Am Sonntag, dem 14. Mai, jährt sich die Staatsgründung Israels zum 75. Mal. Angesichts des Hasses, den Israel bei Islamisten, Regionalmächten und westlichen Linken hervorruft, ist es bemerkenswert, dass es so lange überlebt hat.
Sicherlich hatte Israel zeitweise auch erhebliche internationale Unterstützung. Seit den späten 1960er Jahren konnte es sich auf Amerika als Verbündeten verlassen – auch wenn dieser Rückhalt heute zu schwinden scheint, insbesondere unter den Demokraten. Es wird auch oft vergessen, dass Linke früher überzeugte Unterstützer Israels waren. Von der Gründung Israels im Jahr 1948 bis in die 1960er Jahre feierte die Linke Israel im Allgemeinen als Ausdruck des Rechts der Juden auf nationale Selbstbestimmung. Dies begann sich in den 1970er Jahren zu ändern, als Teile der Linken Israel zunehmend als imperialistische Macht ansahen. Doch erst in den 1990er Jahren, als die westlichen Eliten anfingen, die Idee der nationalen Selbstbestimmung abzulehnen, begann die Unterstützung für Israel in der Linken wirklich zu erodieren.
Die Wahrnehmung Israels durch die Außenwelt hat sich in seiner 75-jährigen Geschichte enorm verändert. Diese Veränderungen sind mindestens ebenso sehr auf die Entwicklungen im Westen wie auf die Entwicklungen in Israel zurückzuführen. Insbesondere scheint klar zu sein, dass die schwindende Unterstützung für die nationale Selbstbestimmung im Westen es für Israel schwieriger gemacht hat, seine Existenz zu rechtfertigen.
1948-67: Die Geburt Israels
Am 14. Mai 1948 verlas der erste Ministerpräsident Israels, David Ben-Gurion, die israelische Unabhängigkeitserklärung. Unmittelbar danach wurde Israel von den Armeen fünf arabischer Staaten angegriffen. Trotz monatelanger Kämpfe gelang es dem israelischen Staat, bis zum Abschluss des Waffenstillstandsabkommens Anfang 1949 zu überleben. Etwa 700.000 einheimische Araber verließen in den Wirren das Land – einige flohen, andere wurden vertrieben –, doch die Bedeutung dieses Bevölkerungstransfers wurde erst viel später erkannt.
Die Gründung des israelischen Staates war ein bemerkenswerter Erfolg für die zionistische Bewegung. Der Zionismus war im Wesentlichen eine nationalistische Sache, wenn auch eine ungewöhnliche. Zwar war in der jüdischen Liturgie schon seit Jahrtausenden vom historischen Land Israel (hebräisch: Eretz Yisrael) die Rede. Aber das Ziel der zionistischen Bewegung war die Schaffung eines israelischen Staates (Medinat Yisrael), der als nationaler Zufluchtsort für das jüdische Volk in der ganzen Welt dienen sollte. Obwohl der Zionismus im späten 19. Jahrhundert als Minderheitenbewegung unter den Juden begann, gewann er nach der Tragödie des Holocausts eine breite Unterstützung in jüdischen Kreisen.
Dennoch wäre die Gründung Israels nicht ohne erhebliche internationale Unterstützung möglich gewesen. Im November 1947 nahm die Generalversammlung der Vereinten Nationen den Teilungsplan für Palästina an, der in der UN-Resolution 181 verankert war und die Gründung eines jüdischen Staates vorsah. Von den damals 56 Mitgliedsstaaten der Uno stimmten 33 dafür (darunter Amerika und die Sowjetunion), 13 dagegen (vor allem die islamische Welt) und 10 enthielten sich der Stimme (darunter Großbritannien).
Es gab viele Gründe, warum die Uno für die Gründung Israels stimmte. Die Sympathie für die Juden war nach den Gräueln der Nazi-Jahre groß, und viele Nationen verfolgten auch geopolitische Überlegungen auf der Grundlage ihrer nationalen Interessen. Vor allem aber wurde das nationale Selbstbestimmungsrecht weithin als ein äußerst wichtiger Grundsatz anerkannt. Die UN-Charta von 1945 betonte beispielsweise in ihrem ersten Artikel die Bedeutung der „Selbstbestimmung der Völker“.
Auch die Linke unterstützte damals im Allgemeinen das Prinzip der nationalen Selbstbestimmung und stand daher Israel im Allgemeinen wohlwollend gegenüber. So stellt Walter Russell Mead, Professor für Außenpolitik und Kolumnist des Wall Street Journal, in seinem kürzlich erschienenen Buch „The Arc of a Covenant“ fest: „In den ersten Jahrzehnten seines Bestehens war Israel auf der Linken populärer als auf der Rechten und in Europa populärer als in den Vereinigten Staaten.“
1967-90: Die palästinensische Frage
Der Sechs-Tage-Krieg zwischen Israel und den umliegenden arabischen Staaten im Juni 1967 war ein entscheidender Moment. Israel hatte einen Präventivschlag gegen Ägypten geführt, nachdem der ägyptische Präsident Gamal Abdel Nasser es öffentlich bedroht hatte. Israel besiegte daraufhin die arabischen Armeen Ägyptens, Jordaniens und Syriens in weniger als einer Woche.
Der Sieg Israels bedeutete eine traumatische Demütigung für die arabischen Regime. Viele hatten sich im Vorfeld des Krieges mit der Macht des arabischen Nationalismus – einer Bewegung, die vorgab, das gesamte arabische Volk und nicht nur einen Staat zu vertreten – gebrüstet. Auf dem Papier waren ihre Truppen viel stärker als die Israels. Doch Israel ließ ihren Bluff auffliegen, indem es zuerst zuschlug, um ihre Armeen zu vernichten.
Eine Folge des Krieges war, dass die Zahl der Palästinenser unter israelischer Kontrolle drastisch anstieg. Israel eroberte das Westjordanland von Jordanien und den Gaza-Streifen von Ägypten (aus dem sich Israel 2005 einseitig zurückzog). Die neuen Grenzen Israels waren viel leichter zu verteidigen. Doch die Erweiterung barg zukünftige Probleme, da so viele Palästinenser unter die militärische Kontrolle Israels fielen.
Die Diskreditierung des arabischen Nationalismus stärkte auch die aufkommende palästinensische nationalistische Bewegung. Zum ersten Mal spielten palästinensische Organisationen unter dem Dach der Palästinensischen Befreiungsorganisation (PLO) eine wichtige Rolle in der Region. Der Konflikt zwischen Israel und den Arabern verwandelte sich zunehmend in einen Konflikt zwischen Israel und den Palästinensern.
Isaac Deutscher, ein polnischer marxistischer Schriftsteller, zog humanistische Schlussfolgerungen aus der neuen Situation. Am 23. Juni 1967, zwei Wochen nach Ende des Krieges, gab er der New Left Review ein weitsichtiges Interview. Darin erzählte er ein Gleichnis über einen Mann, der aus dem obersten Stockwerk eines brennenden Gebäudes springt, in dem bereits viele Mitglieder seiner Familie umgekommen sind. Der Mann rettete sein eigenes Leben, indem er auf jemanden fiel, der unten stand, brach dabei aber dieser Person versehentlich Arme und Beine.
Die Geschichte von Deutscher hat einen klaren Bezug zu der Situation, in der sich Israel und die Palästinenser damals befanden. Der europäische Antisemitismus, der im Holocaust gipfelte, hatte viele Juden gezwungen, in das heutige Israel zu fliehen. Die unbeabsichtigte Folge davon war, dass die einheimische Bevölkerung des Gebiets darunter litt. Deutscher vertrat die Ansicht, dass es vernünftig wäre, wenn sich beide Seiten einigen würden. Der Mann, der aus dem brennenden Gebäude gefallen ist, sollte, sobald er sich erholt hat, versuchen, der Person zu helfen, die er versehentlich verletzt hat. Und derjenige, der sich die Gliedmaßen gebrochen hat, sollte einsehen, dass der Gestürzte ein Opfer von Umständen war, auf die er keinen Einfluss hatte. Deutscher verstand, dass die nationalen Bestrebungen beider Seiten anerkannt werden müssen, wenn es einen echten Frieden geben soll.
Leider reagierten nicht alle auf die neue Realität nach 1967 so humanistisch wie Deutscher. So warnte er in demselben Interview vor der Gefahr einer eher negativen Reaktion, insbesondere in der arabischen Welt, wo er ein Wiederaufleben des Antisemitismus befürchtete. Es bestehe die Gefahr, dass das, was er als „Sozialismus der Narren“ bezeichnete, um sich greife und Israels militärischer Erfolg als Beweis für eine jüdische Weltverschwörung angesehen werde.
In der Tat war dies die Reaktion nicht nur in Teilen der arabischen Welt, sondern auch in vermeintlich radikalen Kreisen im Westen. Es entstand ein „neuer Antisemitismus“, in dem die Judenfeindschaft die Form eines obsessiven Hasses auf Israel als Symbol des jüdischen Bösen annahm. So formulierte es der amerikanische Soziologe Seymour Martin Lipset 1971 in einem Artikel der New York Times: „Immer mehr Neue Linke, schwarze Aktivisten und Befürworter der palästinensischen Sache sind nicht nur antiisraelisch und antizionistisch, sondern bewegen sich auf einen vollwertigen Antisemitismus zu – oder haben ihn bereits erreicht“.
Dennoch blieb dieser neue Antisemitismus in den 1970er und 1980er Jahren in westlichen Kreisen weitgehend eine Minderheitenposition. Das Recht Israels auf Selbstbestimmung wurde allgemein unterstützt, während die Rechte der Palästinenser zunehmend anerkannt wurden.
1990-heute: Der Aufstieg des Globalismus
Das Ende des Kalten Krieges veränderte die Einstellung zur Selbstbestimmung. Es markierte den Beginn einer Ära des zügellosen westlichen oder „humanitären“ Interventionismus und eines globalistischen Eintretens für eine Welt ohne Grenzen. Diese Abkehr von einer internationalen Ordnung, die auf dem Prinzip der nationalen Souveränität beruht, hatte erhebliche Auswirkungen auf Israel und die Palästinenser.
Aus israelischer Sicht wurde es viel schwieriger, Israels Existenz in einer Welt zu rechtfertigen, in der das Recht auf Selbstbestimmung abgewertet wurde. In vielen Fällen war Israel offener Feindseligkeit ausgesetzt.
Vielen Linken erschien Israels Bekenntnis zum nationalen Selbstbestimmungsrecht als hoffnungslos überholt. Der linke Historiker Tony Judt argumentierte 2003 in einem Artikel in der New York Review in diese Richtung: „In einer globalisierten Welt ist Israel wirklich ein Anachronismus. Und nicht nur ein Anachronismus, sondern ein dysfunktionaler. Im heutigen ‚Kampf der Kulturen` zwischen offenen, pluralistischen Demokratien und kriegerisch intoleranten, glaubensgesteuerten Ethnostaaten läuft Israel tatsächlich Gefahr, in das falsche Lager zu geraten.“
Der Aufstieg der Identitätspolitik hat auch die negative Wahrnehmung Israels im Westen verstärkt. Israel wird zunehmend als Nutznießer des angeblichen „weißen Privilegs“ der Juden gesehen. Aus dieser Perspektive wird der jüdische Staat zu einer Kraft des Bösen, zu einem gefährlichen Ethnostaat, während die Palästinenser die Rolle der unterdrückten Farbigen übernehmen. Und so wird Israel heute als wie es im zeitgenössischen Sprachgebrauch heißt, „Apartheidstaat“„Apartheidstaat“ bezeichnet.
Es wäre jedoch falsch, die Verunglimpfung Israels als einen Sieg der Rechte der Palästinenser zu betrachten. Im Gegenteil: Die Verunglimpfung des Rechts auf nationale Selbstbestimmung untergräbt auch die palästinensische Sache.
Vielmehr sind viele der heutigen Anti-Israel-Aktivisten nicht ernsthaft an der palästinensischen Selbstbestimmung interessiert. Ihnen geht es hauptsächlich darum, Israel als Symbol für alles, was ihnen missfällt, anzugreifen und die Palästinenser als Opfer Israels zu unterstützen. Dies führt dazu, dass sie die Hamas, die führende islamistischen Vertreterin der Palästinenser, und oft auch den Islamismus im Allgemeinen, kritiklos unterstützen.
Das Ziel des Islamismus ist nicht das nationale Selbstbestimmungsrecht, weder für die Palästinenser noch für andere. Vielmehr will er eine internationale islamische Ordnung schaffen. Das wird in den Doktrinen islamistischer Organisationen und in den Werken islamistischer Ideologen wie Sayyid Qutb nur allzu deutlich. Die Zerstörung Israels – und nicht die Schaffung eines palästinensischen Staates – wird als zentral für die Erreichung dieses Ziels angesehen. Diese Bestrebungen werden häufig in offen antisemitischen und sogar völkermörderischen Begriffen ausgedrückt – wie im Hamas-Pakt von 1988 zu sehen ist.
Der Antisemitismus ist ein zentrales Element des Islamismus seit seinen Anfängen in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Islamisten betrachten die Juden als Ausdruck des „kosmischen, satanischen Bösen“, das physisch ausgerottet werden sollte, wenn der Islam gedeihen soll. Bei ihren Schlussfolgerungen hat sie sich stets stark von den rückständigsten Formen des europäischen Denkens beeinflussen lassen. Die „Protokolle der Weisen von Zion“ (1903), eine zaristische antisemitische Fälschung über eine angebliche jüdische Verschwörung zur Weltbeherrschung, werden in islamistischen Texten häufig zitiert.
Inzwischen gibt es erhebliche Überschneidungen zwischen zwei Formen der Identitätspolitik. Es gibt eine linke Form aus dem Westen und eine islamistische Form, die aus dem Nahen Osten stammt. Beide stehen dem Prinzip der nationalen Selbstbestimmung im Allgemeinen und der Existenz Israels im Besonderen ablehnend gegenüber. Was vor einer Generation noch undenkbar gewesen wäre – die Leugnung des Existenzrechts Israels –, wird heute nur allzu leicht hingenommen. Das gilt auch für einen kaum verhohlenen Antisemitismus.
Nehmen wir den palästinensischen Slogan „Vom Fluss bis zum Meer“ (also vom Fluss Jordan bis zum Mittelmeer), der sowohl bei Islamisten als auch bei westlichen Linken beliebt ist. Für die Islamisten bedeutet dies eindeutig, dass nur wenige oder gar keine Juden in diesem Land leben dürfen. In der Tat erklären sie oft offen, dass sie die meisten, wenn nicht alle dort lebenden Juden ermorden wollen. Wenn sie also „Palästina sollte frei sein“ skandieren, meinen sie in der Regel: frei von Juden. Die Linken sind sich dessen entweder nicht bewusst oder ignorieren es in vielen Fällen.
Es ist Sache der Israelis und der Palästinenser, herauszufinden, wie der Konflikt zwischen ihnen am besten gelöst werden kann. Das macht Selbstbestimmung aus. Was wir im Westen tun können, ist, das Prinzip der nationalen Selbstbestimmung selbst hochzuhalten. In dieser Hinsicht sollte die Tatsache, dass Israel 75 Jahre alt geworden ist, trotz aller Widrigkeiten, als bemerkenswerte Leistung gefeiert werden.
Dieser Beitrag ist zuerst beim britischen Magazin Spiked erschienen.
Mehr von Daniel Ben-Ami lesen sie in den Büchern „Raus aus der Mitte! Wie der Parteienkonsens unsere Demokratie untergräbt“ und „Cancel Culture und Meinungsfreiheit – Über Zensur und Selbstzensur“. Er betreibt die Website Radicalism of Fools, die sich dem Überdenken des Antisemitismus widmet. Folgen Sie ihm auf Twitter: @danielbenami