Christian Lindner weiß, wie er Erwartungen auf der politischen Bühne schürt. „Ideenreichtum, Schlafmangel – Koalitionsausschuss“ twitterte der Finanzminister zur Halbzeit der sich über drei lange Tage hinziehenden Gespräche des Koalitionsausschusses über den vom grünen Wirtschaftsminister Robert Habeck geplanten Zwang zu Wärmepumpen, über schnellere Planungsverfahren und über den Autobahn- und Bahnausbau. „Es hat Freude gemacht, sich einmal wieder intensiv auszutauschen“, schrieb er am Ende. Die intensiven Gespräche wird er bald schon wiederholen müssen. Der größte Konflikt steht dem Regierungsbündnis, was wohl vor allem noch durch den gemeinsamen Willen zur Macht zusammengehalten wird, noch bevor.
Lindner wird keine Eckpunkte für den Haushalt 2024 vorlegen. „Darauf werden wir dieses Jahr verzichten“, sagte er. Vor Ostern wird ihm das kaum noch gelingen – zu tief ist die Kluft zwischen den zusätzlichen Milliardenforderungen mancher Kabinettskollegen und dem Willen Lindners, nach Jahren galoppierender Staatsverschuldung in kleinen Schritten wieder den Weg zur „schwarzen Null“ zu wagen.
Seine für Mitte März geplante Vorlage der Eckwerte für den Bundeshaushalt 2024 hat der Finanzminister bereits verschieben müssen – ein Zeichen der Schwäche. Die Verschiebung war notwendig, weil sich die Lindner mit seinen Kabinettskollegen nicht über deren Ausgabewünsche einigen konnte. Eine Deckungslücke von 14 bis 18 Milliarden Euro ergibt sich im Haushalt schon durch die großzügig verteilen Wohltaten beim sogenannten Bürgergeld beim Wohngeld, durch kleinere Steuersenkungen und durch die stark steigenden Zinsausgaben. Noch drängt die Zeit für Lindner nicht. Der bisherige Zeitplan sieht einen Beschluss des Regierungsentwurfs für den Haushalt durch das Kabinett am 21. Juni vor. Doch die Zeit für die detaillierten Ressortabstimmungen vor dem Kabinettsbeschluss wird knapp, wenn die Eckpunkte nach Ostern noch lang auf sich warten lassen. Im Juli soll der Haushaltsentwurf dem Bundestag zugeleitet werden, damit sich die Abgeordneten im Haushaltsausschuss auf ihre im September beginnenden Beratungen vorbereiten können.
Besonders drastische Worte für die festgefahrene Lage fand kürzlich FDP-Vizefraktionschef Christoph Meyer. Er kritisiert die „ungezügelte Ausgabensucht“ von SPD und Grünen. Die Nullzinspolitik der EZB hat es Regierungen in den letzten Jahren leicht gemacht, die Verschuldung drastisch zu erhöhen. Doch mit der Inflation steigen die Zinsen wieder, neue Kredite werden teuer. Für manchen Politiker müsse das wie ein „kalter Entzug“ wirken, sagte Meyer der Funke-Mediengruppe. „Manchmal muss man dem Alkoholkranken die Flasche Schnaps vom Mund schlagen. Der haushaltspolitische Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion, Otto Fricke, beschreibt es vorsichtiger. „Mich ärgert, dass alle vergessen haben, wie noch vor einem Jahr viele sogenannte Fachleute behauptet haben, dass Inflation und Zinssteigerungen nicht kämen und man sich verschulden könne“, sagte er Tichys Einblick. „Ich habe nicht vergessen, wie abfällig man damals mit Mahnern umgegangen ist.“
Während die Ampel in der Energie- oder in der Sicherheitspolitik gern von einer „Zeitenwende“ spricht, die „Zinswende“ und ihre Folgen für die Politik scheinen vor allem bei Grünen und Sozialdemokraten noch nicht angekommen zu sein. Während der Bund 2021 noch knapp vier Milliarden Zinsen für seine Schulden zahlen musste, rechnet der Finanzminister im laufenden Jahr bereits mit fast 40 Milliarden Euro – eine Verzehnfachung mit steigender Tendenz. Nach den Ausgaben für Soziales und für Verteidigung sind die Zinsausgaben in diesem Jahr bereits der drittgrößte Posten im Haushalt. Was das bedeutet, liegt auf der Hand. Jeder Euro, der für Zinskosten aufgebracht werden muss, fehlt für dringend notwendige Investitionen in Digitalisierung, in den Ausbau der jahrzehntelang vernachlässigten Infrastruktur, in Bildung und Klimaschutz.
Der Druck der Zinswende baut sich von drei Seiten für die Ampel auf, in der vor allem Grüne und Sozialdemokraten ihre „Fortschrittlichkeit“ gerne durch ein staatliches Füllhorn demonstrieren würden. Doch schon jetzt ist der Spielraum für politische Gestaltung enger geworden. Die steigende Zinslast schränkt die Handlungsfähigkeit ein. Dem Bundesrechnungshof zufolge sind 90 Prozent des Haushaltsvolumens durch gesetzliche Verpflichtungen wie Sozialleistungen, Versorgungsbezüge, Pensionsleistungen und eben auch Zinsen bereits fest gebunden. Fricke, der als enger Vertrauter des Finanzministers gilt, fordert deswegen: „Wir können nicht auf Dauer jedes Jahr einfach neue Ausgaben draufsatteln.“ Es sei wie im Privatleben. Wenn die Mittel nicht mehr reichen, müsse die erste Frage sein: auf was kann ich verzichten. Gleichzeitig ist der Investitionsstau gigantisch, die Bundeswehr ist nur ein Beispiel dafür. Die Rufe, dass der Staat die Transformation sozial absichert und Sozialausgaben und Subventionen entsprechend ausbaut, bleiben derweil laut.
Mehr noch als beim Konflikt um Straßenausbau, Wärmewende im Heizungskeller oder Atomkraft als CO2-neutrale zur Kohleverstromung geht es bei den Staatsfinanzen um die politische DNA der Liberalen. Lindner weiß das, auch deswegen mahnt er die harten Vorgaben der Schuldenbremse im Grundgesetz an. Knickt er beim Bundeshaushalt 2024 ein und die Realitätsverweigerer in der Ampel setzen sich durch, kann das die Liberalen in eine existenzbedrohende Krise stürzen und Lindners unangefochtene Führungsrolle in der FDP gefährden.