Tichys Einblick
Nach dem Protest der Landräte

Migration: Viele Bürgermeister machen nicht mehr mit

Deutsche Landräte haben zuletzt die Saumseligkeit der Bundesregierung in Sachen Migrationspolitik kritisiert. Am Ende müssen es die Kommunen ausbaden. Doch viele Bürgermeister wollen das nicht mehr. Nicht nur in Sachsen und Mecklenburg, sondern nun auch in Baden-Württemberg.

Erstaufnahmeeinrichtung für Flüchtlinge in Ellwangen, Baden-Württemberg

IMAGO / onw-images

Es war im Januar: In Laußig bei Leipzig kam es zu einem nicht angemeldeten Protest. 280 Bürger protestierten gegen die Einrichtung einer Unterkunft für Migranten, eines „Asylantenheims“, wie sie es nannten. Sie zogen zum Gemeindehaus, wollten den Bürgermeister zur Rede stellen. Doch der stimmte ihnen zu, freute sich angeblich sogar über die große Menschenmenge, die da versammelt war.

Lothar Schneider (parteilos) sprach per Megaphon aus einem Fenster zu der Menge, fast schon wie ein Papst beim Ostersegen: „Wir wollen das alle nicht. Da sind wir uns doch einig.“ Man habe es ja auch nur in der Zeitung gelesen, dass „immer mehr Asyler nach Deutschland kommen“. Am Ende knickte der Bürgermeister ein, Stadt und Gemeinde beschlossen den Bau aus „ganz pragmatischen Gründen“, wie der MDR lobend hervorhob. Sonst wäre eben kein Platz gewesen. Dem politischen Streit enthoben ist die neue Unterkunft in der 3.500-Seelen-Gemeinde damit nicht. Die Leipziger Volkszeitung berichtet von wiederholten Sachbeschädigungen seit dem Januar.

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Ähnliche Proteste häufen sich in letzter Zeit. Das Problem wurde so lange weitergereicht, bis es nun auf den harten Boden der Realitäten aufstößt. In Upahl im Kreis Nordwestmecklenburg ging der Kreistag auf die Bürger zu: Statt 400 sollen „nur“ noch 200 Migranten dort untergebracht werden. Doch dem Dorf geht das nicht weit genug: „Upahl sagt weiterhin NEIN!“ war das Motto der jüngsten Demonstration, an der wiederum fast das ganze Dorf teilnahm. Parallel sucht der Kreis nach neuen Standorten. Doch auch anderswo in Nordwestmecklenburg gehen die Bürger im Protest auf die Straße, etwa unlängst 950 Menschen in Neukloster, wo ebenfalls ein Containerdorf geplant ist. Auch der Verfassungsschutz bemerkte zur Jahreswende, dass Migration wieder zum Protestthema werde – dass es Amtsträger wären, die zum Protestgeschehen gehören würden, das sah man allerdings nicht voraus.
Rücktritt eines Bürgermeisters: „Das trage ich nicht länger mit“

In Brandenburg, wo Innenminister Stübgen (CDU) eine zentrale Unterbringung für Migranten ohne Bleibeperspektive aufbauen will, sind Standorte und Unterkünfte keineswegs reichlich vorhanden. Derzeit musste die Zentrale Ausländerbehörde auf die Anmietung eines Wohnheims in Eisenhüttenstadt verzichten. Auch in diesem Fall protestierte der Bürgermeister höchstpersönlich.

Im Dorf Mecklenburg (rund 3.300 Einwohner), das der Landschaft den Namen gab, trat am 2. März sogar der Bürgermeister Burkhard Diemel zurück. Diemel gab zwar auch gesundheitliche Gründe an, aber die verschärften sich eben vor allem, seit „das Amt zur persönlichen Last“ wurde. Die Kommunen würden bei „Krisenbewältigung komplett alleingelassen“. Bund und Land bürden den Kommunen „per Anordnung und Weisung unerfüllbare Aufgaben auf“. Die Umsetzung liege ganz bei den Gemeinden. „Das trage ich nicht länger mit“, sagte Biemel dazu der Welt. Überhaupt, halte sein Ehrenamt an sich genügend Herausforderungen bereit, die für einen vollen Arbeitstag sorgen. Das zusätzliche Problem braucht an der Stelle sicher keiner.

„Es führt kein Weg daran vorbei, dass die Zuzugszahlen runtermüssen“, so spricht Biemel Klartext (ähnlich hier im Video bei AUF1) und fordert stattdessen „Hilfe zur Selbsthilfe“, wo es gegen die Ursachen der illegalen Migration wirkt. Auch die Rückführungen, etwa in den Kosovo in den Neunzigerjahren, die er selbst als Bundeswehrsoldat mit organisierte, führt er als positives Beispiel an, das man „vernünftig hinbekommen habe“. Schließlich kann er sich aufregen, dass er noch vor kurzem keinen Wohnraum für Betreutes Wohnen bewilligt bekam und nun Neuankömmlinge in seinem Dorf unterbringen musste.

Baden-Württemberg will neue LEA für hunderte Millionen bauen

Doch der Protest gegen die Ausweitung von Migrantenheimen muss nicht auf den Osten beschränkt bleiben, wie viele es gerne vermuten und vielleicht sehen wollen. Auch in Illerkirchberg hatte es Proteste gegen ein Migrantenheim gegeben – allerdings erst, als Vergewaltigung und Mord dort Einzug hielten und eine Tochter der Gemeinde das Leben kosteten. Im baden-württembergischen Tamm (12.600 Einwohner) im Landkreis Ludwigsburg, gingen die Menschen nun schon zum zweiten Mal auf den Rathausplatz.

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Mehr als 1.000 Menschen kamen dort am Mittwochabend zusammen, um gegen die neue Landeserstaufnahmeeinrichtung (LEA) für Baden-Württemberg zu protestieren, die auf der Grünfläche Schanzacker errichtet werden soll. Es geht um insgesamt 15 bis 22 Hektar, die vielleicht sämtlich bebaut werden sollen. Die Kosten der Anlage sollen im dreistelligen Millionenbereich liegen – also konkret bei 100, 300 oder 500 Millionen Euro? Offenbar geht es um einen Hochsicherheitstrakt, was auch nach Erfahrungen von anderswo plausibel scheint.

Gekommen waren auch viele Bürger aus der etwa gleichgroßen Nachbarstadt Asperg, die ebenfalls direkt von der neuen Einrichtung betroffen wären. Die beiden Städte liegen jenseits einer Bahnstrecke in unmittelbarer Nachbarschaft der Kreisstadt Ludwigsburg. Die Kreisstadt, so heißt es, verlagert Belastungen gern auf die Nachbargemeinden. Und Konflikte dieser Art gibt es in allen Ecken Deutschlands. Nun drohen sie auf breiter Fläche politisch zu werden.

Hinter diesem Protest stehen auch die Bürgermeister der beiden Orte, die ebenfalls auf den Rathausplatz gekommen waren, um zu demonstrieren. Dabei wahrt man zwar die Etikette des Protestes, wie man sie in siebzig Jahren Bundesrepublik gelernt hat. Aber die Konfliktlinien sind dennoch klar und sehen so aus wie anderswo auch.

„Grundsorgen“ – „unabhängig von der Nationalität“

Christian Eiberger, der Asperger Bürgermeister, spricht von „Grundsorgen“, wenn viele neue Menschen in die Gegend kämen, die dann auf engem Raum zusammenleben müssten – und das „unabhängig von der Nationalität“. So etwas wirke sich „natürlich immer auf das Umfeld aus“. Es geht also um die zu erwartende soziale Belastung durch die unsicheren Zustände, die praktisch immer mit solchen Einrichtungen einhergehen. Die derzeitige baden-württembergische LEA Ellwangen ist ein Beispiel dafür, dass es in Erstaufnahmen leicht zu Streit und Auseinandersetzungen kommt, bei denen oft Polizei, Feuerwehr und schließlich sogar die Bundeswehr zum Einsatz kommen müssen, um wieder für Ruhe und Ordnung zu sorgen. Daneben wird das Umfeld der Anlagen auch direkt durch unangepasstes Sozialverhalten und richtiggehende Kriminalität beeinträchtigt.

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2025 könnte die LEA Ellwangen schließen. Eigentlich hätte der Betrieb dort schon mit dem letzten Jahr beendet sein sollen. Doch das Stuttgarter Justizministerium bat „wegen der angespannten Flüchtlingslage“ dringend um Verlängerung. Offenbar stand ein alternatives Wohnheim nicht zur Verfügung. Bis zu 1.300 Migranten können in Ellwangen untergebracht werden. Diese Grenze müsste aktuell schon klar touchiert werden, im November waren bereits 1.100 Menschen in der LEA untergebracht. Natürlich will auch rund um Ellwangen keiner die Einrichtung behalten. Gremiensitzungen verlaufen da schon einmal „sehr emotional“.

Zwischen Tamm und Asperg soll nun also die Ersatz-Einrichtung hingestellt werden. Der öffentliche Raum dort würde sich nachhaltig verändern, glauben auch die politischen Gremien der Nachbarstädte. Am 11. März hatten sich die beiden Bürgermeister und die Stadträte von Tamm und Asperg zu einer gemeinsamen Sitzung getroffen. Gemeinsam besichtigte man auch die LEA Ellwangen. Heraus kam ein Papier, das alle Gründe gegen die neue LEA vereint.

Landschaftsschutz scheint nicht mehr en vogue zu sein

Neben den sozialen Folgen richtet sich der Protest der Bürger auch gegen die Bebauung und Flächenversiegelung des grünen Naherholungsgebiets Schanzacker. Ein Landschaftsschutzgebiet schließt direkt daran an. Die LEA würde wohl auch zur weiteren Verkehrsbelastung in Tamm und Asperg führen. In der Nachbarschaft der neuen Landeserstaufnahme (auf einer Teilfläche des Schanzackers) könnte zudem ein Gewerbegebiet entstehen. Aber auch das will man in Tamm und Asperg nicht haben. Man möchte seinen Grünzug erhalten.

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In den Siebzigerjahren wollte Ludwigsburg auf dem Schanzacker ein Gefängnis bauen. Das Projekt wurde aufgegeben, weil die Bewohner so die Sichtachse auf den Hohenasperg verloren hätten. Solcher Landschaftsschutz ist heute nicht mehr en vogue, nicht mal bei dem großen Grünen in der Stuttgarter Staatskanzlei. Das Land soll verbaut werden, wenn nicht mit Windrädern und LNG-Terminals, dann eben mit „Flüchtlingsunterkünften“.

Nun werden sie bald sagen, dass man sich den Landschaftsschutz nicht mehr leisten kann, weil die Belastungen zu groß sind, die im Übrigen von allen gemeinsam zu schultern seien. Ein Demonstrant in Tamm zeigte den Kameras ein Transparent mit der Aufschrift: „Wir wollen nicht Opfer von Fehlentscheidungen werden.“ So wird das Jammern und Klagen – und sicher zu Recht – immer dann sehr groß, wenn am Ende die harten, vom Mangel geprägten, „alternativlosen“ Entscheidungen getroffen werden. Am Anfang waren viele noch optimistisch, dass sich gemeinsam alles schaffen lasse. Nun sieht man immer öfter, dass gar nicht alle dasselbe schaffen müssen.

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