Schon die ARD-Doku im Vorfeld der Sendung verfolgte unverhohlen das Ziel, die Deutschen auf einen möglichen Kriegseintritt einzustimmen. „Wie kriegstauglich ist die Bundeswehr heute?“ stand dort in der Sendungsbeschreibung. Die Talkrunde setzt diese Kakophonie der Kriegslüsternheit unverhohlen fort. Am Tisch: vier Verfechter des bewaffneten Konflikts und Franz Alt als eine Art Feigenblatt-Friedensstifter. Feuer frei!
SPD-Mann Michael Roth schießt seine bekannten Salven ab. Im Westen nichts Neues, nur die üblichen Parolen: „Wir haben die Wehrhaftigkeit vergessen“, sagt er, und „dafür zahlen wir jetzt einen hohen Preis“. Erst einmal sei es „die oberste Priorität, dass die Ukraine diesen Krieg gewinnt. Dabei ist die Politik gefordert, dabei ist die Gesellschaft gefordert.“ Putin sei der Aggressor. Putin wolle nicht verhandeln. Das Volk der Ukraine solle vernichtet werden, doch „die wollen nie und nimmer sich unterdrücken lassen von Putin“. Roth verliert sich fast in seinen bellizistischen Wiederholungen. Zugleich beklagt er, dass er ständig als Kriegstreiber hingestellt werde, wo er doch früher so pazifistisch war. Der Ärmste. Seine Phrasendreschmaschine verfehlt ihr Ziel nicht. Das Klatschvieh auf den Publikumsrängen ist begeistert. Applaus, Applaus, das Volk will Krieg. Die Frage bleibt nur, wie total er denn sein darf. Bedächtigkeit ist out.
Damit keine Bedenken aufkommen, hat Klamroth eine attraktive Ukrainerin eingeladen. Mariya Maksymtsiv lebt seit Jahren in Hannover, doch ihr Bruder ist an der Front, deshalb weiß sie über alle Vorgänge dort ganz genau Bescheid. Wenn sie berichtet, und sie berichtet viel, dann verhärtet sich bisweilen ihr Blick. Ohne die Waffenlieferungen des Westens gäbe es die Ukraine schon gar nicht mehr, sagt sie. Jede einzelne sei für ihren Bruder „ein Geschenk“, und sie würde jedes Mal kurze Zeit später in der Zeitung lesen, dass schon wieder dieses oder jenes Gebiet erfolgreich befreit worden sei. Das sagt sie ohne jeden Anflug von Ironie. So einfach kann Krieg sein. Gebt mehr Geschenke! Andere sterben. Es ist diese Einseitigkeit die irritiert. Frieden ist schwieriger zu schaffen, als Krieg zu betreiben. Diese Lehre ihrer Väter und Großväter hat die jüngere Generation der Grünen und Roten vergessen. Nichts ist schwieriger zu schaffen als Frieden, wenn Kanonen donnern.
Dieser Abend ist ein Feuerwerk der Kriegsbegeisterung. Das Gerassel erinnert an dunkle Kapitel deutscher Geschichte. Und die Gäste klatschen wie 1914. Auftritt Franz Alt, ein bisschen Nachdenklichkeit bitte: „Also, dass Deutschland Krieg kann, hat die Welt auf furchtbare Weise im letzten Jahrhundert zweimal erlebt“, sagt er. „Daraus wurde nach 1945 der Grundgesetzauftrag: Nie wieder Krieg von deutschem Boden aus! Deshalb ist mir nicht ganz wohl bei der Frage, ob Deutschland Krieg können muss. Wichtiger wäre, dass wir Frieden können.“
Kurzum: Kein Wort dazu, welche westlichen Werte genau es sind, die die Ukraine hier verteidigt. Ja, es ist ein Überfall Russlands auf seinen Nachbarn, und der ist unentschuldbar, so wie der Bruch praktisch aller Verträge, die Russland geschlossen hat. Aber stimmt des SPD-Mann Roths steile These? Dem US-Präsidenten, der bisweilen Mühe hat, sein nahes Umfeld zu erkennen, unterstellt er Weitsicht: „Unsern Arsch retten derzeit die Amerikaner, weil Herr Biden weiterhin mit großem Wohlwollen auf Europa blickt.“ Wow. Was fehlt, ist die Auseinandersetzung über die Frage: Wie kann trotz Putins Angriffskrieg wieder Frieden einkehren – das scheinbar Unmögliche geschehen? Gibt es andere Weg, Russland zu stoppen?
Mariya Maksymtsiv malt die Ukraine als friedlichen Agrarstaat. „Vor einem Jahr sind wir mit fast nichts an die Front gegangen“, sagt sie. Kein Wort dazu, dass das Land möglicherweise über Jahre vom Westen hochgerüstet wurde, nachdem Russland bereits Teile besetzt hatte. „Der Kriegsverbrecher Putin hat gesagt, nach drei, vier Tagen gehört die Ukraine zu uns. Nach einem Jahr ist das nicht passiert, und das wird auch nicht passieren. Die Ukraine wird nie im Leben kein einziges Prozent an Territorium für die Russen abgeben.“ Die ungewollte, doppelte Verneinung könnte am Ende auch ein mögliches Ende des Krieges aufzeigen: Aber die Gefahr, dass die Ukraine dann nicht nur 20 Prozent abgeben muss, sondern vielleicht 50 Prozent verliert, wie es offensichtlich das Ziel Putins ist, spielt an Abenden wie diesen keine Rolle. Darf es wirklich keine Kompromisse geben?
Bild-Reporter Paul Ronzheimer hört stets beseelt zu, wenn die Ukrainerin spricht. Die ständige Verzögerung bei den Waffenlieferungen habe die Ukrainer wütend gemacht, sagt er. Und überhaupt: In Deutschland würden die Soldaten kaum Wertschätzung erfahren. In den USA sei das ganz anders. Dort dürften Soldaten etwa beim Flugzeug immer als erste einsteigen. Taz-Chefredakteurin Ulrike Winkelmann malt das Bild zu Ende, aber nicht in Ronzheimers Farben: „Also, so lange psychisch traumatisierte Soldaten ohne Glieder da am Straßenrand campen, weil sie weder die medizinische Behandlung bekommen noch sonstige soziale Unterstützung, glaube ich nicht, dass in den USA die Hochachtung besser ist.“ Treffer, versenkt. Und Franz Alt ergänzt: „Jeden Tag töten sich in den USA 18 Soldaten selbst. Dass Politiker mehr über Verhandlungen nachdenken müssen als über Krieg, das ist, was wir aus allen Kriegen lernen müssen. Ich würde, wenn es um Frieden geht und darum, das Leid in der Ukraine zu beenden, auch mit dem Teufel verhandeln.“
Am Anfang der Sendung war ein deutscher Kriegsveteran zu Gast. Oberstabsfeldwebel Rüdiger Hesse hat aus Afghanistan eine „posttraumatische Belastungsstörung“ mit heimgebracht. Er habe „zu viele Dinge erlebt, die meine Seele nicht verarbeiten konnte“, sagt er. Ihn plagen Angst- und Panikattacken, Depressionen, Spasmen. Sein Gesicht ist halb gelähmt. Was sagt er jungen Leuten, die zum Bund wollen?, will Klamroth wissen. „Überleg es Dir gut“, antwortet Hesse. Es gehe darum, sein eigenes Leben einzusetzen. Aber auch hier der Nachsatz: „Wenn Du dazu bereit bist, dann ist es ein geiler Arbeitgeber.“
Und würde Hesse selbst das alles nochmal machen? Er antwortet mit schiefem Lächeln: „Ich bin dumm genug. Natürlich.“