Am 19. Januar 2023 trat Boris Pistorius (63, SPD) sein neues Amt als Bundesminister der Verteidigung an. Er wurde politisch und medial querbeet freundlich, ja erleichtert empfangen. Was kein Wunder war nach den quälenden 13 Monaten seiner Vorgängerin Christine Lambrecht (SPD). Pistorius gab sich truppennah, setzte sich auf Panzer, sprach mit den Soldaten, machte auch international „bella figura“. Auf der Beliebtheitsskala erobert Pistorius schnell vorderste Plätze. Die ersten Lorbeerkränze waren geflochten.
Geht es Pistorius jetzt auch so? Mittlerweile ist man in der Truppe bis hinauf in die Generalität ziemlich angefressen. Der Bendlerblock wird unruhig, weil zahlreiche hochkarätige personelle Um- und Neubesetzungen angekündigt, aber zum Teil nicht konkretisiert wurden. Manche Betroffenen erfuhren es teilweise über die Presse.
Am Gründonnerstag, 7. April, schrieb Pistorius aus dem Osterurlaub an alle Soldaten und zivilen Mitarbeiter. Er bestätigte manche Personalie, andere verschwieg er. Wörtlich schrieb Pistorius: „Personelle Veränderungen in Spitzenpositionen werde ich transparent kommunizieren. Das betone ich insbesondere angesichts zahlreicher Spekulationen. Ich bitte hier um Ihr Vertrauen.“ Offenbar merkt Pistorius allmählich, dass hyperaktive Umbesetzungen nach Gutsherrenart noch keine Reform ausmachen. Da sollte Pistorius mal an seinen alten römischen Beinahe-Namensvetter Petronius denken. Dieser schrieb einmal: Wir stellen ständig um, strukturieren permanent neu, es bringt zwar nichts, aber es erweckt die Illusion des Fortschritts.
Auch sonst viel Stagnation oder gar Abbau
Von den 100 Milliarden „Sondervermögen“ für die Bundeswehr konnte derweil zugegebenermaßen noch nicht allzu viel sichtbar werden. Und der personelle Aufwuchs der Bundeswehr von 183.000 bis 2031 auf 203.000 Mann steht in den Sternen, zumal zuletzt immer mehr Soldaten wegen „Ukraine“ den Wehrdienst verweigerten und viele Längerdienende ihre Verpflichtungszeit beendeten oder verkürzten.
Wenn man sich anschaut, was China, Russland und die USA in militärische Forschung stecken, kann man nur noch den Kopf schütteln. Denn die Folge wird sein, dass Deutschland in Zukunft über noch weniger eigene moderne Waffensysteme verfügen wird und dann bald alles auf dem internationalen Markt einkaufen muss.
Das ist das eine. Das andere ist, dass solche Einsparungen wieder ein Beitrag zur De-Industrialisierung Deutschlands sind. Denn viele Spezialisten werden auswandern und dorthin gehen, wo man sie mit Handkuss nimmt. Firmen werden hops gehen. Nehmen wir als ein Beispiel das kleine Unternehmen Nordmetall GmbH – ein Spezialist für hochdynamisches Materialverhalten, zum Beispiel Panzerungen. Solche Firmen werden nicht überleben, wenn die Bundeswehr ihnen Aufträge entzieht. Nordmetall-Geschäftsführer Norman Herzog rechnet denn auch bereits mit einer Halbierung seiner Belegschaft.
Betroffen werden aber auch Forschungseinrichtungen wie die Fraunhofer-Institute sein. Dort erledigt man für bislang rund 70 Millionen wehrtechnische Forschungsaufträge. Die vorgesehenen Kürzungen kommen dort einem Kahlschlag gleich, insbesondere in den Bereichen, in denen Fraunhofer führend mitmischt: Optronik, Bildauswertung, Tarnung, Ballistik, energetische Materialien, neue Werkstoffe, Schutztechnologien, Radar, Elektronik, Quantentechnologien, Sensoren, IT, KI und autonome Systeme. Siehe die April-Nummer 2023 der Zeitschrift „Europäische Sicherheit & Technik / ES&T“ der Deutschen Gesellschaft für Sicherheitspolitik e.V. (GSP).
Gute Nacht, Deutschland! Denn es kommt noch hinzu, dass die Universitäten und Fachhochschulen auch keine Forschung mehr betreiben wollen, die auch nur im entferntesten mit Militär zu tun hat. „Zivilklausel“ nennt man das – eine Verpflichtung, die fast alle Bundesländer und fast alle deutschen Hochschulen eingegangen sind. Der Weckruf „Ukraine“ hat wohl noch nicht gereicht.