Niemand kann behaupten, dass die Affäre um eine Liste von Journalisten, die für Aufträge von Bundesministerien entlohnt wurden, keine Wellen geschlagen hätte. Die Antwort der Bundesregierung auf eine AfD-Anfrage war Thema in mehreren größeren deutschsprachigen Medien. Die NZZ schrieb: „Wer als Journalist vom Staat Geld nimmt, schaufelt dem Journalismus das Grab.“ Die Welt kommentierte: „Erst das Honorar kassieren und dann kritisch berichten? Das geht nicht!“ Über t-online erreichte der Bericht ein größeres Publikum über verschiedene Webportale wie MSN.
Das ist insbesondere bezeichnend, weil nicht nur TE, sondern auch andere Medien insbesondere Linda Zervakis als ein Gesicht dieser Geschichte wahrnehmen, weil sie der Republik bis 2021 als Gesicht der Tagesschau bekannt war. Die FAZ hat jüngst auf ihren Auftritt verwiesen, bei dem sie nicht als Moderatorin, sondern für eine „bestellte Fragestunde“ aufgetreten und großzügig entlohnt worden war.
Kleine Nebengeschichte am Rande: In der Berliner Morgenpost schreibt Jörg Thadeusz trotzdem eine kleine Hommage über Zervakis („Warum ich für Linda Zervakis die Bar aufmischen würde“). Hier schreibt Journalist 106 über Journalist 97. Zervakis hat jahrelang für das Bundeskanzleramt die Verleihung des Nationalen Integrationspreises moderiert; und Thadeusz hat jahrelang den Deutschen Buchhandlungspreis für die Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien moderiert.
Die Anekdote kommt nicht von ungefähr. Denn täglich decken Journalisten unabhängig voneinander neue Identitäten auf. Problematisch ist dabei nur die Deklarierung der Ministerien. Das Bundeskanzleramt etwa nennt Datum und Namen der Veranstaltung, was die Zuordnung einfach macht. Ministerien wie das Bildungsministerium nennen nicht den Namen der Veranstaltung, jedoch das genaue Datum. Das Arbeitsministerium nennt nur den Monat, das Ministerium für Ernährung und Landwirtschaft gar nur das Jahr des Engagements. Heißt: Bestimmte Journalisten lassen sich einfach, manche so gut wie gar nicht zuordnen.
Doch diese Zahlen stehen in einer gewissen Relation. Bei den Medien, die nicht dem ÖRR angehören, findet der Tagesspiegel 11, Die Zeit 9, RTL 5, PRO7 und SAT1 je 4, der Spiegel 3, die FAZ gerade einmal 2 Erwähnungen. Der Axel-Springer-Konzern war dreimal aufgeführt, doch diese Eintragungen hat das BMWK mittlerweile revidiert. Wenn es auch zahlreiche Aufträge an Journalisten gab, so stehen die Aufträge an öffentlich-rechtliche Medien in keinem Verhältnis zu denen der etablierten privaten Medien.
Nicht verwunderlich, dass die Berichterstattung über die Liste bisher nur bei Nicht-ÖRR-Medien stattfand. Wie schon in der RBB-Affäre ist der ÖRR nicht in der Lage, sich selbst zu korrigieren. Trotz aller Anmaßungen, der Demokratiefunk schlechthin zu sein, ja, dass ohne ihn gar die Demokratie in Deutschland bedroht sei, kennt dieser von Räten und Kommissionen dominierte Moloch offenbar kein Gremium, der seinen Mitarbeitern auf die Finger schaut, dass die theoretische Staatsferne auch praktisch bestehen bleibt. Milliarden von Euro, aber niemand, der die Trennung von ÖRR und Staat einhalten will. Zugleich sind die dortigen Mitarbeiter höchstempfindlich, wenn man ihre Arbeitsstätte als „Staatsfunk“ tituliert.
Aber auch die AfD, die den Stein ins Rollen gebracht hat, schläft nicht. Sie weiß: Auf Landesebene dürfte es noch Potenzial für weitere Anfragen geben. Der Tagesspiegel hat der AfD daher zugestehen müssen, eine „unangenehme Frage“ gestellt zu haben. „Es sind eben doch ziemlich viele Journalisten, die sich ziemlich oft für ziemlich viel Geld einkaufen ließen“, bekennt Jost Müller-Neuhof. Und eine Strategie wird sein, die größeren Sünder anzuklagen, um die kleinen Sünder vergessen zu machen.
Dass der ÖRR seine eigenen Fehlleistungen neuerlich beschweigt, ist die Wiederholung einer häufig exerzierten Strategie. Auch in der RBB-Affäre gelobte der RBB erst Aufklärung und Aufstellung eines eigenen Investigativteams, als die größten Missstände bereits der Öffentlichkeit bekannt waren. Statt eines „mea culpa“ dürfte daher als erstes ein „Faktencheck“ erfolgen, wieso die Bezahlung von ÖRR-Journalisten keine große Sache ist. Aber schon das wäre ein Zugeständnis, würde der ÖRR vom Schweigen in den Angriff gehen.