Tichys Einblick
Meinungsfreiheit in Gefahr

„Frieden schaffen ohne Waffen“ – kostet heute schon das Amt

Wie der Präsident des Wittenberg-Zentrums für Globale Ethik, Hans-Joachim Herrmann, von seinem Konzil zum Rücktritt wegen einer Mahnung für den Frieden im Ukraine-Konflikt gezwungen wurde.

Lutherstadt Wittenberg

IMAGO / Hartmut Bösener

Wenn Sie heute, wie die Grünen noch bis vor kurzem, Frieden ohne Waffen schaffen wollen, kann Sie das schnell das Amt oder den Job kosten. Eliten des Wittenberg-Zentrums für Globale Ethik (WZGE) erzwangen Ende März den Rücktritt ihres Präsidenten Hans-Joachim Herrmann, weil er für Frieden im Ukraine-Krieg eintrat.

Unglaublich, aber wahr, im besten Deutschland aller Zeiten. Gleich vier Gremienspitzen des WZGE (Dr. Richard Pott, Vorsitzender des Kuratoriums / Dr. Martin von Brook, Vorsitzender des Vereinsvorstands / Prof. Andreas Suchanek, Vorsitzender des Stiftungsvorstands / Eckhard Naumann, Vorsitzender des Stiftungsrats) forderten vor Wochen den Rücktritt ihres Präsidenten.

Dieses Konzil schrieb Herrmann am 2. Februar 2023 folgenden Brief, der Tichys Einblick vorliegt: „Sehr geehrter Herr Herrmann, als Vorsitzende der Gremien des Wittenberg-Zentrums für Globale Ethik fordern wir Sie heute gemeinsam auf, Ihr Amt als Präsident des Vereins Wittenberg-Zentrum für Globale Ethik e.V. (WZGE) niederzulegen.“ Hermann hatte sein Amt im Juni 2022 angetreten.

Was war passiert? Eine Rede des früheren Stadtwerke-Chefs Herrmann beim Neujahrsempfang der Stadt Wittenberg Mitte Januar sorgte für ein demokratiefeindliches Nachspiel. Herrmann war hier zu Beginn des Jahres beim Empfang des Oberbürgermeisters die Ehrenurkunde der Lutherstadt verliehen worden. Unter den Gästen weilten die Botschafterin von El Salvador, der Bundestags- und zwei Landtagsabgeordnete sowie der Wittenberger Landrat.

In seiner Dankesrede äußerte sich der Ausgezeichnete auch zum russischen Angriffskrieg auf die Ukraine, und berief sich dabei auf das Motto der Friedensbewegung „Schwerter zu Pflugscharen“. Er fragte berechtigt: „Wie passt es da, dass wir heute Frieden schaffen mit immer mehr Waffen wollen?“ Diese Frage darf man offensichtlich heute nicht mehr stellen, weil die Grünen keine Pazifisten mehr sind, sondern eine Kriegspartei.

Dabei erinnerte Herrmann nur an den Kirchentag von 1983 in Wittenberg, wo er friedensbewegt dabei war: „‚Vertrauen wagen‘ war das offizielle Motto. Aber auch ‚Frieden schaffen ohne Waffen‘. Und unser Ehrenbürger Friedrich Schorlemmer hat unseren Freund, den Schmied Stefan Nau überzeugt, dass dieser das Schwert zum Pflugschar umschmiedet.“ Herrmanns Rede können Sie hier im Wortlaut nachlesen.

Bei seiner Friedensbotschaft erntete der Geehrte der Lutherstadt auch sehr viel Applaus von den 400 anwesenden Gästen, unter ihnen auch der Theologe Friedrich Schorlemmer (SPD). Für Herrmanns Konzil jedoch kam der Beifall, wie früher in der DDR, von der falschen Seite.

Den Auftakt zur Gesinnungsjagd lieferte dann ein Artikel der Mitteldeutschen Zeitung vom 16. Januar über den Neujahrsempfang: „Herrmann, heute Präsident des Wittenberg-Zentrums für Globale Ethik, schlug in seiner Dankesrede auch hoch kritische Töne an.“ Ausdrücklich hätte er die Waffenlieferungen an die Ukraine verurteilt und mit einem Rückgriff auf „Schwerter zu Pflugscharen“ an die „hohe Kunst der Diplomatie“ erinnert, die er vermisse.

Für all das gibt es inzwischen im Kriegsgetümmel offensichtlich keine Meinungsfreiheit mehr. Stigmatisierung der Friedensbewegung gehört heute sogar zum linksgrünen wie journalistischen Programm.

Für ihre Haltung zur Abberufung des WZGE-Präsidenten kassierte die Mitteldeutsche Zeitung viel Kritik von ihrer Leserschaft, doch Auflagen und Leser sind den links ausgerichteten Medien längst egal.

Hinzu kommt: Ex-Stadtwerkechef Herrmann wagte es in seiner Laudatio zu erwähnen: „Erdgas ist, egal woher es kommt, der ökologischste fossile Energieträger überhaupt.“ Diese Erkenntnis hat den grünen Zeitgeist zusätzlich getroffen. Schließlich könne er, so Herrmann weiter, in der deutschen Energiepolitik seriöse, gut durchdachte und verlässliche Entscheidungen im Moment nicht erkennen.

WZGE-Präsident Herrmann musste gehen, weil er im Sprachgebrauch des heutigen Spiegel ein sogenannter „Friedensschwurbler“ ist. Also ein Mensch, der wie früher die Grünen auf Frieden und nicht auf Krieg setzt – im Sinne von Frieden schaffen ohne Waffen.

Doch von diesem Credo wollen die heutigen Regierungsgrünen nichts mehr wissen. Sie repräsentieren jetzt als politische Waffenlieferanten das, was sie vor Jahren noch in der Opposition bekämpft haben: einen einflussreichen Teil des „militärisch-industriellen Komplexes“, den sie als Grüne im „US-Imperialismus“, wie sie es früher nannten, verortet sahen.

Friedensansichten werden gnadenlos ausgegrenzt

Inzwischen zeigen sich jedoch auch elitäre Kreise der Wissenschaft wie die WZGE-Spitzen kriegsbereit – und grenzen Kollegen mit Friedensansichten aus. So begründeten sie ihre Rücktrittsforderung gegen Herrmann in ihrem Schreiben, das Tichys Einblick vorliegt, mit den Worten: „Sie haben unmittelbar zum Handeln der deutschen und amerikanischen Regierung – in der Energie-, Außen- und Sicherheitspolitik – kritisch Position bezogen.“

Kritische Positionen können also einen Demokraten in Deutschland schon um sein Amt bringen. Aber es kommt noch besser: „Dabei haben Sie den direkten Bezug zu Ihrem Amt als Präsident des WZGE hergestellt. In der Folge blieb unklar, inwieweit Ihre persönlichen Positionen für die Arbeit des WZGE stehen.“

Was für ein wirkliches Geschwurbel der vier Geistesgrößen Pott, Naumann, Suchanek und von Brook. Es ist nichts klar, aber der Mann mit Friedensansichten muss weg. Schließlich habe sich Herrmann auch „für eine inhaltliche Strategieänderung – genauer: eine Ausweitung des bislang vereinbarten WZGE-Programms in Richtung ‚Ethik internationaler Konflikte‘ – ausgesprochen.“ Damit habe er die „Kompetenz des Präsidenten“ überschritten.

Ethik internationaler Konflikte in Zeiten von Krieg geht also gar nicht. Das hat schon absolut sozialistisches Ostblock-Niveau – weil nicht sein kann, was nicht sein darf.

SPD-Politiker drängt sich als Nachfolger auf

Seit 24. März 2023 gibt es einen neuen WZGE-Präsidenten, nachdem Herrmann sein Amt abgeben musste. Es ist wieder der alte – stromlinienförmig versteht sich. Der Rücktrittsforderer und langjährige Oberbürgermeister Wittenbergs Eckhard Naumann (SPD) nimmt die Amtsgeschäfte wieder wahr. Der frühere Mann vom „Demokratischen Aufbruch“ beteiligt sich inzwischen an einem Abbruch.

Herrmann selbst zeigt sich im Gespräch mit Tichys Einblick im Nachhinein doppelt überrascht: „Einerseits erhielt meine Rede sehr viel Applaus von den Anwesenden. Andererseits bin ich völlig überrascht von der Reaktion des WZGE.“ Obendrein hätte er nach dem Neujahrsempfang noch hunderte Sympathiebekundungen erhalten quer durch die Gesellschaft – sogar von früheren Europa-, Bundestags- und Landtagsabgeordneten. Herrmann warnt: „Wir tun der Demokratie keinen Gefallen, wenn wir bei kritischen Meinungsäußerungen gleich Konsequenzen zu befürchten haben.“

Der ganze Vorfall einer politischen Verurteilung eines Redners in der Lutherstadt Wittenberg ist umso erschütternder, da der frühere deutsche Chefdiplomat Hans-Dietrich Genscher (FDP) erster Präsident des WZGE war. Herrmann sieht sich dieser Tradition verpflichtet, er gehört bis heute der FDP an.

Nichtsdestotrotz beschreibt die Webseite des WZGE den politischen Angriff auf die Meinungsfreiheit eines Ethikers aktuell wie folgt:

„Anlass für die Neuwahl waren unterschiedliche Vorstellungen über die künftige Ausrichtung des WZGE. Dazu hatte der frühere Präsident Hans-Joachim Herrmann in einer öffentlichen Rede Aussagen getroffen, die nicht im Einklang mit den formalen Grundlagen des Zentrums und seiner laufenden Aktivitäten standen. Dies hatte zu Irritationen innerhalb der Gremien des WZGE und bei seinen Partnern geführt. Verschiedene Gremienmitglieder hatten daraufhin versucht, eine Klärung in persönlichen Gesprächen herbeizuführen und das Vertrauen wiederherzustellen. Nachdem dies gescheitert war, wurde eine Neuwahl durch die Gremien herbeigeführt.“

Die Einschränkung der Meinungsfreiheit breitet sich in Deutschland aus wie ein Virus. Dabei gerät die rot-gelb-grün regierte Republik immer mehr außer Rand und Band. Selbst die öffentlich-rechtliche ARD betitelt dieser Tage einen abendlichen Sendeschwerpunkt mit dem Motto „Können wir Krieg?“. Wer moderierte das Kriegsthema bei „Hart aber fair“? Der Lebensgefährte von Klimaaktivistin Luisa Neubauer: Louis Klamroth. Ausgerechnet ein Gast der Sendung wie Publizist Franz Alt musste dabei nachdrücklich mahnen, wichtiger sei, „dass wir Frieden können“. Mit dieser Ansicht könnte der friedensbewegte Franz Alt nicht Präsident des Wittenberg-Zentrums für Globale Ethik werden.

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