Literatur ermöglicht es, in das Leben eines Anderen zu schlüpfen: Sie weckt Empathie für das, was man hätte sein können. Ein wirkungsstarkes Instrument für Demagogen. In Zeiten, in denen politisch korrekte Sprache, die Rettung des Klimas und das Corona-Virus die Welt beherrschen, sollen mit Büchern auch die Gedanken von Jugendlichen erobert werden.
Die Autorin Marisa Reichardt aus den USA veröffentlicht 2021 den Jugendroman „A Shot at Normal“, welcher in Deutschland unter dem Titel „Immunity – Dein Leben, deine Entscheidung“ veröffentlicht wurde. Marisa Reichardt möchte in ihrem Roman den Versuch darstellen, wie man mit Impfgegnern in den Diskurs gehen kann – eine vielversprechende Idee, aber fragwürdig umgesetzt.
Die fiktive Geschichte geht auf die ansteigende Impfskepsis in der Gesellschaft und auf das Risiko einer erneuten Ausbreitung der Masern ein. Der Roman wurde angesichts der Corona-Pandemie von der Staatsregierung Bayerns als Schullektüre empfohlen und in die Liste der 100 besten Kinder- und Jugendbücher 2022 des Literaturhauses in München aufgenommen.
Juniper aus dem Hippie-Haushalt
Zentrale Figur des Romans ist die 16-jährige Juniper. Diese lebt mit ihrer Familie in Kalifornien. Die Eltern sind späte Hippies. Der Vater bleibt zu Hause, um sich um die Erziehung der Kinder zu kümmern; statt in der Schule werden die Kinder zu Hause unterrichtet. Im Garten baut die Mutter Kräuter an, die sie auf dem Wochenmarkt verkauft, um den Familienunterhalt zu bestreiten. Kräuter, die auch zur Heilung von Kinderkrankheiten eingesetzt werden. Denn die Familie lehnt Schulmedizin strikt ab. Die Kinder werden auch nicht gegen Masern geimpft. Eine folgenreiche Entscheidung.
Juniper ist unzufrieden. Denn das Ungeimpftsein und der Hausunterricht isolieren die Jugendliche von Gleichaltrigen. Vollends ins Wanken kommt ihre Welt, als sie sich mit Masern infiziert. Schon infiziert und infektiös, aber noch nicht schwer erkrankt, hilft sie auf dem Wochenmarkt einer jungen Mutter. Das Baby der Mutter berührt sie an der Hand: Transmissionsweg für eine Infektion, an der das Kind stirbt. Eine mediale und gesellschaftliche Hetzjagd auf Juniper und ihre Eltern beginnt; so ganz schlimm scheint die Autorin das nicht zu finden.
Selbstbestimmung ist Tun, was der Staat will
Der Staat weiß es besser, will das Buch dem Leser sagen. Juniper wird gegen ihre Eltern vor Gericht ziehen, um sich das Recht zur Impfung zu erstreiten. Aber die Impfung gegen Masern ist hier nicht der Gegenstand, um den gestritten wird. Die Impfung, über die die Jury verhandeln wird, ist exemplarisch für die vielen Staatsprojekte, die gegen Eltern, gegen Bürger durchgesetzt werden sollen.
Bargeld ist gefährlich: Juniper vermutet, durch Bargeld andere Menschen infiziert zu haben. Entscheidungsgewalt der Eltern über ihre Kinder ist gefährlich: Juniper ist isoliert und krank, weil ihre Eltern sie nicht impfen lassen oder zur normalen Schule schicken. Irgendwie ist Juniper privilegiert gegenüber anderen Menschen und das macht sie schuldig für irgendetwas. Die Welt wird untergehen, derweil sie immer ungerechter wird, weil der Staat sich nicht gegen die Bürger durchsetzen darf. All das sind Themen, die das Buch aufgreift. Dabei geht es in dem Buch doch um Impfgegner.
Das freie Recht auf Selbstbestimmung wird ohne Raum für eine Diskussion beschnitten. Die Eltern werden als unbelehrbare Egoisten charakterisiert und die Rolle zwischen Eltern und Staat vertauscht. Der fürsorgliche Staat sorgt für das Recht der Selbstbestimmung, während die Eltern das Bestimmungsrecht über ihre eigenen Kinder verlieren – Kinder der Eltern werden zu Kindern der Regierung. Jugendliche, will die Lektüre sagen, sind in ihrer Selbstbestimmung der Willkür ihrer Eltern ausgesetzt. Also in der Selbstbestimmung, das zu tun, was der Staat für richtig erachtet.
Von der Staatsregierung empfohlen
Die Masernimpfung ist eine der größten Errungenschaften der Menschheit. Sie hat zahllose Leben gerettet. Die Corona-Impfung, die angeblich mal wirksam ist, dann doch anders, dann aber wieder nicht, kann dies nicht von sich behaupten. Die Farce um die Corona-Impfung zeigt: Eine medizinische Entscheidung muss immer selbst getroffen werden. Und da Kinder dies noch nicht können, obliegt es den Eltern, dies zu tun. Das wird weggewischt zugunsten kalter Entscheidungsgewalt von Bürokraten über die Gesundheit von Kindern.
„Immunity“ ist nur ein Buch. Doch es steht für einen Staat und eine politische Elite, die die Familie als störend empfinden. Eltern verbauen dem Staat – im Guten wie im Schlechten – den Zugriff auf die Kinder. In tragischen Fällen des Missbrauchs ist dies auch zum Schaden der Kinder. Doch ein Staat, der die „Lufthoheit über die Kinderbetten“ erlangt, wie es einst Olaf Scholz stolz erklärte, ist ein Staat, der Zugriff auf die schwächsten und formbarsten Mitglieder der Gesellschaft erlangt.
Und dieses Buch möchte die Bayerische Staatsregierung im Unterricht lesen lassen. Bleibt zu hoffen, dass es kritisch gelesen wird.
Noemi Johler ist Studentin und freie Autorin.