Einst hatte die FAZ eine geniale Werbekampagne. Der Kopf eines prominenten Zeitungslesers verschwand hinter einer aufgeschlagenen Frankfurter Allgemeinen, der Slogan dazu lautete: „Dahinter steckt immer ein kluger Kopf.“ Die Doppeldeutigkeit besaß Humor und das schönste daran war: Sie stimmte. In der FAZ wurden die wichtigen Debatten der Bundesrepublik geführt. Objektivität, Verlässlichkeit, die Präzision intellektueller Analyse gehörten zum Selbstverständnis und zum Verständnis der FAZ. Long, long ago, möchte man sagen.
Die FAZ hat im Jahr 2021 eine neue Kampagne entwickelt – und auch die stimmt: Diesmal steckt der Kopf nicht hinter der Zeitung, sondern die Zeitung fehlt konsequenterweise gleich ganz. Irgendwie ging in der Werbekampagne für die FAZ die Frankfurter Allgemeine Zeitung verloren, sie scheint auch nicht vermisst zu werden, denn es geht nicht mehr um die Zeitung, es geht nicht mehr um Journalismus. Links steht zwar noch „Frankfurter Allgemeine“, doch das Bild beherrscht der Kopf einer Frau, die an ein Serien-Sternchen aus einer Telenovela aus der öffentlich-rechtlichen Manufaktur woker Serien erinnert.
Wissen schadet nur; sich die Freiheit zu nehmen, aus den Fakten seinen eigenen Standpunkt zu bestimmen, ist ohnehin rechts, rechts wie die Aufklärung, rechts wie die Freiheit. Was soll man mit Fakten und Zusammenhängen anfangen? Schon für 30,90 Euro bestimmt die neue FAZ für jeden Leser den gemeinsamen Standpunkt, den er einzunehmen hat. Und wenn man durch die Propaganda der FAZ den eigenen Standpunkt, der ja nur der Standpunkt sein kann, den die FAZ allen Lesern oktroyiert, annahm, dann darf man die Zukunft des Landes mitbestimmen, indem man die Grünen wählt. Denn für 30,90 Euro darf man auch „Deutschlands Zukunft gestalten“, natürlich nur die Zukunft, die von der FAZ vorgegeben wurde, indem man sich nicht mehr mit Wissen belastet, sondern die vorgegebene Haltung einnimmt.
Schon Wladimir Iljitsch Lenins forderte 1905 in seiner Schrift „Parteiorganisation und Parteiliteratur“: „Die literarische Tätigkeit muss zu einem Teil der allgemeinen proletarischen Sache, zu einem ‚Rädchen und Schräubchen‘ des einen einheitlichen, großen sozialdemokratischen Mechanismus werden, der von dem ganzen politisch bewussten Vortrupp der ganzen Arbeiterklasse in Bewegung gesetzt wird. Die literarische Betätigung muss ein Bestandteil der organisierten, planmäßigen, vereinigten sozialdemokratischen Parteiarbeit werden.“ Das bedeutet: „Die Zeitungen müssen Organe der verschiedenen Parteiorganisationen werden. Die Literaten müssen unbedingt Parteiorganisationen angehören. Verlage und Lager, Läden und Leseräume, Bibliotheken und Buchvertriebe – alles dies muss der Partei unterstehen und ihr rechenschaftspflichtig sein. Diese ganze Arbeit muss vom organisierten sozialistischen Proletariat verfolgt und kontrolliert werden […].“
Wie das mit der Vorgabe politischer Haltungen für das Volk funktionierte, konnte man bei der Prawda oder beim Neuen Deutschland, besonders ausgefeilt bei Karl Eduard von Schnitzler im „Schwarzen Kanal“ besichtigen. Schön, dass die FAZ im jüngst erschienenen Artikel „Neutralität, nein danke“ diese Tradition wieder aufnimmt und mit neuem Leben erfüllt.
Nicht ein Gastautor, sondern der Redakteur der Zeitung, Harald Staun, ein zutiefst Gläubiger der Klimaideologie, stellte nicht nur seinen Glauben dar, sondern erklärt die Dogmen ungeachtet des grundgesetzverbrieften Rechts der Meinungsfreiheit, ungeachtet der Wissenschaftsfreiheit, bar jeder Kenntnis, wie Wissenschaft funktioniert, für allgemeinverbindlich und fordert die Medien auf, diesen Glauben in medialen Dauersendungen den Leuten einzupeitschen. Er beklagt nicht etwa, dass zur These des allein vom Menschen gemachten Klimawandels keine kontroversen Diskussionen stattfinden, die letzte im ÖRR 2007, in der Presse 2012, er kritisiert nicht etwa, dass nicht unterschiedliche Standpunkte wissenschaftlich ausdiskutiert werden, nein, Harald Staun begibt sich auf die Ebene „radikaler Aktivisten“, wenn er behauptet, dass „das Ausmaß und die Dringlichkeit der Klimakrise nicht angemessen“ abgebildet wird.
Der Prediger Staun setzt „Klimakrise“ und „Weltuntergang“ gleich und absolut. Er beschwört die „unangenehmen Wahrheiten des Klimawandels“, ohne sie zu benennen. Die Formulierung „unangenehmen Wahrheiten des Klimawandels“ verrät übrigens, dass die FAZ wissenschaftliche Fragen gar nicht anders als moralisch oder moralisierend, also in Form einer Glaubenslehre, in Form einer neuen Naturreligion, als Mutter-Erde-Esoterik wahrzunehmen vermag.
Doch über seinen Glauben will der FAZ-Redakteur nicht diskutieren – der steht dogmatisch fest. Demzufolge will nach den Worten des Redakteurs die FAZ auch keinen Journalismus mehr betreiben, sondern Agitation und Propaganda. Denn, so die FAZ: „Weshalb immer mehr Journalisten davon überzeugt sind, dass sich dringend der Journalismus ändern müsse, damit die Menschen ihr Verhalten ändern.“ Journalismus soll nicht informieren, sondern als Gehirnwäsche zur Änderung der „Haltung“ der Menschen führen. Der neue Journalismus als alte, sattsam bekannte Zuchtanstalt, der Journalist als Volkserzieher. Welch Anmaßung!
Nach Stauns staunenswerter Beobachtung wurde das Klimathema vernachlässigt und wird der Klimaapokalyptik noch zu wenig Raum eingeräumt. Am besten wäre es, wenn die ARD die „Sendung für die relativ überschaubare Zielgruppe der Börsenspekulanten“ „Börse vor acht“ einstellen und stattdessen über „den Stand des Ausbaus erneuerbarer Energien oder aktuelle CO2-Werte“ berichten würde. Anleger an der Börse sind jetzt also „Börsenspekulanten“. Hätte Karl-Eduard von Schnitzler nicht besser formulieren können.
Man kann ja wie Staun der Meinung sein, dass der Satz von Friedrichs missverstanden wurde, doch das müsste man dann auch textlich belegen. Doch nicht einmal das kann die FAZ mehr, Friedrichs Satz zu zitieren und dann analytisch klar aufzuzeigen, worin denn das behauptete Missverständnis zu finden ist, was nun einmal voraussetzt, nachzuweisen, worin die eigentliche Botschaft des Satzes besteht und wie, wodurch und warum sie missverstanden wurde. Doch Staun ist ja in Wahrheit nicht der Meinung, dass der Satz missverstanden wurde, sondern im Grunde denkt er, dass der Satz selbst die Aufgabe des Journalismus missversteht, dass Friedrichs schon die Aufgabe des Journalismus falsch formuliert hatte. Er ist nur zu feige, das auch so zu schreiben. Lieber verrenkt er sich. Interessant übrigens, welch Ärgernis dieser Satz inzwischen für Haltungsjournalisten darstellt.
Warum schreibt die FAZ nicht ehrlicherweise, dass sie Friedrichs ein „simples Verständnis von Objektivität“ und eine „ideologische Haltungslosigkeit“ unterstellt? Damit legt die FAZ allerdings die Axt an den Journalismus, wenn sie nur noch, wie sie eben auch in ihrer Kampagne verkündet, nicht Wissen vermitteln, nicht Wissensstände reportieren und diskutieren will, sondern nur „Haltung“ zu vermitteln gedenkt. Dass Staun den Konstruktivisten Pörksen zitiert, der im Leninschen Sinne „ein dümmliches Neutralitätsideal, das noch nie besonders sinnvoll war, aber das in Zeiten einer solchen Krise ganz und gar falsch wäre“, meint, geißeln zu müssen, macht die Sache nicht besser, denn das läuft auf den Satz hinaus: „Not kennt kein Gebot“. Um herauszufinden, wo dieser Satz und diese Argumentationsketten herkommen, könnte die FAZ ihrem Redakteur Staun ja eine halbjährige Recherche ermöglichen.
Wozu brauchen wir eigentlich noch die FAZ? Wo wir doch Luisa Neubauer und Annalena Baerbock und ihre wirtschaftlichen Erfüllungsgehilfen wie Patrick Graichen und Robert Habeck haben. Wozu, wenn deren Ideologie sakrosankt und nicht mehr diskutierbar ist? Sie alle haben ihre Presseabteilungen, sie alle haben den öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Sie haben mehr und mehr die Schulen und Universitäten. Reicht das nicht aus als „transformativer Journalismus“ für die große Transformation, den Lenin noch parteilichen Journalismus zur Durchsetzung der Diktatur des Proletariats nannte? Wozu bedarf es noch der FAZ? Denkt die FAZ noch an ihre Leser? Oder eher an mögliche Geldgeber – wie den Staat oder wie Bill Gates?
Die immer weniger werdenden Leser jedenfalls haben in der Kommentarspalte ihrem Unmut Luft und ihr Entsetzen über den Niedergang und die Selbstdemontage der einstmals großartigen Zeitung formuliert, mit der gleichen Wehmut, den jeder, für den die FAZ über Jahrzehnte als Inbegriff für tadellosen Journalismus und intellektuelle Seriosität stand, empfindet.