Was Bismarck begann, vollendet nun Scholz: die Entmündigung Bayerns. Nach derzeitigem Stand würde die Wahlrechtsreform bedeuten, dass eine Erststimmensiegerin CSU nicht damit rechnen könnte, in den Bundestag zu ziehen, sollte sie bei den Zweitstimmen nicht 5 Prozent der bundesdeutschen Gesamtstimmen erreichen. Man muss kein Freund der Christsozialen sein, um zu verstehen, dass das demokratietheoretisch eine Benachteiligung von Millionen Wählern bedeutet. Die Liste siegt endgültig über die Direktkandidaten.
In einem solchen Szenario sind dann rechnerisch nur noch Koalitionen links der Mitte möglich, mit einer endgültig sozialdemokratisierten CDU. Rot-Grün wäre wieder realistisch – oder doch eher Grün-Rot? Selbst die bisher theoretisch bestehende Möglichkeit der Bahamas-Koalition aus allen Parteien jenseits von Rot-Rot-Grün wäre in der Summe nicht mehr durchführbar; sowohl 2017 wie 2021 wäre ein Zusammengehen von CDU/CSU, FDP und AfD möglich gewesen. Das Angstgebilde auf grün-roter Seite wäre mit der Wahlrechtsreform gebannt – und damit prinzipiell Mehrheiten rechts der Mitte.
Freilich könnte es in der CDU Kräfte geben, die diese Situation als willkommenen Anlass sehen, um die „Schwesterpartei“ in Bayern endgültig zum 16. Landesverband zu degradieren. Politische Kurzsichtigkeit ist kein Novum.
Dass allerdings einige politische Verantwortungsträger sehr genau wissen, was sie tun, zeigt sich am kurzfristigen Termin. Denn nur wenige Tage, nachdem die neueste Fassung steht, soll dieses Gesetz schon verabschiedet werden. Die Bundestagsverwaltung hat am Dienstag um 18:15 Uhr die Tagesordnung geändert. Die Reform soll bereits morgen früh um 9 Uhr verabschiedet werden. Diese Gesetzesreform im Rekordtempo weckt Erinnerungen an den letzten Sprint im Parlament: nämlich, als sich die Parteien – verfassungswidrig, wie das Bundesverfassungsgericht Jahre später feststellte – die Gelder erhöhten.
Doch nicht nur diese Umstände wecken Skepsis. Deutschland und seine Presse sind schnell dabei, den Zeigefinger zu strecken: auf Ungarn, auf Polen, neuerdings auch Italien. Was gäbe es für einen Aufschrei, wenn eine Regierungskoalition ganz offensichtlich eine Oppositionspartei bei der nächsten Parlamentswahl benachteiligen wollte? Wie schnell würde Brüssel alarmiert, wie zügig Sanktionen besprochen?
In Deutschland soll es gleich zwei Oppositionsparteien betreffen. Von einem Aufschrei dagegen ist wenig zu vernehmen. Was dem besten Deutschland aller Zeiten erlaubt ist, ist den Rindern unter den EU-Mitgliedsländern noch lange nicht erlaubt. Nach dem Wahlskandal in Berlin zeigt sich die Bundesrepublik neuerlich als Bananenrepublik ohne Sonnenschein und Südfrüchte.