Tichys Einblick
Anlasslose Chatkontrolle

Nancy Faeser will Ihr Smartphone kontrollieren – und Ihres

Die EU entwirft eine Verordnung, nach der alle privaten Nachrichten im Internet abgehört werden können. Ohne jeden Anlass. Innenministerin Nancy Faeser (SPD) hat eine entsprechende Vorlage dazu erarbeitet.

Bundesinnenministerin Nancy Faeser, im Vorfeld der Sitzung der SPD-Bundestagsfraktion, 18.04.2023

IMAGO / Political-Moments

Niemand hat die Absicht, anlasslose Chatkontrollen einzuführen. Zumindest nicht Nancy Faeser. Am 22. Mai schreibt die Innenministerin auf Twitter: „Jede private Nachricht anlasslos zu kontrollieren, halte ich nicht für vereinbar mit unseren Freiheitsrechten.“ Das ist nun knapp ein Jahr her und für die Sozialdemokratin folglich Geschwätz von vorgestern. Wie die Seite Netzpolitik.org berichtet hat, übernimmt die Bundesregierung weitgehend eine Vorlage, die Faesers Innenministerium erarbeitet hat. Demnach kommen „allgemeine Überwachungspflichten und Maßnahmen zum Scannen privater Kommunikation“. Mit dieser Position unterstützt Deutschland eine Verordnung der EU.

Was heißt das? Sie führen eine kleine Bäckerei, beschäftigen zwei Mitarbeiter und versorgen Ihre Nachbarschaft mit Brötchen? Sie sind für Nancy Faeser verdächtig. Sie arbeiten als Krankenschwester in Nachtschichten und sorgen dafür, dass sich hilflose Patienten nicht wund liegen? Sie sind für Nancy Faeser verdächtig. Sie helfen in Ihrer Gemeinde ehrenamtlich, indem Sie an der Tafel Lebensmittel an Arme verteilen? Sie sind für Nancy Faeser verdächtig. Gegen Sie wird künftig ermittelt. Ihre privaten Nachrichten im Netz werden auf verdächtiges Verhalten abgescannt.

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Die Drecksarbeit erledigen dabei Google, Twitter, Facebook und Co. Die dürfen nicht nur Ihre private Kommunikation überprüfen – sie sollen es sogar. Von wem geht ein solches Überwachungsprojekt mit einer Qualität à la George Orwell aus? Favoritensieg: von der EU. Die Präsidentin der EU-Kommission Ursula von der Leyen (CDU) nimmt für sich selbst zwar in Anspruch, ihre Nachrichten zu löschen, damit ihre Geschäfte nicht nachvollziehbar werden – auch nicht die staatlichen. Unverdächtigen Bürgern verwehrt die Brüsseler Spitzenpolitikerin indes dieses Privileg. Eigentlich wollte die Ampel gegen diese Pläne kämpfen, jetzt unterstützt sie diese sogar.

Die Ampelkoalition hat sich im Koalitionsvertrag gegen anlasslose Kontrollen im Internet ausgesprochen: „Allgemeine Überwachungspflichten, Maßnahmen zum Scannen privater Kommunikation und eine Identifizierungspflicht lehnen wir ab.“ Steht dort. In dem Papier von Verdamp-lang-her. Gute Nachricht: Ein Koalitionspartner will sich dafür einsetzen, dass private Kommunikation doch nicht ohne Anlass abgehört wird. Schlechte Nachricht: Es ist die FDP. Die hat zwar im Koalitionsvertrag rote Linien in Sachen digitaler Bürgerrechte eingezogen. Doch kommen die roten Linien von der gelben Partei, sind sie nicht das Schwarze unter den Fingernägeln wert. Der Bundestagsabgeordnete Maximilian Funke-Kaiser erklärte gegenüber Netzpolitik.org im besten FDP-Deutsch: „Die FDP-Ministerien sind energisch gegen eine Überwachung jeglicher Kommunikation eingetreten, aber das Innenministerium war leider nur bedingt bereit davon abzurücken.“ Wer die FDP wählen will, muss das trotz ihrer real existierenden Politik machen.

Die anlasslosen Chatkontrollen sind laut EU-Verordnung nur für die Verfolgung von sexuellem Missbrauch gedacht. Eine moralische Erpressung: Sie sind gegen Eingriffe in Ihre grundlegenden Freiheitsrechte? Sie wollen nicht, dass Twitter und Facebook bei Ihren privaten Nachrichten mitlesen und die Inhalte an den Staat weitergeben? Ja sind Sie etwa für sexuellen Missbrauch?

Das erinnert an die Verfolgungspflicht während der Pandemie. Außer im Kampf gegen den Virus sollten die Daten nicht eingesetzt werden, die eine Lehrerin hinterlassen hat, wenn sie ein Bier trinken gegangen ist, oder ein Arzt, wenn er ein Steak essen war. Doch schon früh wurden die ersten Fälle bekannt, in denen die Polizei diese Kontaktdaten für ihre allgemeine Ermittlungsarbeit benutzt hat. Virus wie sexueller Missbrauch werden auf diese Weise schnell zum Türöffner für einen staatlichen Zugriff auf private Daten.

SPD, FDP und Grüne spielen „Die drei Fragezeichen und die Massenüberwachung“, kommentiert der EU-Abgeordnete Martin Sonneborn (Die Partei) den Bruch von Koalitionsvertrag und Freiheitsrechten. Er zieht das bittere Fazit: „Nicht die Bürger müssen für ihre Regierungen immer transparenter werden, sondern umgekehrt.“

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