Der Umgang mit dem Phänomenbereich Zuwanderung erzeugt – ähnlich wie andere tabuisierte Lebensbereiche – immer mehr neue Ausdrücke und Vokabeln, die teils dazu dienen mögen, die Realität zu erfassen. Teilweise können sie dieselbe Wirklichkeit aber wohl auch verstellen. Nun hat das Statistische Bundesamt (Destatis) seine Berechnungen für das Jahr 2022 beendet und zeigt im Vergleich mit 2021 Unterschiede und Entwicklungen auf.
Danach hat sich die Zahl der Menschen, die in Deutschland leben und über eine „Einwanderungsgeschichte“ verfügen, im vergangenen Jahr deutlich erhöht. Damit ist nicht allein das gemeint, was man als „Migrationserfahrung“ beschreiben kann. Die hier genannte Gruppe ist vielmehr größer, umfasst außerdem die unmittelbaren und mittelbaren Nachkommen der Zuwanderer, soweit sie sich nicht mit der Ursprungsgesellschaft vermischt haben. Die Zahlen scheinen insofern ein gutes Instrument, um nicht nur die Migration nach Deutschland darzustellen, sondern auch die zu erwartenden Anpassungsnotwendigkeiten, Fremdheitszustände und Friktionen mit der zugrundeliegenden „aufnehmenden“ Gesellschaft.
Ende 2022 lebten damit 20,2 Millionen Menschen mit Einwanderungsgeschichte im Land. Das entspricht 24,3 Prozent der Gesamtbevölkerung. Ein Viertel der Bundesbevölkerung besitzt demnach allenfalls eine lose, sekundäre Bindung an diesen Staat durch Einwanderung oder eine (fast zufällige) Geburt in den Staatsgrenzen, während die primäre Bindung an den Herkunftsstaat durch das Überwinden einer Grenze kaum ausgelöscht sein dürfte.
40 Prozent der Zuwanderer kamen seit 2013
Die allermeisten aus dieser Gruppe, nämlich 15,3 Millionen Personen, sind selbst eingewandert. Sie bildeten 18,4 Prozent der Gesamtbevölkerung. Bald jeder fünfte Landesbewohner wurde damit im Ausland geboren. Der schottisch-amerikanische Historiker Niall Ferguson sprach unlängst von einem hohen „Bevölkerungsanteil der nicht im Land Geborenen“ für Deutschland. Ferguson bezog sich allerdings auf einen nun schon wieder veralteten OECD-Wert aus dem Jahr 2019. Damals lag der Wert bei 16,1 Prozent: „Das ist eine sehr hohe Zahl.“ Inzwischen sind also mehr als zwei Prozentpunkte dazugekommen. Die nicht-autochthone Bevölkerung dehnt sich aus. Das wird noch deutlicher, wenn man einige Jahre zurückblickt.
Etwas weniger als die Hälfte (47 Prozent) dieser Zuwanderer seit 2013 waren Frauen, die Männer überwiegen hier mit 53 Prozent. Dieses Verhältnis dürfte sich auch durch die Ukraine-Flüchtlinge etwas normalisiert haben. Die meisten Zuwanderer stammen nach wie vor aus „Syrien“ (16 Prozent), gefolgt von Rumänien (sieben Prozent) und Polen (sechs Prozent). Danach folgt die Ukraine mit fünf Prozent. In dem Mikrozensus vom letzten Jahr, der allen diesen Berechnungen zugrundeliegt, sind die Ukraine-Flüchtlinge noch nicht vollständig erfasst.
Nur 24 Prozent reisten zum Zweck der Erwerbstätigkeit
Von allen Zuwanderern seit 2013 kamen allerdings nur 24,2 Prozent zum Zweck der Erwerbstätigkeit nach Deutschland. 27,9 Prozent suchten angeblich nach „internationalem Schutz“, 23,9 Prozent kamen per Familienzusammenführung ins Land. In beiden Fällen kann es natürlich zur Erwerbsarbeit kommen, aber die Wahrscheinlichkeit und folglich die Erwerbsrate dürfte in diesen Gruppen (der Asylbewerber und nachgereisten Familienmitglieder) deutlich geringer ausfallen.
8,2 Prozent der seit 2013 Zugewanderten gaben an, hauptsächlich für ein Studium, eine Aus- oder Weiterbildung nach Deutschland gekommen zu sein. Bei den Männern war „Flucht“ ein mit 30,5 Prozent noch etwas häufiger genannter Grund für die Einreise. 30,1 Prozent der Männer kamen demnach ins Land, um erwerbstätig zu werden. Bei Frauen dominierte mit 30 Prozent die Familienzusammenführung als Grund der Einreise.
Hinzu kommen 4,9 Millionen Kinder und Kindeskinder von Zuwanderern, egal aus welchem Grund sie kamen und wann. Den Grundstock der Eltern- und Großelterngeneration bildeten sicher Gastarbeiter und andere legale Wirtschaftsmigranten. Doch in den letzten Jahren machten die illegalen Zuwanderer einen immer größeren Teil aus. Diese direkten Nachkommen der ersten Einwanderergeneration machen 5,9 Prozent der Bevölkerung aus.
Autochthone Bevölkerung schrumpft um ein Prozent
Nicht zu der genannten Großgruppe der „Personen mit Einwanderungsgeschichte“ – im Sprachgebrauch von Destatis – gehören weitere 3,9 Millionen Personen (4,6 Prozent der Gesamtbevölkerung), die in Deutschland geboren wurden, aber einen Elternteil besitzen, der in Deutschland geboren wurde und einen, der eingewandert ist. Die Unterscheidung scheint gerechtfertigt, denn bei dieser Gruppe besteht am ehesten die Hoffnung, dass es zu einer vollständigen Integration reicht. Auch die Gruppe der Personen mit „Migrationshintergrund von einer Seite“ wuchs um 3,5 Prozent. Dieser Prozess der Vermischung steht aber allenfalls am Anfang. Noch immer gibt es deutlich mehr ‚reine‘ als gemischte Zuwandererkinder.
Im Gegensatz dazu sind nur noch 71,1 Prozent der Bevölkerung als autochthon anzusprechen. Das sind die sogenannten „Bio-Deutschen“. Ende letzten Jahres gab es noch 59,1 Millionen Personen, die weder selbst eingewandert waren noch von einem eingewanderten Elternteil abstammten. Diese Gruppe schrumpfte – angesichts der Zuwächse der anderen logischerweise – um ein Prozent.
Zugewanderte deutlich jünger als Aufnahmegesellschaft
Besonders stark wuchs aber nach wie vor die Zahl von Personen mit ausländischer Staatsbürgerschaft im Bundesgebiet an, nämlich von 10,6 Millionen im Jahr 2021 auf 11,6 Millionen am Ende des letzten Jahres. Wie gesagt, sind die Ukraine-Flüchtlinge hier noch nicht vollständig erfasst. Das war ein Zuwachs von 9,7 Prozent oder einer Million Menschen. Knapp die Hälfte (48,8 Prozent) aller Menschen mit Migrationshintergrund sind Ausländer. Das sind zugleich 14 Prozent der Gesamtbevölkerung.
Nota bene: „Mit einem Durchschnittsalter von 29,9 Jahren waren die ab 2013 Eingewanderten deutlich jünger als die Bevölkerung ohne Einwanderungsgeschichte (47,0 Jahre).“ Das erklärt sicher auch einen Teil der steigenden Kriminalität, und diese Erkenntnis stellt keineswegs eine Relativierung dar, wie viele meinen, die sie benutzen.
Obwohl die Gruppe der Menschen mit Einwanderungsgeschichte jünger ist und folglich mehr Kinder als die Restbevölkerung haben dürfte, nahm ihre Zahl im vergangenen Jahr primär durch die sogenannte „Fluchtmigration“ aus der Ukraine, Syrien oder Afghanistan zu, nämlich um 7,3 Prozent, während der Zuwachs durch Geburten nur bei vier Prozent lag. Die Auswirkungen der heutigen Migrationspolitik lassen sich umgehend statistisch ablesen. Auch das beweist, dass die sich ereignende Massenmigration, wenn sie auch nicht unser Schicksal ist, es doch bestimmen wird. Die aktuelle Flucht- und illegale Asylzuwanderung ist der Grundstein für kommende Geburtenzuwächse in dieser Gruppe morgen und übermorgen.