Tichys Einblick
Bundeshaushalt

Die Ampel und ihre Probleme mit der Zinswende

Das Ende des billigen Geldes bedroht die Handlungsfähigkeit der Politik. Finanzminister Lindner verspielt seine Glaubwürdigkeit, wenn er SPD und Grüne beim Bundeshaushalt 2024 nicht von neuen schuldenfinanzierten Projekten abhalten kann. Von Carsten Germis

Finanzminister Christian Lindner (FDP) im Gespraech mit Wirtschafts- und Klimaminister Robert Habeck (Grüne) im Bundestag, 30.03.2023

IMAGO / Political-Moments

Christian Lindner weiß, wie er Erwartungen auf der politischen Bühne schürt. „Ideenreichtum, Schlafmangel – Koalitionsausschuss“ twitterte der Finanzminister zur Halbzeit der sich über drei lange Tage hinziehenden Gespräche des Koalitionsausschusses über den vom grünen Wirtschaftsminister Robert Habeck geplanten Zwang zu Wärmepumpen, über schnellere Planungsverfahren und über den Autobahn- und Bahnausbau. „Es hat Freude gemacht, sich einmal wieder intensiv auszutauschen“, schrieb er am Ende. Die intensiven Gespräche wird er bald schon wiederholen müssen. Der größte Konflikt steht dem Regierungsbündnis, was wohl vor allem noch durch den gemeinsamen Willen zur Macht zusammengehalten wird, noch bevor.

Lindner wird keine Eckpunkte für den Haushalt 2024 vorlegen. „Darauf werden wir dieses Jahr verzichten“, sagte er. Vor Ostern wird ihm das kaum noch gelingen – zu tief ist die Kluft zwischen den zusätzlichen Milliardenforderungen mancher Kabinettskollegen und dem Willen Lindners, nach Jahren galoppierender Staatsverschuldung in kleinen Schritten wieder den Weg zur „schwarzen Null“ zu wagen.

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Zwar hat Lindner den Ampel-Koalitionären auch zu Beginn ihres dreitägigen Verhandlungs-Marathons eine halbe Stunde lang erläutert, warum man „im Kabinett noch einmal über finanzielle Realitäten sprechen“ müsse. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) habe das so gewünscht, heißt es im politischen Berlin. Eine Diskussion über Lindners Vortrag gab es nicht. Bei der Finanzierung ihrer jüngsten Klimabeschlüsse bleibt die Ampel entsprechend vage. Der Kanzler versprach im Bundestag vollmundig, „niemand muss sich, weil seine Heizung kaputtgeht, Sorgen machen.“ Neue Schulden aber will Lindner dafür nicht machen, der soziale Ausgleich im neuen Gebäudeenergiegesetz soll deswegen „gezielt und bürokratiearm aus dem Klima- und Transformationsfonds“ gefördert werden. Der Fonds ist mit mehr als 100 Milliarden Euro einer der als „Sondervermögen“ aus dem regulären Haushalt ausgelagerten Kreditermächtigungen – wie die 100 Milliarden „Sondervermögen“ für die Bundeswehr oder 200 Milliarden Euro Hilfen gegen die Energiekrise. Dass das möglicherweise so geräuschlos nicht geht, dass die mit neuen Subventionen gespickten Koalitionsbeschlüsse auch bei den Haushaltsberatungen eine Rolle spielen werden, schwant vielen Abgeordneten der Ampel-Fraktionen. Schließlich drohen Hauseigentümern bis zu 100000 Euro Kosten, wenn sie Habecks Vorhaben wirklich umsetzen müssen. „Niemand wird im Stich gelassen“, lautet im letzten Satz des „Modernisierungspakets für Klimaschutz und Planungsbeschleunigung“ das Versprechen der Regierung. In Lindners Ohren muss das wie eine Drohung klingen.

Seine für Mitte März geplante Vorlage der Eckwerte für den Bundeshaushalt 2024 hat der Finanzminister bereits verschieben müssen – ein Zeichen der Schwäche. Die Verschiebung war notwendig, weil sich die Lindner mit seinen Kabinettskollegen nicht über deren Ausgabewünsche einigen konnte. Eine Deckungslücke von 14 bis 18 Milliarden Euro ergibt sich im Haushalt schon durch die großzügig verteilen Wohltaten beim sogenannten Bürgergeld beim Wohngeld, durch kleinere Steuersenkungen und durch die stark steigenden Zinsausgaben. Noch drängt die Zeit für Lindner nicht. Der bisherige Zeitplan sieht einen Beschluss des Regierungsentwurfs für den Haushalt durch das Kabinett am 21. Juni vor. Doch die Zeit für die detaillierten Ressortabstimmungen vor dem Kabinettsbeschluss wird knapp, wenn die Eckpunkte nach Ostern noch lang auf sich warten lassen. Im Juli soll der Haushaltsentwurf dem Bundestag zugeleitet werden, damit sich die Abgeordneten im Haushaltsausschuss auf ihre im September beginnenden Beratungen vorbereiten können.

Sozialliberale Koalition mit grünem Anhängsel
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Lindners Problem: In Zeiten der Nullzinspolitik haben sich vor allem die Kabinettsmitglieder von SPD und Grünen daran gewöhnt, aus dem Vollen zu schöpfen. Die Zinswende und ihre Risiken für die Staatsfinanzen werden verdrängt. Im vormundschaftlichen Staat reduziert sich politische Gestaltung oft gerne aufs Geld-Verteilen. Der neue Verteidigungsminister Boris Pistorius will gut 10 Milliarden Euro mehr Geld für die Bundeswehr, Familienministerin Paus von den Grünen fordert gut 11 Milliarden Euro mehr für den üppigen Ausbau Kindergrundsicherung. 423,7 Milliarden Euro Ausgaben sieht die mittelfristige Finanzplanung bislang für den Haushalt 2024 vor; die Wünsche von Lindners Kabinettskollegen gehen nach allem, was zu hören ist, weit darüber hinaus. Von bis zu 70 Milliarden Euro Differenz zwischen Wünschen und Wirklichkeit war bisweilen die Rede.

Besonders drastische Worte für die festgefahrene Lage fand kürzlich FDP-Vizefraktionschef Christoph Meyer. Er kritisiert die „ungezügelte Ausgabensucht“ von SPD und Grünen. Die Nullzinspolitik der EZB hat es Regierungen in den letzten Jahren leicht gemacht, die Verschuldung drastisch zu erhöhen. Doch mit der Inflation steigen die Zinsen wieder, neue Kredite werden teuer. Für manchen Politiker müsse das wie ein „kalter Entzug“ wirken, sagte Meyer der Funke-Mediengruppe. „Manchmal muss man dem Alkoholkranken die Flasche Schnaps vom Mund schlagen. Der haushaltspolitische Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion, Otto Fricke, beschreibt es vorsichtiger. „Mich ärgert, dass alle vergessen haben, wie noch vor einem Jahr viele sogenannte Fachleute behauptet haben, dass Inflation und Zinssteigerungen nicht kämen und man sich verschulden könne“, sagte er Tichys Einblick. „Ich habe nicht vergessen, wie abfällig man damals mit Mahnern umgegangen ist.“

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Die aktuellen Zahlen geben den Mahnern recht. Die Rückkehr der Zinsen droht, den Gestaltungsspielraum der Politik abzuschnüren. Die Corona-Krise, der Angriff Russlands auf die Ukraine und die Energiekrise haben den Schuldenberg dramatisch wachsen lassen. Fast 850 Milliarden Euro neue Schulden machte der Bund in den letzten drei Jahren, um die Folgen der Krisen abzufedern. „Noch nie wurden in so kurzer Zeit so viele neue Kredite beschlossen“, sagt der Präsident des Bundesrechnungshofs, Kay Scheller. In den 70 Jahren zuvor hat der Bund rund 1,3 Billionen Euro Schulden aufgenommen, die letzten drei Jahre haben den Schuldenstand auf 2,1 Billionen hochgetrieben. „Permanent in neue Schulden auszuweichen, ignoriert die Realität und übergeht die Interessen vor allem der jungen Generation“, warnt Scheller.

Während die Ampel in der Energie- oder in der Sicherheitspolitik gern von einer „Zeitenwende“ spricht, die „Zinswende“ und ihre Folgen für die Politik scheinen vor allem bei Grünen und Sozialdemokraten noch nicht angekommen zu sein. Während der Bund 2021 noch knapp vier Milliarden Zinsen für seine Schulden zahlen musste, rechnet der Finanzminister im laufenden Jahr bereits mit fast 40 Milliarden Euro – eine Verzehnfachung mit steigender Tendenz. Nach den Ausgaben für Soziales und für Verteidigung sind die Zinsausgaben in diesem Jahr bereits der drittgrößte Posten im Haushalt. Was das bedeutet, liegt auf der Hand. Jeder Euro, der für Zinskosten aufgebracht werden muss, fehlt für dringend notwendige Investitionen in Digitalisierung, in den Ausbau der jahrzehntelang vernachlässigten Infrastruktur, in Bildung und Klimaschutz.

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Erschwert wird die Lage für Lindner und seine Nachfolger, weil die euphemistisch als „Sondervermögen“ in Schattenhaushalten versteckten „Notlagenkredite“ wegen Corona und Klimaschutz in wenigen Jahren schon langsam wieder getilgt werden müssen. „Das lastet schwer auf den zukünftigen Haushalten“, warnt Fricke. Der Bundesrechnungshof stützt Lindners Position im Konflikt um die weitere Aufblähung der Konsumausgaben des vormundschaftlichen Staates. Damit im Parlament jeder versteht, wie dramatisch die Lage der Staatsfinanzen nach der Zinswende ist, empfiehlt er dem Minister, dem Haushaltsentwurf 2024 eine Projektion der Zinsausgaben unter der Annahme von Zinssteigerungen beizufügen. Aus den Reihen von SPD und Grünen ist bislang wiederholt in Zweifel gezogen worden, ob die Schuldenbremse wieder eingehalten werden sollte. Auf Anfragen von Tichys Einblick dazu gab es keine Antwort.

Der Druck der Zinswende baut sich von drei Seiten für die Ampel auf, in der vor allem Grüne und Sozialdemokraten ihre „Fortschrittlichkeit“ gerne durch ein staatliches Füllhorn demonstrieren würden. Doch schon jetzt ist der Spielraum für politische Gestaltung enger geworden. Die steigende Zinslast schränkt die Handlungsfähigkeit ein. Dem Bundesrechnungshof zufolge sind 90 Prozent des Haushaltsvolumens durch gesetzliche Verpflichtungen wie Sozialleistungen, Versorgungsbezüge, Pensionsleistungen und eben auch Zinsen bereits fest gebunden. Fricke, der als enger Vertrauter des Finanzministers gilt, fordert deswegen: „Wir können nicht auf Dauer jedes Jahr einfach neue Ausgaben draufsatteln.“ Es sei wie im Privatleben. Wenn die Mittel nicht mehr reichen, müsse die erste Frage sein: auf was kann ich verzichten. Gleichzeitig ist der Investitionsstau gigantisch, die Bundeswehr ist nur ein Beispiel dafür. Die Rufe, dass der Staat die Transformation sozial absichert und Sozialausgaben und Subventionen entsprechend ausbaut, bleiben derweil laut.

Mehr noch als beim Konflikt um Straßenausbau, Wärmewende im Heizungskeller oder Atomkraft als CO2-neutrale zur Kohleverstromung geht es bei den Staatsfinanzen um die politische DNA der Liberalen. Lindner weiß das, auch deswegen mahnt er die harten Vorgaben der Schuldenbremse im Grundgesetz an. Knickt er beim Bundeshaushalt 2024 ein und die Realitätsverweigerer in der Ampel setzen sich durch, kann das die Liberalen in eine existenzbedrohende Krise stürzen und Lindners unangefochtene Führungsrolle in der FDP gefährden.

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