder wohl als erste eine Streckung der mRNA-Lieferungen gefordert, aber auch die Stornierung von Lieferungen, wenn diese aufgrund ablaufender Haltbarkeit nicht verwendbar wären. Auch damals gab es schon den genannten Vorschlag, andere Pfizer-Produkte im Tausch zu kaufen. Aber da kannten die Balten den Geschäftssinn von Pfizer schlecht. Das Haus ist schließlich kein Krämerladen.