Tichys Einblick
Wohnungsproblem ist Folge falscher Politik

Wohnungsbranche warnt vor dem Kipppunkt im Bauwesen

Durch die Einwanderung entsteht in Deutschland Wohnungsnot. Die Immobilienpreise sind für viele Menschen unbezahlbar geworden. Auch weil die Politik das Bauen selbst künstlich verteuert hat, wie Experten auf einer Fachtagung sagen. 

Baustelle in Berlin, 10.04.2023

IMAGO / Sabine Gudath

Deutschland leidet unter Wohnungsnot. Angesichts der hohen Zuwanderung droht diese Not stark zuzunehmen. Das weiß die Bundesregierung. Deswegen hat sie sich selbst ein Ziel gesetzt: 400.000 neue Wohnungen sollen jährlich entstehen. Doch diese selbst gelegte Latte hat sie im vergangenen Jahr gerissen. Und nicht nur das: Zum einen werde die Regierung dieses Ziel auch in den kommenden Jahren nicht erreichen. Statt mehr würden vermutlich künftig sogar noch weniger Wohnungen gebaut, meint das „Verbändebündnis Wohnungsbau“. Zum anderen hätten selbst die 400.000 neuen Wohnungen nicht gereicht.

Zum Verbändebündnis gehören unter anderem der Deutsche Mieterbund, der Zentralverband des Deutschen Baugewerbes oder der Bundesverband deutscher Wohnungs- und Immobilienunternehmen. Diese veranstalten derzeit in Berlin den 14. Wohnungsbau-Tag. Dort warnen sie: Derzeit kämen viele Faktoren zusammen, die für eine noch schlimmere Wohnungsnot sorgen könnten. Steuere die Bundesregierung jetzt nicht sofort dagegen, sei ein „Kipppunkt“ überschritten, sagt Professor Dietmar Walberg. Er hat für das Bündnis eine Studie erstellt, die er auf dem Wohnungsbau-Tag vorstellte.

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Wenn der Kipppunkt überschritten ist, sei, so Walberg, das Ziel der Ampelregierung kaum erreichbar, 400.000 Wohnungen im Jahr errichten zu wollen. Ihr Koalitionsvertrag sieht zudem vor, dass ein Viertel davon soziale Wohnungen sein sollen. Immerhin wird die deutsche Bevölkerung wegen des demographischen Wandels immer älter und es kommen immer mehr Flüchtlinge ins Land. Wegen des Kriegs in der Ukraine. Aber nicht nur. Laut Statistischem Bundesamt waren es im Vorjahr insgesamt rund 1,14 Millionen Menschen, davon knapp eine Million aus der Ukraine.

Für all diese Menschen brauche Deutschland bezahlbare Wohnungen. Lukas Siebenkotten vom Deutschen Mieterbund lässt aufhorchen: „Es ist fünf nach zwölf, es muss endlich etwas geschehen, wenn wir auf Dauer soziale Verwerfung vermeiden wollen.“ Denn, wie Hannes Zapf von der Deutschen Gesellschaft für Mauerwerks- und Wohnungsbau betont: Ob wir im Jahr 2030 einen ausgeglichenen Wohnungsmarkt haben, entscheidet sich in dieser Legislaturperiode, wenn nicht sogar in diesem Jahr“, weil Bauprojekte in der Regel rund fünf Jahre lang laufen.

Doch die Lage am Bau ist dramatisch: „Noch nie seit dem Zweiten Weltkrieg waren die Bedingungen für den Wohnungsbau so schlecht. Der Wohnungsmarkt steht am Kipppunkt“, lautet das Credo des Wohnungsbau-Tags. Im letzten halben Jahr sind laut Walbergs Studie wichtige Kennzahlen für die Entwicklung des Wohnungsbaus innerhalb kürzester Zeit so schnell eingebrochen wie seit Jahrzehnten nicht.

Was heißt das? „Wenn jetzt nichts passiert, dann gibt es beim Wohnungsbau keine Talfahrt, dann erleben wir einen Absturz“, sagt Walberg. Er ist Institutsleiter des Kieler Wohnungsbau- und Bauforschungsinstituts „Arbeitsgemeinschaft für zeitgemäßes Bauen“. Das Ergebnis der Studie: „Noch nie gab es gleichzeitig einen so hohen Bedarf von über 700.000 Wohnungen, so hohe Baukosten, so hohe Zinssprünge und vor allem so hohe Auflagen und Vorschriften für das Bauen wie heute.“ Das Bündnis fordert daher: weniger Vorschriften und Hemmnisse im Bau, staatliche Fördergelder von 50 Milliarden Euro und leichtere Genehmigungsprozesse.

Der Grund für diese Forderungen ist deutlich: Die Preise fürs Bauen sind zu hoch. Mehr Bauen scheitere nicht an fehlenden Baustoffen. Zwar fehlten am Bau auch Mitarbeiter, aber da ließe sich durch Zuwanderung gegensteuern, sagt Walberg. Diese Zuwanderung müsste aber anders als in den vergangenen Jahren auf Arbeitskräfte zielen.

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Dass die Preise fürs Bauen zu hoch sind, kommt zum einen durch die rasante Inflation – ist aber auch selbst verschuldet. Der Staat erdrückt mit Auflagen und Bürokratie das Bauwesen und macht Bauen so zu einer finanziell kaum noch zu stemmenden Aufgabe: „Die Wohnung muss bezahlbar und nicht supereffizient im Klimaschutz sein“, kritisiert Katharina Metzger, Präsidentin des Bundesverbands Deutscher Baustoff-Fachhandel. Die Regierung stecke „sehr hohe Bau- und Klimaziele“, sagt auch Axel Gedaschko, Präsident des Bundesverbands deutscher Wohnungs- und Immobilienunternehmen. Mit diesen neuen Zielen gibt es immer mehr kostspielige Normen und Standards im Bau. Die Regierung fördere die Bauunternehmen jedoch „nicht annähernd angemessen“, um diese Normen erfüllen zu können, kritisiert Gedaschko.

Die Folge: Es werde weniger gebaut, weil es schlichtweg zu kompliziert und dadurch zu teuer geworden sei. Felix Pakleppa ist Geschäftsführer des Zentralverbands Deutsches Gewerbe. Er nennt Zahlen: „Es kommen seit Monaten weniger Aufträge rein. Im Januar waren es minus 30 Prozent.“ Pakleppa sagt, erste Unternehmen würden schon Kurzarbeit anmelden: So „verlieren Bauunternehmen ihre qualifizierten Fachkräfte“. Zwangsläufig würden Firmen schließen. Die Branche würde diese Mitarbeiter dann dauerhaft verlieren. Dann erst hätte der Kipppunkt vollends gewirkt. Denn dann könnten auch keine 400.000 Wohnungen im Jahr mehr gebaut werden – selbst wenn das Geld da wäre.

Erhöhter Bedarf an Wohnungen durch Zuzug. Das fehlende Potenzial, diesen Bedarf zu befriedigen. Das wird zu „sozialen Verwerfungen“ führen, warnen die Experten. Um diese drohende „soziale Verwerfung“ zu verhindern, muss die Regierung laut dem Verbändebündnis ein Sondervermögen von 50 Milliarden Euro bereitstellen. Es gebe halt aktuell weder Kapazitäts- noch Bauprobleme, sondern Finanzierungsprobleme.

Außerdem fordert das Bündnis die Regierung auf, ihre „Luxusnormen“ für den „Klimaschutz“ zurückzufahren. Als Beispiel nennen die Experten Vorgaben für Stellplätze und Außenanlagen. Diese Regelungen sollten „für einige Jahre pausieren“. Mit solchen Vorgaben drehe die Regierung erheblich an der Preisspirale von Immobilien. Ohne die würden die Bedingungen für den Wohnungsbau wieder erschwinglicher und das Kippen des Wohnungsmarkts würde verhindert. So wie es jetzt läuft, kann es nicht weitergehen: Seit 2000 habe sich im Bau der Quadratmeterpreis mehr als verdoppelt.

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