Die Rufe nach einem Migrationsabkommen mit Tunesien werden lauter. Das ZDF berichtet mitfühlend von den illegalen Migranten aus der Hafenstadt Sfax, die es auch nach 1000 missglückten Versuchen immer wieder versuchen wollen, auf EU-Territorium zu gelangen. Der öffentlich-rechtliche Sender sympathisiert unübersehbar mit diesem ungesetzlichen Plan, transportiert gar Gerüchte, die tunesische Küstenwache brächte Boote absichtlich zum Kentern. Außerdem ist das Leben in Europa natürlich um vieles besser als in Tunesien, wo der Staatspräsident ein Rassist sei und sich damit in populistischer Weise auf einer Wellenlänge mit dem Volk befinde. Das sind für das ZDF-Mittagsmagazin befremdliche Zustände, die man keinem Westafrikaner im Ernst zumuten kann und will.
Dabei „funktioniert“ das Abkommen laut Bundeskanzler Olaf Scholz „schon sehr erfolgreich“. Nur bei den Abschiebungen ist davon eben nichts zu spüren. Aus Nancy Faesers Sicht war das Abkommen gar ein „Meilenstein“ für ihren Geschäftsbereich, das ist im Zweifel auch die innere und die Grenzsicherheit. Die Bundesregierung „erleichtert“ demnach die Rückkehr ausreisepflichtiger Inder, „indem wir klare Verfahren zu deren Identifizierung und Rückführung vorsehen“. Wie immer muss man misstrauisch werden, wenn ein solcher Faeser-Satz ein Adjektiv zu viel enthält. Gibt es auch „unklare“ Verfahren zur Identifizierung?
Indien schickte kein einziges Ersatzpapier
Doch Indien, so weiß T-Online, bleibt ein „unkooperatives Herkunftsland“. Das stellte die sachsen-anhaltinische Innenministerin Tamara Zieschang (CDU) ganz praktisch fest. In Sachsen-Anhalt leben derzeit 825 ausreisepflichtige Inder ohne gültige Papiere, in Sachsen sind es 976, also relativ viele. Insgesamt sind Inder eher eine kleine Minderheit unter den Ausreisepflichtigen.
Laut Zieschang ging kein einziges indisches „Passersatzpapier“ seit Dezember in Magdeburg ein. Die geopolitischen Gewichte sind längst dabei, sich zu verschieben, wie jeder Auftritt des indischen Außenministers deutlich macht. Die Inder haben sich die Auslagerung weiterer Staatsbürger nach Deutschland zusichern lassen, sehen aber keinen Anlass, die unerwünschten Illegalen aus Deutschland wieder zurückzunehmen. Die Landesinnenministerin fordert die Bundesregierung auf, Druck auf den Vertragspartner Indien auszuüben, damit das Land „seine Blockadehaltung“ aufgibt.
Auch andere Bundesländer klagen über das mangelnde Engagement des Bundes bei der Rückführung abgelehnter Asylbewerber. So berichtet der hessische Innenminister Peter Beuth (CDU) von 1.849 Ausreisepflichtigen aus dem Irak, 903 aus Äthiopien, 628 aus Somalia und 544 aus Marokko. (Aus Somalia könnte der Täter von Viernheim stammen.)
Länder ohne Krieg, aber mit hohem Bevölkerungsausstoß
Es geht hier sämtlich um Länder, in denen aktuell weder Krieg noch maßlose Gewalt herrscht und die folglich nicht als unsicher gelten müssen. Aber es mangelt an diplomatischem Druck der Bundesregierung, vielleicht auch der EU, um die Regierungen zur Rücknahme zu bringen. Auch der Sonderbevollmächtigte für Migration, Joachim Stamp (FDP), erntet bei dieser Gelegenheit scharfe Kritik, etwa vom bayrischen Innenminister Joachim Herrmann (CSU). Er sei nun ein geschlagenes Vierteljahr im Amt: „Ergebnisse gibt es bis jetzt keine.“ Stattdessen beklagt Herrmann das Setzen „stärkerer Anreize für eine unkontrollierte Zuwanderung nach Deutschland“ durch die Gesetzesänderungen der Ampel, an denen Stamp sicher unschuldig ist.
Trotzdem ist der Zwischenbericht zu Stamps Tätigkeit ernüchternd. Das Innenministerium erklärte auf Nachfrage, dass Stamp „mit verschiedenen Ländern in vertraulichen Gesprächen“ sei. Derzeit sind aber keine Details veröffentlichungsfähig. So ist es fast immer, wenn Regierungen versuchen, das Problem auf die leise Art, hinter den Kulissen zu lösen. Auf diesem Hintergrund ist kaum etwas von einem Tunesien-Abkommen à la Indien zu erwarten. Der deutschen Regierung fehlt offenbar ebenso wie der EU-Kommission noch immer der Wille, hier Taten zu vollbringen.
Auch ein Deal à la Türkei scheint wenig erfolgversprechend, weil Tunesien mit den Westafrikanern noch weniger anfangen kann als Erdogan mit seinen syrischen Glaubensbrüdern. Immerhin verfolgte die Türkei unter Erdogan Interessen in Nordsyrien, für die sich auch die Flüchtlinge einspannen ließen. Mit Tunesien kann es insofern nur eine verstärkte Zusammenarbeit beim Grenzschutz geben, den das Land nach Süden und Norden hin leisten sollte – ebenso wie die EU. Wenn man sich an der Stelle über Investitionen einigt, die beiden Partnern nutzen, umso besser. Kein Geld sollte es für Verwahrlager wie in der Türkei geben, die irgendwann zu platzen drohen – etwa auch, wenn ein Nachfolger Erdogans darauf kommt, den EU-Deal neu auszuhandeln.