Ulmer Lehrerin verweigert „aus Rassismusgründen“ eine Abitur-Pflichtlektüre
Josef Kraus
Eine Lehrerin am Berufsgymnasium in Ulm weigert sich, eine für das Abitur 2024 vorgesehene Pflichtlektüre aus "Rassismusgründen" im Unterricht zu behandeln. Aus dem Ministerium ist zu vernehmen, der kritisierte Roman "Tauben im Gras" sei für den Unterricht geeignet und zähle zur bedeutenden, deutschen Nachkriegsliteratur, anhand derer man jungen Menschen ganz klar vermitteln könne, was Rassismus sei.
Der Südwestrundfunk SWR wittert einen Skandal. Am 11. März berichtet er von einer Lehrerin an einem Berufsgymnasium in Ulm, die sich aus „Rassismusgründen“ weigert, die für das Abitur 2024 vorgesehene Pflichtlektüre im Unterricht zu behandeln. Es handelt sich um den rund 200 Seiten starken Nachkriegs-Collageroman von Wolfgang Koeppen (1906 bis 1996) aus dem Jahr 1951 mit dem Titel „Tauben im Gras“.
Der SWR berichtet: Bereits als Deutschlehrerin Jasmin Blunt das Buch ein erstes Mal durchgeblättert habe, sei sie entsetzt gewesen. An die hundert Mal habe sie im Roman das N-Wort vorgefunden – noch dazu ohne Fußnoten oder Erklärungen. Das sei für sie, die seit 12 Jahren tätige Lehrerin, „einer der schlimmsten Tage“ ihres Lebens gewesen, sagt sie, die selbst Rassismus erlebt habe. Und weiter meint die Lehrerin, dieser Roman transportiere Rassismus in ihre eigene Lebenswelt hinein. Wörtlich: „Das ist ein brutaler Angriff auf meine Menschenwürde.“
Der 1951 erschienene und mehr als 40mal aufgelegte Roman „Tauben im Gras“ ist ein herausragendes Beispiel deutscher Nachkriegsliteratur. Er zeichnet im Collagestil einen einzelnen Tag, exakt 18 Stunden, im Nachkriegsdeutschland nach. Vermutlich geht es um den 20. Februar 1951 in München, also in der US-amerikanischen Besatzungszone. Koeppen reiht hier in 105 Abschnitten zufällige Begegnungen (symbolisiert in den Tauben), Dialoge und Monologe gezielt zersplittert aneinander. Diese Collage ohne roten Faden steht damit symptomatisch für die Zeit der Desorientierung und Entwurzelung im Nachkriegsdeutschland. Koeppen, der in München lebte, tut dies offenbar bewusst mit Blick auf München, die „Hauptstadt der Bewegung.“. Wenige Jahre später sagt er über München: Hier würden die „Gespenster paradieren“ – und wörtlich: „Ich brauchte den Totenkopf nicht mitzubringen; die Totenköpfe gingen um.“ (Die Totenköpfe sind eine Anspielung auf die SS-Division „Totenkopf“.)
Und was ist mit Rassismus? Nun, in dem Roman kommen rund zwanzig Figuren vor. Zum Beispiel der Schriftsteller Philipp mit seiner Frau Emilia, der Dichter Mr. Edwin, der Schauspieler Alexander, der später getötete Gepäckträger Josef – und dann eben der (schwarze) ehemalige US-Soldat Odysseus Cotton und der (ebenfalls schwarze) US-Soldat Washington sowie die von ihm schwangere Freundin Carla und deren Mutter Behrend. Schwarze US-Soldaten gehörten damals für die meisten Deutschen zum ungewohnten Straßenbild. Das N-Wort war zunächst eine gedankenlose Beschreibung von Äußerlichkeiten, wenngleich auch rassistische Beleidigungen an der Tagesordnung waren. So war der Alltag DAMALS, über den man heute nicht durch Ausblenden exorzistisch richten kann.
Aber anstatt die Lektüre und Besprechung des Koeppen-Romans zu nutzen, um erstens den etwa 18-jährigen Schülern den damaligen Alltag und die Zerrissenheit der Nachkriegszeit nahezubringen; zweitens natürlich das N-Wort zu problematisieren, wählt die Ulmer Lehrerin einer Art „Cancel History“. Die Lehrerin kann nicht von ihren eigenen Erfahrungen abstrahieren. Aber so kann Pädagogik nicht geschehen. Sonst wird sie zur Einvernahme von jungen Leuten für eigene Traumata.
Wenn die Juniorprofessorin Magdalena Kißling von der Uni Paderborn laut SWR auch noch meint, Lehrer seien für die Behandlung von solchen Themen und für das Erkennen von Rassismus in der Literatur nicht ausgebildet und entsprechende Konzepte für den Unterricht seien noch nicht ausgereift genug, dann kommt das zugleich einer Bankrotterklärung der gesamten deutschen Schulpädagogik und einer Entmündigung aller Lehrer gleich.
Wenigstens bleibt das baden-württembergische Kultusministerium bei der Vorgabe des Buches als Pflichtlektüre. Denn, so heißt es aus dem Ministerium, der Roman sei für den Unterricht geeignet und zähle außerdem zur bedeutenden, deutschen Nachkriegsliteratur. Hier könne man den jungen Menschen ganz klar vermitteln, was Rassismus sei.
Die Ulmer Lehrerin will sich damit nicht zufriedengeben und ihre pädagogischen Möglichkeiten nicht nutzen. Nun hat sie eine Petition gestartet; sie will erreichen, dass der „Unterricht zu einem sicheren und rassismusfreien Ort für alle“ wird. Für sich selbst hat sie Konsequenzen gezogen. Sie hat für das kommende Schuljahr einen Antrag auf Beurlaubung ohne Besoldung gestellt.
Das dürfte wohl das Vernünftigste sein. Den Schülern bleibt ein weiteres Stück Betroffenheitspädagogik und „woker“ Indoktrination erspart. Im übrigen könnte man, sollte die Lehrerin Erfolg mit ihrer Petition haben, bald die Hälfe deutscher Literatur- und Musikklassiker in Giftschränke sperren oder verbrennen. Von Schillers „Die Verschwörung des Fiesco zu Genua“ (“Der Mohr hat seine Arbeit getan …“) über Heinrich Heines „Mohrenkönig“ bis zu den Othello-Stücken von Shakespeare, Mozart, Rossini und Verdi. „Cancel Culture“ eben – jetzt pädagogisch-antirassistisch verbrämt.
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