Tichys Einblick
Die Anti-Grünen

Niederlande: Bauernbewegung macht Koalition im ersten Anlauf platt

Nach den Regionalwahlen in den Niederlanden scheint eines klar: Ein Weiter-so kann es nicht geben. Premier Mark Rutte gibt sich gesprächsbereit, der CDA-Chef Hoekstra wankt. Sollte es so einfach sein, den ideologischen „New Green Deal“ und eine lebensfeindliche Anti-Stickstoff-Politik aus den Angeln zu heben?

IMAGO / ANP

Damit hatte sicher kaum jemand gerechnet: Die junge Bewegung der Bauern und Bürger (BBB) hat sich bei den Provinzwahlen vom Mittwoch aus dem Stand als stärkste Kraft etabliert. Die Niederlande sind nach diesen Wahlen in ihren zwölf Provinzen auf einmal weitgehend „grün, grün, grün“ geworden. Grün aber nicht als Ausdruck einer praktisch vollkommen entkernten Öko-Ideologie wie bei Deutschlands Regierungspartei, vielmehr dient Grün hier als die Kennfarbe der neuen Bauern- und Bürger-Bewegung (BoerBurgerBeweging, BBB), die landesweit fast 20 Prozent der Stimmen gewann und damit zur führenden Kraft im niederländischen Viel-Parteien-Staat wurde. Übrigens sind die Niederlande heute auch deshalb ein so fruchtbares und grünes Land, weil die Bauern es in der Vergangenheit gut düngten.

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Dabei verdankt sich der Erfolg der Bauern-und-Bürger-Bewegung paradoxerweise vor allem der Politik von Mark Rutte, dessen eigene Partei und Koalition zugleich abgestraft wurden. Daneben haben alle Parteien, die schon einmal bei Provinzwahlen angetreten waren, verloren. Nur die neugegründete konservativ-liberale JA21 konnte ebenfalls aus dem Stand 4,4 Prozent holen. Das ist vielleicht das zweite Signal, dass es in der niederländischen Politik eine Veränderung braucht. Alle anderen Parteien sackten in der Wählergunst ab, vor allem Ruttes VVD, die fast drei Prozentpunkte verlor und auf 11,1 Prozent kam, mehr noch die mit Rutte koalierende christdemokratische CDA (minus 4,6 Prozentpunkte, nun bei 6,5 Prozent).

Immerhin gestanden die Koalitionäre ihre Niederlage ein. Das Wahlergebnis solle „eine bedeutende Rolle“ bei künftigen Kabinettsentscheidungen spielen, verkündete Rutte in seiner wöchentlichen Pressekonferenz am Freitag. Es handele sich um „einen Zuruf an Den Haag, den wir verstehen müssen“. Ja, sogar seine künftigen Entscheidungen zum Thema Stickstoff würden davon beeinflusst, behauptete der Ministerpräsident. Direkt nach der Wahl wollte Rutte mit der BBB-Chefin Caroline van der Plas sprechen – doch die feierte da noch den Sieg. Auch der CDA-Vorsitzende Wopke Hoekstra stellte fest, dass man nicht einfach so tun könne, als wäre nichts passiert. Vielleicht muss Hoekstra seinen Stuhl räumen. Rutte kündigte wichtige Entscheidungen zu Stickstoff, Klima und Migration an, auf die man gespannt sein darf.

Stickstoff ist Dünger und folglich Leben

Nach Belgien wieder Niederlande
Massive Bauernproteste in Den Haag gegen Enteignung durch Green Deal
Stickstoff und Klima – das waren in der Tat die Themen, die die BBB groß gemacht haben. Denn die Bewegung der Bauern und Bürger ging aus den schon 2019 begonnenen Protesten gegen die Stickstoffpolitik der Regierung hervor, die sich ihrerseits eng mit dem New Green Deal und der sogenannten „Klimapolitik“ verbindet. Zur Zeit der Pandemie ergriffen die Proteste breite Massen über die Bauern hinaus. Bei zahlreichen Versammlungen – politisch oder auch nicht – solidarisierten sich die Niederländer mit dem Kampf der Bauern um das pure Überleben ihrer Höfe. Denn Stickstoff ist wesentlicher Bestandteil von Dünger und folglich Leben.

Denn darum ging es: Der niederländische EU-Kommissar Frans Timmermans (Arbeitspartei) hatte angekündigt, dass in der gesamten EU zehn Prozent der landwirtschaftlich genutzten Flächen stillgelegt werden sollen. Das, obwohl sich auch in den Supermärkten immer von neuem eine Nahrungsmittel- und Versorgungskrise zeigt, die Preise hervorbringt, die man vor kurzem noch als wahnwitzig betrachtet hätte.

Daneben hat die niederländische Regierung, auch hierin von EU-Richtwerten angespornt, dem Stickstoff den Kampf erklärt, als wäre es ein zweites Virus. Für dieses Vorhaben gründete Rutte sogar ein Ministerium für Natur und Stickstoff, das den monomanen Vernichtungscharakter dieses Teils von Ruttes Politik gut abbildet. Von „Abbruchpolitik“ war in den Protesten der Bauern die Rede gewesen, und das wohl zu Recht. Dabei ist die Regierung noch nicht einmal in der Lage, den realen Stickstoffgehalt von Gewässern und Naturschutzgebieten zu messen. Die Amsterdamer Verbotsphantasien, die leicht – und aus reinen Kostengründen – einen Bauern seinen Hof kosten können, sind an reine Modellrechnungen geknüpft, wie TE seit langem nicht müde wird, zu erklären.

Über die Erste Kammer ist nun auch Ruttes Politik in Reichweite

Bauernsterben
Tausende Landwirte auf ihren Traktoren protestieren in Brüssel gegen geplantes Bauernsterben
In der Tat scheint es um mehr zu gehen als um die Einhaltung von Richtwerten, mit denen sich Landwirte in ganz Europa herumplagen oder mit denen sie gequält werden. Die Regierung war mit dem realen Versprechen angetreten, niederländische Höfe plattzumachen – gegen staatliche Subvention, um die Deagrarisierung des Landes voranzutreiben. Man kann dahinter nur einen sinistren Plan zur Vernichtung von Betrieben sehen, zumal in einem Land, das bisher neben vielem anderen speziell für seine Landwirtschaft bekannt war. Die Landwirte glauben teilweise, dass man Bauland für neue Häuser freimachen will.

Auch ein Tempolimit von 100 km/h wurde übrigens mit der Stickstoffverminderung begründet, obwohl Katalysatoren heute Stickstoffoxide zuverlässig herausfiltern können. Maßnahmen wie diese dürften – neben der Angst um einen wichtigen Wirtschaftszweig – viele Niederländer zu einem Kreuz bei der Bauernbewegung animiert haben.

Doch der Wahltag hatte nicht nur regionale Auswirkungen. In den Provinzwahlen wird zwar grundsätzlich die Zusammensetzung der zwölf Provinzparlamente bestimmt. Die bestimmen aber wiederum die Erste Kammer der Legislative in Den Haag, die am 30. Mai von den Mitgliedern der Provinzparlamente und einigen Extra-Wahlmännerkollegien (für Gemeinden in der Karibik und Auslandsniederländer) gewählt wird. Die Erste Kammer muss Gesetze, die die Zweite Kammer formuliert und beschlossen hat, absegnen. Es ist daher durchaus zu erwarten, dass die mächtige BBB-Fraktion künftig die Beschlüsse der Regierung Rutte beeinflusst.

Mindestens 16 von insgesamt 75 Sitzen werden der Bauernbewegung in der Ersten Kammer zugetraut. Knapp gleichauf mit den „Bauern und Bürgern“ könnte dort die Kooperation aus Arbeitspartei und GroenLinks liegen. Die VVD von Premier Rutte dürfte demgegenüber von zwölf auf zehn Sitze zurückfallen, seine Koalition wird insgesamt verlieren. Das Durchregieren wird also schwerer für Rutte werden, und dem Ministerpräsidenten scheint das klar zu sein. Derweil verhandelt die Bauernbewegung angeblich schon über Koalitionen in den Provinzen. Mit Rutte will sich die Parteivorsitzende van der Plas auch treffen – obwohl ihr sicher nicht alles gefallen wird, was er sagt.

Bewegung gegen Hofsterben und Impfzwang

Proteste angekündigt
Bauern laufen Sturm gegen die geplante Düngeverordnung
Zuletzt muss wohl ein Wort dazu verloren werden, dass diese Bauern- und Bürgerbewegung BBB angeblich ein „rechtspopulistisches“ Gebilde sein soll. Manchmal wird auch nur gesagt, dass der niederländischen Politik nun ein „Rechtsruck“ drohe. Auf solche Stilblüten geht etwa auch die deutsche Website agrarheute ein. Dazu ist zu sagen: Die Partei wurde im Herbst 2019 gegründet und ist dreieinhalb Jahre später zur stärksten Kraft aufgestiegen. Das flößt Respekt ein – und mag zu Dämonisierungen verleiten, die dennoch unentschuldbar sind.

Angeführt wird die Partei von der ehemaligen Agrarjournalistin und Sprecherin der Landesbauernverbands LTO Noord, Caroline van der Plas, die früher der christdemokratischen CDA angehörte und schon unter den Gründern von BBB war. Die Positionen der Partei betreffen vor allem, aber nicht nur landwirtschaftliche Themen. So sind die „Bauern und Bürger“ laut agrarheute gegen eine Halbierung des Nutztierbestandes und gegen eine permanente Kameraüberwachung in allen Ställen, aber auch gegen einen Corona-Impfzwang und dafür, das internationale Klimaabkommen aufzukündigen und es mit realistischeren Zielen neu zu verhandeln. Zum Teil vertreten die „Bauern“ aber, wie in den Niederlanden üblich, auch liberale und sogar sozialdemokratische Politikansätze (etwa in der Drogenpolitik und bei der Besteuerung großer Unternehmen). Die Partei wird insgesamt als Mitte-rechts eingeordnet, so etwa vom „NiederlandeNet“ an der Universität Münster.

Der Vorsitzende des niederländischen Bauernverbandes LTO, Sjaak van der Tak, erwartet einen deutlichen Richtungswechsel durch den Erfolg der Bauern an der Urne: „Die Regierung und die Provinzen müssen jetzt die großen Pläne, insbesondere den Umgang mit Stickstoff, anpassen, damit es mehr Unterstützung für diese Politik gibt.“ Also für eine andere Politik. Auch Rutte scheint durchaus gesprächsbereit über „Stickstoff“ zu sein. So könnte sich zeigen, dass eine unideologische Wahl noch dazu verhelfen kann, dass Politiker die Paris-Brüsseler Seifenblasen eines New Green Deals aufgeben. Hat sich die Wahrheit einmal gezeigt, kann man sie nicht so leicht wieder vergessen.

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