Tichys Einblick
Der Rette-sich-wer-kann-Moment ist da

Baerbock in China: Keine gemeinsame europäische Position

Sollte Baerbock den Chinesen gemeinsame europäische Positionen vortragen wollen, wird es schwierig. Es gibt keine, sondern eher mehr oder weniger gut austarierte Kompromisse. Schließlich haben die anderen europäischen Staaten eigene Interessen. Vor allem wollen sie nicht mit Deutschland in den grünen Abgrund gerissen werden.

Annalena Baerbock trifft Chen Min er in Tianjin, Politbüromitglied und Parteisekretär der Stadt Tianjin

IMAGO / photothek

Annalena Baerbock, Deutschlands stilistisch bestens betreute Außenministerin, ist heute in China eingetroffen. Nicht in Peking, sondern in der Hafenstadt Tianjin. Sie trifft auch heute nicht mit Xi Jingping zusammen, sondern will den Unterricht an einer PASCH-Partnerschule besuchen. Die Initiative „Schulen: Partner der Zukunft“, für die das Kürzel PASCH steht, hat das Ziel, junge Menschen für das Erlernen der deutschen Sprache zu begeistern – und Schulen, die das versuchen, weltweit zu vernetzen.

Und damit das Heimweh nach Deutschland in Fernost nicht zu hoch wird, steht die Besichtigung eines deutschen Unternehmens auf dem Programm, das – wie könnte es auch anders sein? – Windturbinen produziert.

In Peking finden morgen Chinas Außenminister Qin Gang und dessen Chef Wang Yi etwas Zeit für Annalena Baerbock. Im Oktober 2022 wurde Wang Yi in das Politbüro der Kommunistischen Partei Chinas berufen; er steht als Direktor des Büros der Zentralen Kommission für auswärtige Angelegenheiten dem Außenministerium vor. Qin Gang, Wang Yis Nachfolger, ist seit dem 30. Dezember 2022 Außenminister, zuvor war er Botschafter in den Vereinigten Staaten.

Es wird also für Annalena Baerbock schwierig werden, die Chinesen nicht zu langweilen, falls sie den beiden chinesischen Politikern die ihnen bestens vertrauten Positionen der USA vorträgt. Mit eigenen europäischen Positionen, die sie vortragen möchte, dürfte es schwierig werden. Zum einen existiert eigentlich keine gemeinsame europäische Position, die konsistent ist, sondern eher mehr oder weniger gut austarierte Kompromisse. Schließlich haben die europäischen Staaten, bis auf Deutschland, das verzweifelt versucht, die Welt zu retten, auch wohl verstandene eigene Interessen. Zum anderen hat Emmanuel Macrons Interview für die französische Wirtschaftszeitung „Les Échos“ und für das Nachrichtenportal „Politico“ für gehörige Aufregung gesorgt, obwohl er im Grunde nur die bekannte Vorstellung einer europäischen Souveränität vertreten hat.

Es ist sicher auch nicht falsch, davor zu warnen, dass Europa zu einem Vasallen der USA werden könnte. Macron sieht, dass sich die Macht- und Kräfteverhältnisse in der Welt neu mischen, dass neben den beiden Polen USA und China auch Staaten wie Indien, Brasilien zu neuer Macht streben und Russland seine alte Machtposition wiederzuerlangen sucht, auch mit den Mitteln eines Krieges. Macron weiß im Gegensatz zu den deutschen Medien, die gern diesen Eindruck zu erwecken versuchen, dass Russland nicht isoliert in der Welt steht.

Wenn, so Macrons Kalkül, Europa nicht abdanken will bei der Neuordnung der Welt, dann muss es jetzt als Player auftreten. So weit, so logisch – doch ist Europa nicht in der Lage dazu. Es mag sein, dass der französische Präsident einer Schimäre hinterherjagt. Sicher ist, dass es politisch nicht allzu klug war, vor dem Hintergrund der von China geschürten Spannungen um Taiwan, laut über das Verhältnis zu den USA nachzudenken, zumal in einer Situation, in der man nichts ändern kann.

China testet, China beobachtet den Kriegsverlauf in der Ukraine sehr genau. Wenn man in China zu der Einschätzung kommt, dass Europa schwach und die Kräfte der USA allzu sehr in der Ukraine gebunden sind, wenn China eine realistische Chance zur Okkupation Taiwans sieht, ohne einen Dritten Weltkrieg auszulösen, dann wird die chinesische Volksbefreiungsarmee in Taiwan einfallen.

Auch wenn für Emmanuel Macron Europa seine Prioritäten nicht „an der Agenda der anderen“ ausrichten sollte – auch nicht bei „Krisen, die nicht die unseren sind“, auch wenn Macron davor warnt, dass die Europäer als „Mitläufer“ vom „amerikanischen Rhythmus“ und einer „chinesischen Überreaktion“ abhängig würden, war weder Zeit, Ort, noch Zusammenhang für diese Deklaration günstig.

Es ist richtig, die Abhängigkeit von China zu reduzieren, es ist richtig, dass Europa, dass die europäischen Staaten selbstbewusster und selbständiger gegenüber den Vereinigten Staaten aufzutreten haben. Das sind Ziele, die man klug und zielstrebig verfolgen muss, über die man aber solange nicht spricht, solange man nicht über die wirtschaftlichen und militärischen Mittel verfügt, diese Ziele auch umzusetzen. Man läuft schnell Gefahr, sich lächerlich zu machen und als Gernegroß gesehen zu werden.

Empörte deutsche Medien brachten sogar die „Osteuropäer“ ins Spiel, die sich gegen den französischen Präsidenten angeblich positionierten. Doch blieb es bei der allgemeinen Benennung „Osteuropäer“. Wer hat sich denn positioniert? Ungarn? Serbien? Die Slowakei? Kroatien? Unter der etwas lieblosen Sammelbezeichnung „Osteuropäer“ finden sich vor allem die Polen. Der polnische Unmut ermöglichte den USA, sich eher zurückhaltend zu den Statements des französischen Präsidenten zu äußern.

Und darin liegt genau das Problem des „souveränen Europas“, denn Polen setzt in seiner Sicherheitsarchitektur militärisch und wirtschaftlich nicht auf Europa, sondern auf die USA. Neben den deutschen Grünen dürfte Polen der engagierteste Vertreter amerikanischer Interessen in Europa sein. Die USA werden Kernkraftwerke in Polen bauen, es wird nicht bei den Kernkraftwerken bleiben. In Berlin verschließt man utopieselig die Augen davor, dass Deutschland step by step von amerikanischen Firmen aus dem polnischen Markt verdrängt werden könnte.

Der Abwirtschaftsminister Habeck, dem das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA) untersteht, trägt die Verantwortung dafür, dass Siemens Energy keine Steuertechnik für das im Bau befindliche ungarische Kernkraftwerk Paks II liefern darf. Nun dürfte sich am Ende wohl das französische Unternehmen Framatome über die Aufträge aus Ungarn freuen. Im Jahr 2022 erklärte Bundesumweltministerin Steffi Lemke (Grüne) in Polen, dass Deutschland rechtliche Mittel prüfen werde, um den Bau polnischer Kernkraftwerke zu verhindern. Nun bauen die Südkoreaner und Amerikaner in Polen.

Man täte dem französischen Präsidenten Unrecht, wenn man seine Worte als launige Aperçus über die Weltpolitik einordnen wollte und seinen Besuch in Peking als Fehlschlag interpretierte, denn wenn Macron Europa sagt, meint er häufig Frankreich. Während Deutschland, wie in Ungarn oder in Polen und auch in China zu beobachten ist, seine Wirtschaftspolitik zunehmend von grünen Glaubensdogmen bestimmen lässt, versucht Macron, Deutschland in China industriepolitisch zu beerben. Liest man Macrons Worte vor diesem Hintergrund, so lautet Macrons Botschaft glasklar an China, dass die französische Wirtschaft zuverlässig und politisch unabhängig für Geschäfte mit China bereit steht.

Mit dem zunehmenden wirtschaftspolitischen und wirtschaftlichen Versagen Deutschlands wird in Europa der Rette-sich-wer-kann-Moment erreicht. Denn angesichts der wirtschaftlichen Entwicklung Deutschlands könnte bei unseren Partnern in der EU der Wunsch stärker werden, unabhängiger von Deutschland zu werden, um nicht mit in den grünen Abgrund gerissen zu werden.

Kein geringerer als Robert Habeck scheint nun den Worten des französischen Präsidenten ein größeres Gewicht verleihen zu wollen, denn wie das Handelsblatt berichtet, will Robert Habeck die wohl schon zugesagte Förderung für den Chip-Hersteller Nexperia rückgängig machen. Nexperia hat zwar seinen Hauptsitz in den Niederlanden, produziert aber den Großteil der Chips in Hamburg. Das Unternehmen gehört zum chinesischen Konzern Wingtech. Zwar ist es richtig, dass Deutschland sich unabhängig von China macht und die chinesische Praxis, die Chip-Herstellung als Teil seiner Macht- und Einflussstrategie zu betreiben, doch ist das Nein eine schwache Geste, wenn man erstens selbst keine Strategie hat und zweitens andere Partner schon wartend am Zaun stehen – wie beispielsweise Frankreich.

Dass Macron auf Distanz zu den USA geht, erklärt sich wohl auch damit, dass er genau beobachtet, in wessen Interessen die deutschen Grünen unterwegs sind, dass er genau registriert, wer Teile der deutschen Klimabewegung und grüne Think-Tanks wie die Agora Energiewende mitfinanziert, und möglicherweise weiß der französische Präsident mehr darüber, wer Nord Stream I und II gesprengt hat.

Was also wird Annalena Baerbock in Peking anderes als die amerikanischen Positionen wiedergeben können, was wird sie auf die Frage antworten – falls sie gestellt wird –, weshalb Deutschland die zugesagte Förderung von Nexperia zurückzieht?

Und warum sickert ausgerechnet die Nachricht in dem Moment darüber durch, dass der chinesische Konzern die avisierte Förderung nicht erhält, in dem Habecks Parteifreundin gerade auf dem Weg nach Peking ist? Wenn Baerbock wirklich etwas in Peking erreichen will, wenn sie wirklich nicht nur Parteitagsreden hält, sondern mit kluger Politik etwas für Frieden und Entspannung tun möchte, dann hat Robert Habeck ihr gerade den Weg erschwert.

Parteipolitische Machtkämpfe auf dem Rücken Deutschlands? Geht es schon darum, wer der nächste Kanzlerkandidat der Grünen wird? Ist diese Frage wichtiger als deutsche Wirtschafts- und deutsche Außenpolitik?

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