Der DGB beschäftigt sich intensiv mit dem Fachkräftemangel. Denn der Gewerkschaftsbund leidet selbst darunter. Strukturell. Seine eigene Belegschaft setzt sich aus zwei großen Gruppen zusammen: Junge Talentierte, die den DGB als Sprungbrett nutzen, um später auf gut dotierte Posten in Ministerien oder Verwaltung zu wechseln. Und aus alten Ausgemusterten, die bei den Gewerkschaften ihr Gnadenbrot erhalten. Noch immer kommt der größte Teil der Belegschaft von der SPD, doch die Grünen werden auch in diesem sozialdemokratischen Vorhof stärker.
Auch in seiner politischen Arbeit beschäftigt sich der DGB mit dem Fachkräftemangel. Im November stellte der Gewerkschaftsbund seine „Anforderungen“ zu dem Thema vor. In dem Papier kritisierten die Gewerkschafter, dass es „niedrige Löhne und schlechte Arbeitsbedingungen“ gebe, und fordern eine erleichterte Einwanderung ausländischer Fachkräfte.
An diesem Beispiel lässt sich das Dilemma des Gewerkschaftsbundes gut erkennen: Der DGB wird bezahlt von seinen sechs Mitglieds-Gewerkschaften, diese erhalten das Geld von ihren Mitarbeitern, um ihre Interessen zu vertreten. Das heißt vor allem: bessere Löhne und besseren Arbeitsschutz. Wenn der DGB nun attestiert, dass in Deutschland – trotz Fachkräftemangel – schlechte Löhne und miese Arbeitsbedingungen gibt, dann attestiert sich der Gewerkschaftsbund selbst, dass seine Bilanz schlecht ist.
Vor allem zeigt der DGB aber mit seinen Vorschlägen, welche Perspektive er einnimmt: Nicht die seiner Mitglieder, die ein Interesse daran haben, den Fachkräftemangel zu nutzen, um bessere Konditionen für sich selbst herauszuholen. Sondern die seiner Mitarbeiter, ausgemusterte Funktionäre von SPD und Grünen sowie Nachwuchs, der noch nach einer Karriere über SPD und Grüne schielt. Die beschäftigen sich damit, den Fachkräftemangel zu beheben, statt zu nutzen. Für Letzteres, so argumentieren die Gewerkschafter, würden sie sich ja auch einsetzen – etwa durch Pressemitteilungen – doch wie erfolgreich der DGB im Ergebnis ist, hat er sich selbst attestiert: „niedrige Löhne und schlechte Arbeitsbedingungen“.
Pressemitteilungen des DGB gehören zu den meist überhörten Stimmen des Landes. Der Gewerkschaftsbund hat ein Relevanzproblem. Zu dicht ist er an der politischen Heimat seiner Funktionäre dran. Zu wenig unterscheiden sich seine Äußerungen, als dass sie in Pressetexten eine Chance hätten, die „Stimmen zum Spiel“ veröffentlichen. Zu wenig eigenständig ist der SPD nahe Verband, um mit eigenen Forderungen so zu verblüffen, dass es mehr als eine kleine Meldung wert wäre.
Deswegen laufen nun die Gewerkschaften wie Verdi den Klima-Extremisten nach. Anfang März hängten sich die Funktionäre an die Demos von „Fridays for Future“ dran, um auch mal wieder in den Medien vorzukommen. Die TAZ feierte das als „einen schlauen Akt“. Nur ist das, was die TAZ schlau findet, für Arbeitnehmer meist teuer. Zum einen: Warum sollte ein Arbeitnehmer einen hohen Mitgliedsbeitrag zahlen, damit es noch eine Klimaschutzgruppe gibt? Zusätzlich zu den Grünen, dem BUND, der ÖDP, der ARD, dem Nabu, dem ZDF oder Greenpeace.
Zum anderen hat Verdi nicht die Perspektive seiner Mitglieder vor Augen. Zwar kämpfen Verdi und anderen Gewerkschaften derzeit für höhere Löhne. Erfolgreich. Zumindest nominell. Tatsächlich sinken aber die Reallöhne in Deutschland, weil die Inflation die Preise nach oben treibt, aber auch weil der Staat – vor allem im Klimaschutz – sich immer stärker aufbläht und zusätzliche Aufgaben übernimmt. Für die Arbeitnehmer bedeutet das, dass sie zwar im Vergleich der Industrienationen ordentliche Löhne haben, aber so viele Steuern und Abgaben zahlen, wie in kaum einem anderen Land. Ein Umstand, zu dem Verdi und DGB laut schweigen.
Die Mitglieder spüren, dass der DGB und seine Einzelgewerkschaften nicht ihre Interessen vertreten, sondern eigenen Ambitionen nachgehen. Sie stimmen mit den Füßen ab. 5,9 Millionen Mitglieder hatte der DGB nach eigenen Angaben 2020. In der jüngsten Statistik weist der Gewerkschaftsbund noch 5,6 Millionen Mitglieder aus. Verdi hat in den beiden Jahren rund 85.000 Mitglieder verloren.
Offiziell. DGB-Zahlen sind auch so eine Sache. Eine honeckereske. Wer eine multiple Persönlichkeit hat, kann sich auf den Kundgebungen zum 1. Mai anerkannt fühlen: Geht er zu einer Kundgebung nach Uhlenbusch, melden ihn die Funktionäre als zwei Teilnehmer an den Landesverband. Der berichtet dem Bundesverband von vier Teilnehmern und der informiert die Presse über sechs bis acht Teilnehmer. Der Autor dieser Zeilen hat sich selbst einmal an dieser Praxis beteiligen müssen. Am Ende tauchte in der Statistik eine Zahl auf, die ein Vielfaches der tatsächlichen Teilnehmer ausmachte.
Wobei die Gewerkschaften durchaus für gute Löhne sorgen. Zumindest für sich selbst. Zum einen wandern stattliche Beträge aus den Mitgliedsbeiträgen auf den Konten der „Sekretäre“. Zum anderen vertreten diese – während ihrer Arbeitszeit – die Interesse der Arbeitnehmer in Aufsichts- und Verwaltungsräten. Oft gegen Geld. Als Aufwandsentschädigung.
Im Vergleich der Industrienationen verfügen die Deutschen über geringe Privatvermögen. Wichtigster Grund dafür sind die hohen Steuern und hohen Lebenshaltungskosten. Ein relevantes Engagement des DGB dazu gibt es nicht. Sein Fazit dazu hat der Gewerkschaftsbund selbst formuliert: „niedrige Löhne und schlechte Arbeitsbedingungen“. Bliebe noch zu ergänzen: Miese Gewerkschaften.