Tichys Einblick: Mit dem europäischen Chip-Gesetz soll Europas Wettbewerbsfähigkeit und Resilienz in puncto Halbleitertechnologien gestärkt werden, um zur Verwirklichung des „digitalen und ökologischen Wandels“ beizutragen. Was halten Sie davon?
Kurt Lauk: Die Initiative ist mit Sicherheit eine richtige Initiative. Wir haben da eindeutig Nachholbedarf. Mein Thema ist nur: Die EU will mit zu wenig Geld zu viel erreichen. Ein Beispiel: Samsung investiert bis 2030 nach eigenen Aussagen 100 Milliarden Dollar für Logikchips, weitere 100 Milliarden in Memory Chips. Die EU ist weit von diesen Zahlen weg, die Rede ist von rund 20 Milliarden Euro. Private Investitionen in ähnlicher Höhe kommen hinzu. Der wichtigste Chiphersteller der Welt, Taiwan Semiconductor Manufacturing Co. (TSMC), investiert zwischen 2022 und 2024 100 Milliarden Dollar allein für Upgrading in Taiwan und koinvestiert in Arizona in Fabriken im Volumen von circa 40 Milliarden Dollar. Das heißt also: Wenn man was tut – was sicherlich wichtig und richtig ist –, dann muss es mehr sein. Das ist die eine Seite. Die zweite ist, dass in der EU etwa zehn neue Fabriken geplant werden, in den USA 14 und in Taiwan über 20.
Okay, das wäre ein solider dritter Platz.
Da mitzuhalten erfordert eine ganz andere Dimension als das, was die EU bislang vorsieht. Das zweite Problem ist, dass wir in Europa keine Chipdesigner mehr haben, die einen Hochleistungschip unter 20 Nanometer machen können. Die nächste Grenze ist unter zehn Nanometer. Nun sagt man in Brüssel, das sei nicht so schlimm, weil 90 Prozent des Marktes bei Chips über zehn Nanometer liegen.
Warum ist dieser Markt so wichtig?
Das ist zunächst nur ein Nischenmarkt mit allerdings höchsten technischen Anforderungen. 90 Prozent des Weltmarkts verwenden derzeit Chips in einer Größe zum Teil weit über diesen zehn Nanometer. Da kann Europa mitspielen. Der Zukunftsmarkt wird aber, was die Server angeht, unter zehn Nanometer verlangen. Und warum ist das so? Unter zehn Nanometer ist die Rechnerleistung der damit bestückten Server größer, die Latenzzeit geringer, und entscheidend ist der wesentlich geringere Energiebedarf.
„Wenn man über Artificial Intelligence und CloudComputing nachdenkt,
braucht man diese High-Performance-Chips“
Wie hängt das zusammen?
Die Anwendungen für unter zehn Nanometer sind im Wesentlichen Artificial Intelligence und Cloud-Computing. Das sind dann also die großen Anlagen, die Hyperscale-Datenzentren, von denen es im Moment in der Welt zwischen 600 und 700 gibt. Aber die Anzahl steigt ständig. Da sind dann in großen Hallen mit starker Stromversorgung 400 000 plus x Server an der Arbeit. Die dürfen übrigens nicht länger als drei Minuten ausfallen, sonst sind die Daten weg. Diese 600 bis 700 Zentren verbrauchen heute schon etwa zehn Prozent der weltweit erzeugten Energie.
Das heißt, das Bewusstsein dafür, dass es die Digitalisierung ist, die mehr Strom verbraucht als Kühlschrank und Fernseher, ist gar nicht da, oder?
Und wo steht Europa im Vergleich zu den USA, Taiwan und China?
Noch haben Europa und Amerika einen Vorsprung, vor allem weil wir die Technologie haben. Zum Beispiel die Lithografiemaschine von der holländischen Firma ASML. Die haben ein weltweites Monopol. Zwei deutsche Sublieferanten sind mit im Geschäft, die die Anlagen überhaupt erst arbeitsfähig machen. Das eine ist der Laser von Trumpf, und das zweite ist die Optik von Zeiss Oberkochen. Diese zwei Komponenten sind wahnsinnig schwierig zu kopieren, und die Chinesen haben im Moment nicht die Fähigkeit, das zu tun.
Das heißt aber, dass wir gut aufgestellt sind, wenn wir die zentralen Technologien des Werkzeugmaschinenbaus liefern können?
Ja, das ist richtig. Mit viel höherem Energieaufwand kommt natürlich auch China in die Nähe der notwendigen Leistungsfähigkeit. Das kriegen die hin, haben dann aber einen entsprechend riesigen Energiebedarf. Deshalb brauchen die deutlich mehr Kraftwerke, insbesondere Kohlekraftwerke – was für das Klima natürlich nicht wünschenswert ist. Es reicht für Server-Farmen mit großem Energiehunger, mit Müh und Not. Aber für den Chip-Krieg reicht das nicht.
Was verstehen Sie unter Chipkrieg?
Chips sind mittlerweile eine Wafe. Und hier spielt dann Taiwan eine große Rolle, denn die taiwanesische TSMC hat bei Chips unter zehn Nanometer einen Weltmarktanteil von 92 Prozent, die anderen acht Prozent liegen bei Samsung. Und damit spielt die Musik außerhalb Europas. Deshalb baut TSMC zwei neue Chipfabriken in Arizona und nicht in Taiwan. Bei der Einweihung war sowohl Präsident Joe Biden dabei als auch Morris Chang, der Gründer von TSMC. Chang erklärte, er unterstütze die beiden Chipschmieden in Arizona, obwohl die Produktion sehr viel teurer sein werde als die Herstellung der Chips in Taiwan, wo TSMC über 20 Fabriken betreibt und die ganze Infrastruktur, Services, Erfahrung, Know-how, Maintainance und Mitarbeiter nutzen kann. Um die Produktionsstätten in Arizona ans Laufen zu bringen, werden erst mal 1600 Ingenieure aus Taiwan hingeschickt und eine Hundertschaft Amerikaner in Taiwan ausgebildet, um überhaupt Planung und Betrieb zu bewältigen.
Wenn China wirklich Taiwan unterwirft, dann haben sie ja auch die Ingenieure, denn die sitzen ja in und um Taipeh herum.
Da gibt es auch Spekulationen, die ich hier nur als Spekulation wiedergeben kann. Es gibt offenbar, vom Pentagon initiiert, Evakuierungspläne für die kritischen Ingenieure, die die Anlagen betreiben, für den Fall, dass es in Taiwan losgehen sollte. Ich war auf einer Sicherheitskonferenz in Singapur, dort hat der chinesische Verteidigungsminister gesagt: Eins möchte ich euch nur sagen, die Wiedervereinigung wird kommen!
Das heißt, Europa wäre eigentlich gut beraten, einen ähnlichen Weg zu gehen wie die USA, sich die High-Speed-Chipproduktion nach Europa zu holen, um sich unabhängig zu machen?
Eindeutig. Aber dazu bräuchte Europa sehr viel mehr Geld als bislang vorgesehen und eine ganz andere Infrastruktur. Dann müsste man dort die Plants bauen, wo schon einige Fabriken sind. Da bietet sich in Deutschland beispielsweise Dresden an, aber mit Sicherheit nicht Magdeburg. Die Wirtschaftlichkeit wächst mit der unmittelbaren Nähe einer Vielzahl von Anlagen und Akteuren. Europa ist zersplittert und verstreut Anlagen quer über den Kontinent. Gerade soll in Dresden ein Werk stillgelegt werden und nach Portugal wandern. Das ist nicht zielführend.
Und der zweite Punkt ist: Wir haben im Moment die Ingenieure nicht, die das leisten können. Also brauchen wir auch da Anleihen aus Taiwan, und die 20 Milliarden Euro, mit denen dieser Chipplan im Moment ausgestattet ist, reichen bei Weitem nicht. Die anderen investieren 100 Milliarden, und wir versuchen es mit 20 bis 40. So kann man keine technologische Führerschaft erringen.
„Da sieht man schon, wie weit die Welten auseinander sind
und wie wenig Brüssel versteht, wie diese Industrie funktioniert“
Was müsste Europa tun?
Europa muss drei Dinge tun. Erstens: Wir brauchen eine exzellente Ausbildung von vielen Ingenieuren. Zweitens: Wir müssen Ingenieure aus Amerika und Taiwan holen und ihnen drittens Bedingungen bieten, die so attraktiv sind wie im Silicon Valley, also vom Aktienoptionsprogramm bis zu den Gehältern und bis zur Steuergesetzgebung. Das halte ich für zwingend. Aber ich sehe keinerlei Ansatzpunkte, dass der politische Wille dazu in der EU oder gar in Deutschland da ist.
Also eine Leerstelle in Europa?
Wir haben ja noch gute Chipproduzenten auch in Europa wie STMicroelectronics, NXP und Infineon. Bosch hat auch eine eigene Chipfabrik. Die sind alle auf über 14 Nanometer ausgelegt – für den Markt von Waschmaschinen, Smartmetern und ähnlichen Geräten ist das al-
les ausreichend. Aber nicht für die High Performance, für Artificial Intelligence, für das Cloud-Computing. Das heißt, wir überlassen damit den Markt für Artificial Intelligence und Cloud-Computing Google, Amazon, Facebook und Microsoft. Das ist sensationell, wie die im Cloud-Computing-Thema wachsen. Da würden wir uns nicht einklinken können.
Was unterscheidet die Ingenieure in Deutschland und in Taiwan?
Wir haben auf beiden Seiten sehr intelligente Leute. In Taiwan hat man aber erkannt, dass die MINT-Fächer, also Mathematik, Ingenieurwissenschaften, Physik, Chemie, Software, zukunftsfähiger sind als Genderideologielehrstühle. Das heißt, dort wird der Nachwuchs von Anfang an gefördert. Und dann ist da die Arbeitszeit. Also ich sehe wenig Taiwanesen, die in dieser Industrie tätig sind, die mit einer Sechstagewoche auskommen.
Nun steht das ursprünglich avisierte Chipwerk in Magdeburg wegen der hohen Energiekosten wohl zur Debatte. Warum?
Nicht nur die Chips und Computer sind stromhungrige Geräte, sondern auch die Chipherstellung. Dazu braucht man ungeheure Energiemengen. Wie soll das eigentlich in Deutschland funktionieren, wenn der Strom durch Windräder erzeugt werden soll? Die Fabriken müssen ja durchlaufen, sieben Tage, 24 Stunden. Es ist das Geheimnis der Grünen, wie man das mit Solar- und Windenergie machen will.
Nun hat ja der Betreiber der möglichen Chipfabrik bei Magdeburg schon erklärt, dass er bei diesen Strompreisen lieber auf das Subventionsgeld und den Investitionsplan verzichtet.
Er hat drei oder vier Milliarden geboten bekommen und hat jetzt gesagt, unter zehn macht es überhaupt keinen Sinn. Das wäre allerdings die Hälfte des Bedarfs, den die EU insgesamt für das Advanced-Silicon-Programm ausgeben möchte. Also da sieht man schon, wie weit die Welten auseinander sind und wie wenig Brüssel eigentlich versteht, wie diese Industrie funktioniert. Das ist erbärmlich.
Kurt Lauk war Vorstand in führenden deutschen Industrieunternehmen wie VEBA (heute Eon), leitete für DaimlerChrysler den Vorstandsbereich Nutzfahrzeuge. Er war Abgeordneter im Europaparlament und Präsident des CDU-nahen Wirtschaftsrats. Heute ist er Aufsichtsrat, Investor und Berater.