In einem Pro- und Contra-Artikel eröffneten die Redakteure Maximilian Tichy und Mario Thurnes die Diskussion, ob ein Tanzverbot zu Karfreitag noch angemessen ist. Das Tanzverbot ist Ländersache; in manchen Bundesländern wie Berlin ist es schon ausgehöhlt und greift nur am Freitag selbst von 04:00 Uhr bis 21:00 Uhr. In Bayern hingegen gilt es von Gründonnerstag morgens um 02:00 Uhr bis schlag Mitternacht am Karsamstag. Die Diskussion rief gespaltene Reaktionen der Leser hervor, wir präsentieren Ihnen hier eine Auswahl.
„Nein, das ist ein Irrtum, lieber Maximilian Tichy! Religion ist eben keine Privatsache. Sonst hätten wir all die Errungenschaften der christlichen Bildung und Kultur nicht. Sie werden das noch erleben, wenn über mir der Rasen des Südfriedhofs wächst – und dann in härtester Form: wenn nämlich die künftige Mehrheitsreligion mit ihrer Scharia herrscht. Da ist nix mehr mit Privatsache.“
Die Rücksichtnahme auf die Leiden Christi und den christlichen Glauben ist für viele das Leitmotiv ihrer Argumentation. So schreibt Dr_Dolittle:
„Karfreitag ist ein guter Tag – gerade nach Corona – sich das Zentrum der christlichen Heilslehre zu vergegenwärtigen: Lamm Gottes das hinwegnimmt die Sünden der Welt. Und die fast zweitausend Jahre alte Aussage „denn sie wissen nicht was sie tun“ wurde gerade mit neuer Bedeutung gefüllt. Für die mit Corona begründeten Vergehen gegen die Menschlichkeit kann es keine irdische Gerechtigkeit geben.“
Ähnlich sieht es Everhard:
„Selbstverständlich ist das Tanzverbot gut und richtig.
Weil es den Glauben wiederspiegelt, der dieses Land aufgebaut hat. Weil es auch Teil des Feiertags ist, den wir alle morgen begehen. Auch Nichtchristen bekanntlich.
Weil es der eine Tag ist, der zur Stille gemahnt, angesichts der Gräuel der Welt.
„Zeitgemäß“? Seit wann ist das eine moralische Kategorie? Naturalistischer Fehlschluß nennt man das in der Philosophie, wenn ich mich recht erinnere.
Und, Lieber Maximilian Tichy, das Argument, man könne seinen „Glauben ja im Privaten ausleben“ ist der Zynismus der Atheisten, die damit nichts anderes fordern, als daß öffentlich nur noch ihr Glaube zu gelten habe.“
Wohingegen auch nichtgläubige Leser das Tanzverbot im Sinne des Traditionserhalts bewahren wollen, wie zum Beispiel der Leser Fathered, der schrieb (Kommentar von der Redaktion überarbeitet):
„Ich selbst bin aus der Kirche ausgetreten, nicht wegen der Steuern, sondern wegen „nicht vorhandenem Glauben“. Somit bin ich „religionslos“ oder besser religionsfrei… evtl. ein Atheist. Wohl eher ein Agnostiker. Trotzdem respektiere ich die christlichen Feiertage und die christlichen Bräuche rund um Weihnachten, Ostern oder Pfingsten oder anderen christlichen Feiertagen. Christentum in Deutschland ist Teil der kulturellen Identität dieses Landes (noch). Und so lange das noch so ist, kann man auch mit 5 Tagen im Jahr der Ruhe und des „Nicht-Party-machen“ leben es ist einfach eine Sache des Respekts gegenüber den anderen. Wenn ich eine Kirche besuche, ziehe ich auch die Mütze vom Kopf, obwohl ich dem Glauben nicht anhänge. So einfach ist das. In 20-30 Jahren werden die meisten hier den Ramadan feiern, dann wird wohl keiner mehr nach einem Tanz am Karfreitag fragen, denn dann ist jeder Freitag „tanzfrei“ – evtl. auch alle anderen Tage, siehe Iran. Also….tanzt solange ihr noch könnt, 360 Tage im Jahr und haltet eben mal für 5 Tage die Beine still. Wird doch gehen oder? Übrigens, die Frage nach Tanz am Karfreitag kann man ganz leicht „auflösen“, in dem man die Wahl stellt: Tanzen am Karfreitag, dafür kein Feiertag mehr und arbeiten….oder frei am Karfreitag und weiterhin Beine stillhalten. Wofür sich die „Tänzer“ da wohl entscheiden werden?“
Ähnliches schreibt Berlindiesel:
„Ja, das Verbot ist „zeitgemäß“. Doch wie Max Tichy zurecht anmerkt, geht es dabei weniger um das Tanzen an sich, sondern um die Einschränkung.
Er irrt sicher nicht, dass man angesichts der Entreligioisierung der Deutschen eigentich alle christlichen Feiertage abschaffen sollte. Sie haben schon lange nur den Effekt zusätzlicher Urlaubstage. In der angelsäschsischen Welt ist man da ehrlicher: Fällt ein Feiertag auf einen Sonntag und ist daher nicht arbeitsfrei, gibts am darauffolgenden Montag einen „Bank Holiday“.
Trotzdem ist es gut, dass wir auch noch nicht die letzten Traditionen auf dem Altar der Dekadenz und Libertarismus opfern.
Und ich kann dem jungen Tichy versichern: Mit 25 – und damals war wirlich die hohe Zeit der Clubs im Nachwende-Berlin, da ist das, was heute noch übrig ist, gar nichts dagegen, so wie Frankfurt auf der einstigen Clubmeile Hanauer Landstraße von einstmals acht Clubs vor 20 Jahren keinen einzigen mehr hat – mit 25 fand ich das Tanzverbot auch spießig und ultimative Spaßbremse.
Mit dem Alter wird man weiser, Herr Tichy. Keine Sorge. 2040 werden Sie meiner Meinung sein.“
„Das ist Privatsache, und genau darum geht es: Niemand hat das Recht aufgrund privater Befindlichkeiten anderen Vorschriften zu machen. Und: Niemandes Glauben und dessen Ausübung wird beeinträchtigt, wenn jemand privat etwas anderes macht. Bemerkenswert, wieviele TE-Leser gern sich und andere staatlichen Verboten unterwerfen wollen, obwohl es überhaupt keinen Regelungsbedarf gibt. In Sachen Trennung von Staat und Kirche kann Deutschland viel von anderen Ländern mit christlicher Tradition (England, Italien, Frankreich…) lernen. So, jetzt setze ich mich wieder an meine Arbeit und heute abend genieße ich meine Freizeit so, wie ich es für richtig halte (ich weiß das nämlich besser als andere).“
Und dann gibt es auch jene, die mit dem Christentum an sich wenig anfangen können und lieber das verlängerte Wochenende anders nutzen wollen, wie Wesehe:
„Ich wundere mich schon lange darüber, dass dieses österliche Tanzverbot überhaupt noch besteht. Gerade die Lage der Feiertage bietet sich doch für die ganz große Sause an: Gründonnerstag abends geht’s los, bis Sonntag nachts durchfeiern, um dann montags gründlich auszuschlafen und dienstags wieder zur Arbeit.
Und gerade die verfassungmäßig garantierte Religionsfreiheit bietet sich doch an, dieses unselige Tanzverbot auszuhebeln. Dabei denke ich gar nicht an die negative Religionsfreiheit (also die Freiheit vor den Belästigungen durch religiöse Spinner) sondern an die positive Religionsfreiheit (also die Freiheit, einen Gottesdienst durchzuführen). Es wird sich doch wohl noch irgendwo ein paganer Priester finden lassen, der gerne bereit ist, ein echtes Osterfest zu veranstalten. Also ein mehrtägiges Frühlingserwachensfest, wie es üblich war, bevor die Christen aus diesem fröhlichen Freudenfest ein trostloses Ritual für Griesgrame gemacht haben. Wobei man ja zugestehen muss, dass am Ende der Osterzeit mit der Auferstehung doch noch ein erfreuliches Ereignis steht.
Ich denke, so ein paganes Osterfest wäre eine gute Möglichkeit, die Arroganz der christlichen, mittlerweile Minderheit aufzubrechen.“
„Kniffliger Fall, die Sache mit der Bewirtschaftung von Speiselokalen im Ramadan, Herr Tichy. Könnte man noch dahingehend erweitern, daß an Karfreitag z. B. nur Fisch angeboten werden darf. Da besteht dann wirklich kein Unterschied mehr zu den Absolutheitsansprüchen einer gewissen Partei, die uns liebend gerne in unseren persönlichen Speiseplan „reingotten“ würde.
Letzten Endes lassen sich in einer pluralistischen Gesellschaft kulturelle Gebote nicht per Gesetz verordnen, sie zu befolgen, ist eine Sache der inneren Einstellung (den Begriff „Haltung“ mag ich nicht mehr ? ). In einer homogenen Gesellschaft ist das natürlich leichter. Vor mehr als einem halben Jahrhundert wären solche Gedankenspiele wohl gar nicht erst aufgekommen, da hieß es eben, an Karfreitag wird nicht getanzt, basta! Wie kann man so was überhaupt wollen?
Und da stellt sich dann unweigerlich die Frage, welche kulturellen Vorstellungen und tradierten Werte unsere Gesellschaft in den kommenden Jahren dominieren werden. Also eine Frage demographischer Mehrheiten. Und genau das ist dann auch der Punkt, an dem das Eisen richtig heiß wird. Juristisch wird das Problem dann aber erst recht nicht mehr zu lösen sein, fürchte ich.“
Besonders freut es die Redaktion, dass die Möglichkeit der Diskussion auch für weitere Vorschläge zur Programmgestaltung genutzt wird. Eine Umsetzung können wir nicht versprechen, aber aufgenommen werden Vorschläge wie der von Leser Kartoffelstaerke auf jeden Fall:
„Wirklich interessant, wieviele unterschiedliche und meist gut begründete, nachvollziehbare Aspekte diese Fragestellung als Reaktion in den Kommentaren hervorbringt; persönlich bin ich in der Frage unentschieden bzw. gleich-gültig.
Aber ich finde das Konzept der Pro/Contra-Fragestellung gut, und würde vorschlagen, dies vielleicht auch in den „TE Talk“-Sendungen einzuführen.
Man könnte doch z.B. Streitgespräche eines CDU- mit einem AfD-Politiker veranstalten, oder eine Diskussion mit Wissenschaftlern gegenteiliger Meinung bezüglich des Klimawandels, oder Ärzte verschiedener Ansicht über Corona/Impfung aufeinandertreffen lassen, usw.
Ist es nicht das, was wir zu Recht im Medien-Mainstream vermissen?“