Wenn Parteichef Christian Lindner am Freitagmittag seinen Rechenschaftsbericht vorträgt, schaut er wohl zuversichtlich in den Saal. Sie haben ja keinen anderen. Wer soll ihn auf dem 74. Bundesparteitag der FDP fast schon traditionell in der Berliner Location STATION gefährden?
Die FDP hält sich doch für okay. Deutschland ist zwar nach Ampel-Chaos demnächst kaputt. Was soll’s? „Das macht doch nichts, das merkt doch keiner – kuck kuck, kuck kuck“, könnte dazu auf dem Berliner Bundesparteitag Kabarettist Hans Scheibner singen.
Keine Kernkraftwerke mehr, bald keine Kohleverstromung, Gaskraftwerke ohne Putin-Gas, irgendwann hochexplosiver Wasserstoff in Erdgasleitungsnetze, künftig keine modernen Benzin- und Dieselautos mehr und ebenso schon ab 2024 keine Öl- und Gasheizungen. Hohe Inflationsraten und exorbitante Preise als neuer Dauerzustand machen Verarmung zum Programm.
Ach so: Weniger Fleisch und Zuckerzeug essen, sollen wir auch noch, wie uns die wohlgenährte FDP-Regierungspartnerin Ricarda Lang von den Grünen vorschreibt. Wenn das keine Erfolgspolitik der FDP in einer Regierung mit SPD und Grünen seit 2021 ist, was dann? Die Bürger haben sie ohnehin nicht gefragt, sie hätten ja in Volksabstimmungen dafür keine Mehrheit bekommen. Aber die wehren sich ja Gott sei Dank nicht.
Also für die liberalen Delegierten sicher sehr viel Grund, ihrer Parteiführung für so viel wirtschafts- und bürgerfeindliche Politik zu danken. Ja, das ist schon beißende Ironie.
Die staatliche Planwirtschaft der Ampelregierung in der Energie- und Wirtschaftspolitik übertrifft jeden Fünf-Jahres-Plan des Sozialismus. Geplant wird bis 2035 und mehr. Vieles Irrsinnige erinnert an die zwangsweise Einführung der Rinder-Offenställe in der DDR nach dem Vorbild von Kolchosen warmer Sowjetrepubliken. Die Ostrinder erfroren jämmerlich, aber das konnte die DDR-Regierung ja nicht ahnen. So ähnlich würde bei einem Energiezusammenbruch wohl auch die heutige Bundesregierung argumentieren.
Liberaler Zwergenaufstand gegen grünen Heizhammer?
Zumindest sorgt das grüne Heizungsdiktat von Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck unter bisheriger FDP-Duldung auf dem Konvent wohl noch für Ärger. Denn das Bundeskabinett hat den grünen Heizhammer beschlossen. Öl- und Gasheizungen werden ab 2024 getauscht – basta.
Die FDP hat jedoch im Kabinett zugestimmt.
Die FDP-Spitze wird also unter Druck geraten. Die Bundestagsfraktion könnte immerhin von den Delegierten aufgefordert werden, diesem Verbotskatalog von Gas- und Ölheizungen im Bundestag nicht zuzustimmen. Aber hat diese restliberale Truppe noch den Mut dazu?
Kriegsbefürworterin will Spitzenkandidatin für EU-Wahl sein
Personell schießt sich die FDP spätestens zur EU-Wahl im Mai nächsten Jahres ins Abseits. Ausgerechnet die jederzeit kriegsbereite Aufrüstungspolitikerin Marie-Agnes Strack-Zimmermann soll die FDP als Spitzenkandidatin in die EU-Wahl führen. Frieden schaffen mit schweren Waffen – als neues FDP-Credo, wenn das Hans-Dietrich Genscher wüsste. Denn Panzer in Kriegsgebiete sind MASZ, wie sie in der Partei heißt, wichtiger als Diplomatie für den Frieden. Die FDP scheint sich erneut, wie 2014 mit mickrigen 3,4 Prozent eine deftige Watsche von den letzten Wählern der Liberalen abholen zu wollen.
Doch die selbst in der Partei höchst unbeliebte MASZ muss noch bis Jahresende mit ihrer Bewerbung zittern. Denn erst auf dem Europaparteitag der FDP im Januar 2024 wird die Spitzenkandidatin gewählt.
Weitgehend weiter so an der Parteispitze
Was gibt es noch? Zumindest ein kritischer Geist zieht sich aus der Politik zurück. Lindners bisherige Stellvertreterin Nicola Beer mag nicht mehr. Sie gibt Parteiamt und ihr Mandat im EU-Parlament auf. Auf Vorschlag des Bundesfinanzministers soll sie Deutschland künftig als Vizepräsidentin im Präsidium der Europäischen Investitionsbank (EIB) in Luxemburg ab 1. Januar 2024 vertreten. Der frühere FDP-Politiker und EIB-Präsident Werner Hoyer hört dort zum Jahresende nach zwölfjähriger Amtszeit auf. Schon bei den Grünen kratzten rechtzeitig zahlreiche Realpolitiker die Kurve, bevor es mit der rot-grünen Regierung zu Ende ging.
Das Amt von Lindners Stellvertreterin soll die erfolglose Bundesbildungsministerin aus Hessen Bettina Stark-Watzinger übernehmen. Deren Wahl ist gesichert. Ansonsten gibt’s an der Parteispitze wenig Neues: Vizes bleiben Wolfgang Kubicki und Johannes Vogel. Auch der persischstämmige Generalsekretär Bijan Djir-Sarai darf weitermachen, genauso wie die aus Nordrhein-Westfalen stammende Lydia Hüskens für den Osten im Präsidium. Ebenso dominiert NRW den Parteiüberbau.
Hinzu kommt: Lindners Partei stehen noch drei dramatische Landtagswahlen bevor bei denen die FDP wie zuletzt in Niedersachsen an der Fünf-Prozent-Hürde scheitern könnte. Bayern und Hessen wählen am 8. Oktober, Bremen schon am 14. Mai. Vor allem in der Hansestadt haben FDP-Kreise seit langem mit einem sicheren Rauswurf aus der Bremer Bürgerschaft gerechnet. Doch ausgerechnet der geliebte Feind von der AfD könnte den Liberalen vielleicht zum Überleben helfen, weil die in Bremen zerstrittene Partei zwei konkurrierende Wahllisten eingereicht hatte. Der Bremer Landeswahlausschuss hat die AfD nicht zur Bürgerschaftswahl am 14. Mai zugelassen.
Bei der AfD wird natürlich, wie schon in Sachsen, alles ganz genau geprüft und schon der kleinste Grund zur Ablehnung ins Feld geführt. In Umfragen liegt die AfD aber bei sieben Prozent, die sich jetzt wohl auf die CDU und vor allem die „Bürger in Wut“ (BIW) verteilen würden. Doch auch die FDP könnte womöglich ein paar Pünktchen abbekommen und so sich über die Fünf-Prozent-Hürde retten. Ein nicht verdienter Erfolg, der aber Legenden vom Aufschwung bilden kann – der AfD sei Dank.