Staaten sollten nie mehr marode Banken retten müssen, schworen sich die Regierungen nach der Finanzkrise, die das Weltfinanzsystem im September 2008 im Zuge der Insolvenz der 1850 gegründeten New Yorker Investmentbank Lehman Brothers an den Rand des Zusammenbruchs gebracht hatte. Das Argument „too big to fail“ – „zu groß, um zusammenzubrechen“ – solle niemals mehr herangezogen werden dürfen.
Nachdem sie mit hunderten von Milliarden Euro Eigenkapitalhilfen und Staatsgarantien am Leben erhalten worden waren, wurden die überlebenden großen, sogenannten „systemrelevanten“ Banken von den Aufsichtsbehörden gezwungen, ihr Geschäft mit deutlich mehr Eigenkapital zu unterlegen. Sie mussten zudem Notfallpläne erstellen, wie kriselndes von gesundem Geschäft im Fall der Fälle abgetrennt und der Zahlungsverkehr aufrechterhalten werden könnte, und sie mussten sich jährlich einem sogenannten Stresstest unterziehen, in dem die Bankenaufsicht bestimmte Zinserhöhungs- und Kreditausfallszenarios in ihren Auswirkungen auf Bilanzqualität und Liquidität simulierte.
Am vergangenen Wochenende war der Ernstfall da – und alle Maßnahmen waren offensichtlich das Papier nicht wert, auf dem sie niedergeschrieben waren. Denn die Credit Suisse (CS), das zweitgrößte Bankhaus der Schweiz und zu den 30 weltweit systemrelevanten Finanzinstituten gehörend, konnte nicht geordnet abgewickelt werden. Nachdem es trotz einer Liquiditätshilfe in Höhe von 50 Milliarden Franken durch die Schweizer Notenbank zu weiteren Mittelabflüssen kam, hätte man – wenn die neuen Regularien wirksam wären – eigentlich zuschauen müssen, was passiert. Im schlimmsten Fall wäre die CS in die Insolvenz gegangen.
Doch so viel Stress wollten Regierungen, Notenbanken und Aufsichtsbehörden dem System nicht zumuten. Als ob es nie einen solchen Stresstest gegeben hätte, fürchtete man einen Flächenbrand wie nach der Lehman-Insolvenz. Unter Anwendung von „Notrecht“ wurde am Wochenende durch die Behörden die Übernahme der CS durch die Nummer 1 in der Schweiz, die UBS, verfügt. Damit schluckt die UBS ihren Konkurrenten, ohne dass die Eigentümer der beteiligten Institute gefragt worden wären. Der Preis soll drei Milliarden Franken betragen; am Freitag war die CS an der Börse noch mit sieben Milliarden bewertet, was schon nur noch ein Bruchteil der vor der Lehman-Krise stolzen 100 Milliarden war.
Die Schweizer Regierung hilft mit umfangreichen Garantien, und die Schweizer Nationalbank stellt Liquidität von über 100 Milliarden Franken zur Verfügung. Dass die UBS damit erst recht zu einem Institut „too big to fail“ geworden ist, scheint niemand aufzufallen. Ihre neue Bilanzsumme wird fast doppelt so groß sein wie die Schweizer Wirtschaftsleistung eines Jahres. Die Ironie der Geschichte: Die UBS selbst musste vor 15 Jahren – im Gegensatz zur CS – vom Schweizer Staat gerettet werden. Das stellte sich für den Schweizer Steuerzahler im Nachhinein als sehr gutes Geschäft heraus.
Das Scheitern der CS hatte noch vor Monaten niemand für möglich gehalten. Wenn man Anfang der Woche gefragt hätte, „wird es die Credit Suisse in fünf Tagen noch geben?“, wäre man ausgelacht worden. Die Kennzahlen zu Eigenmitteln und Liquidität waren ordentlich, die Aktie schien bei einem Kurs/Buchwert-Verhältnis von 0,2 ein Schnäppchen zu sein. Dass die Saudi National Bank erst im Herbst mit knapp zehn Prozent als größter Aktionär eingestiegen war, schien zusätzliche Sicherheit zu geben. „Ein Unfall allerdings ist es nicht“, kommentierte die Neue Zürcher Zeitung – und spielte damit auf zahlreiche Skandale und Schieflagen der letzten Jahre an. Die Selbstüberschätzung der CS bestand wohl darin, dass man glaubte, gerade auch im Investment Banking eine lukrative Nische gefunden zu haben. Das Risikomanagement versagte jedoch mehrfach, wie die Anhäufung von Milliardenverlusten zeigt.
Dass die Finma (die der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht vergleichbare Aufsichtsbehörde in der Schweiz) nicht einschritt, wurde von Marktteilnehmern als Qualitätsausweis gewertet. Sollte es dort allerdings zu Fehlern gekommen sein, könnten Sammelklagen gerade aus den USA noch eine teure Angelegenheit für die Eidgenossenschaft werden. Erste Großinvestoren haben bereits einschlägige Andeutungen zu Schadenersatzklagen gemacht. Sie wollen auch nicht akzeptieren, dass über Nacht ihre Eigentumsrechte einfach ausgehebelt wurden. Sie haben das Gefühl, dass der UBS ein riesiges Schnäppchen zugeschanzt wurde. Ob die Politik aus Überforderung oder mit Vorsatz so handelte, wollen sie am liebsten Gerichte klären lassen.
Deshalb ist der Vorwurf wohl gerechtfertigt, dass man jahrelang falsch reguliert hat. Der Regulator konzentriert sich heute auf die Aktivseite der Bilanz und prüft, ob eine Bank die „richtigen Assets“ hat. Früher kontrollierte die Bundesbank die Passivseite. Wollte man das Geschäft ausweiten, musste man eine Kapitalerhöhung durchführen.
Und last but not least: Im guten alten Trennbankensystem der USA durften Geschäftsbanken Kapitalgesellschaften sein, hochrisikoreiche Investmentbanken mussten dagegen in der Form einer Personengesellschaft geführt werden, bei denen die geschäftsführenden Gesellschafter mit ihrem gesamten Privatvermögen für Fehlentscheide hafteten. Das wäre ein guter Anknüpfungspunkt.
Es gibt viel zu tun. So weitergehen kann es jedenfalls nicht.