Tichys Einblick
Herde ohne Hirten

Katholische Kirche in Deutschland: sollte man gehen, um zu bleiben?

Die Fastenzeit ist für gläubige Katholiken die Zeit der spirituellen und praktischen Vorbereitung auf das größte Fest der Christenheit: Ostern. Bischof Bätzing, Vorsitzender der DBK, erklärt in seinem Hirtenwort 2023, die österliche Bußzeit zur Blaupause für „die große Transformation.“ Ein Gespräch mit Bernhard Meuser

Nun ist die große Transformation, die Umgestaltung aller Lebens- Wirtschafts- und Gesellschaftsbereiche im Dienste einer Klimapolitik auch in der katholischen Kirche angekommen. In seinem Hirtenwort 2023 schreibt der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, der Limburger Bischof Bätzing unter der Überschrift „Bedenke, Mensch…“: „Wenn wir nun die österliche Bußzeit beginnen, dann wollen wir uns auf einen Weg der Umkehr und der Erneuerung machen. 40 Tage wie Jesus in der Wüste stellen wir uns den Herausforderungen. Im Kleinen vollziehen wir im Kirchenjahr im Zugehen auf das Osterfest, was als große Transformation nötig ist.“

Bätzings Wort ist zumindest aus zwei Gründen überraschend: „Im Kleinen“ vollziehe die Kirche, was „im Großen notwendig“ sei. Damit ordnet Bätzing die Kirche den Belangen des Staates unter. Der Staat ist das Große – die Kirche sein Vollzugsorgan? Gläubige Christen lehnen diese Unterordnung strikt ab. Konkret: Geben Robert Habeck und Annalena Baerbock, das World Economic Forum und der IPPC vor, was die Kirche zu vermitteln hat?

Aber auch eine zweite Frage stellt sich: Die „große Transformation“ ist also aus Sicht des Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz „notwendig“? Schauen wir an, was darunter verstanden wird: Es geht um nichts weniger als die Beseitigung der Demokratie zu Gunsten einer autoritären Klima-Diktatur. Die große Transformation soll auch unser bislang höchst privates Leben umkrempeln: Wie wir essen, wie wir leben, bis hin zu der Frage: Wie viele Geschlechter gibt es? Nach der großen Transformation soll man sein Geschlecht jederzeit frei wählen können; und Abtreibung ist inklusive. Im Koalitionsvertrag der Ampel, die sich ausdrücklich zur „Großen Transformation“ bekennt, geht es um nicht weniger als die Abschaffung der Familie.

Tichys Lieblingsbuch der Woche
Konservatismus in der Zeit der großen Transformation
Seit Jahren befindet sich die katholische Kirche in Deutschland in einem Prozess, der sie von ihrer Kernaufgabe, das Evangelium zu verkündigen, den Menschen zu helfen, ihren Weg zu Gott zu finden und ihn mit ihm zu gehen sowie Werke der Nächstenliebe zu unterhalten, weggeführt hat, hin zu einer Institution, die immer mehr einer NGO ähnelt. Vor allem die hauptamtlichen Mitarbeiter, aber auch das „Zentralkomitee der deutschen Katholiken“, das keineswegs alle deutschen Katholiken vertritt, diesen Eindruck aber gerne stehen lässt, orientieren sich bereitwilliger am Zeitgeist, als am Heiligen Geist.

Und obwohl die Mehrzahl der Katholiken über die Skandale der Kirche erschüttert ist, vor allem über den sexuellen Missbrauch, so ist den meisten bewusst, dass deren Ursachen nicht in der Befolgung der Glaubenslehre sondern in ihrer Relativierung zu suchen ist. Viele sind ratlos. Was also tun? Raus aus der Kirche?

Tichys Einblick: Können Sie verstehen, wenn jemand sagt: Ich muss da raus – aus der Kirche?

Bernhard Meuser: Ja, das kann ich sehr gut verstehen. Ich habe mich selbst schon gefragt, ob der Punkt gekommen ist, an dem man aus der Kirche austreten muss, um in der Kirche zu bleiben.

Warum ist Ihnen der Gedanke gekommen?

Wegen anhaltender Piraterie. Ich glaube, da kapern einige gerade das Schiff der Kirche. Als Fahrgast möchte ich, dass das Schiff geistlich auf Kurs bleibt und sich am Kompass des Evangeliums orientiert. Nicht nur bei mir gehen die roten Lichter an, wenn irgendwelche Leute das Steuer an sich reißen. Ich möchte nicht, dass die Kirche unter fremder Flagge segelt, schon gar nicht unter der Rainbow Flag. Woher nimmt man das Recht, eine 2000jährigen Lehrtradition über Bord zu werfen und aus der Kirche Gottes eine angepasste Zivilreligion, eine NGO oder eine Fahrgelegenheit für jede dahergelaufene Ideologie zu machen?

Welches Interesse haben Piraten an der Kirche?

„Nach Golde drängt, Am Golde hängt. Doch alles! Ach wir Armen!“, ahnte schon Goethe. Heute arbeiten viele Leute bei der Kirche, die gut davon leben, aber im Traum nicht daran denken, die anfordernden Prämissen des Evangeliums zu unterschreiben. Jemand hat einmal gesagt: Die glauben selbst nicht, was sie glauben.

Nehmen Sie nur eine Zahl: 800.000 Leute sind bei der Kirche angestellt, aber nur 900.000 Katholiken besuchen sonntags die Heilige Messe. Wenn jeder Kirchenangestellte selber in die Kirche ginge und auch nur einen weiteren Menschen mitbrächte, wären wir bei 1,6 Millionen Kirchenbesuchern. Nun kenne ich aber Menschen, die nicht bei der Kirche angestellt sind, aber trotzdem die Heilige Messe besuchen. Das ist das Problem. Wenn sich die Kirche aufgrund ihrer ökonomischen Potenz zu einer existenziellen Nische für Leute mit Drittinteressen entwickelt, fühle ich mich da nicht mehr wohl.

Also austreten?

Das ist eine schwierige Frage. Mit der Kirchensteuer geschieht auch viel Gutes. Ich möchte nicht wissen, ob die Sorge für die Kinder, die Alten und die Armen besser beim Staat oder bei nicht weiter ausgewiesenen freien Trägern aufgehoben wäre. Würde die Sozialfürsorge der Kirchen von heute auf morgen zusammenbrechen, würde es sehr kalt werden in unserem Land.

Von brennender Aktualität
Die verblüffende visionäre Kraft des Robert Hugh Benson
Trotzdem hat sich da etwas verselbstständigt, was so keine Zukunft hat. In der Kirche der ersten Jahrhunderte fielen die Christen dadurch auf, dass sie so liebevoll mit den Armen umgingen – und nicht nur mit den eigenen Armen, sondern mit allen – dass innerhalb weniger Jahre in nahezu allen Metropolen der Antike die Armenfürsorge an die christliche Minderheit delegiert wurde.

Heute bleiben beide Großkirchen den Beweis des Geistes und der Kraft immer häufiger schuldig; sie erscheinen als tief in die Zivilgesellschaft eingelassene bürgerliche Entitäten, gewaltige Arbeitgeber-Organisationen, die Sozialkonzerne steuern und bei nachlassender Nachfrage Erbaulichkeit verwalten. Da ist viel Ballast und wenig Heiliger Geist an Bord. Und wenn wieder einmal Beton hochgezogen wird, höre ich immer häufiger den Satz: „Diesen Quatsch finanziere ich nicht mit meinem guten Geld!“

Kann man nicht vielleicht aus der deutschen katholischen Kirche austreten und trotzdem in der Gemeinschaft der Gläubigen bleiben?

Noch einmal – und nun ins Theologische gewendet: Das ist eine komplizierte Frage. Zunächst einmal ist zu sagen, dass man nicht Christ wird, indem man in ein kostenpflichtiges Melderegister eingetragen, und somit im Babyalter nolens volens Vereinsmitglied wird. Christ wird man durch die Taufe. Sie ist ein Geschenk von Gott und begründet einen von Gott her unauflösbaren Bund. Nicht einmal der Papst kann jemand aus der Taufe herausschmeißen.

Die Mitgliedschaft in einer Körperschaft öffentlichen Rechts gleichen Namens ist ein sekundäres Konstrukt, ein win-win-Geschäft zwischen Kirche und Staat (der übrigens gut an der Kirchensteuer mitverdient), das mit Theologie im strengen Sinn nichts zu tun hat. Also genau genommen, müsste man sagen: Das muss gehen – aus der Körperschaft austreten und trotzdem im „Leib Christi“ verbleiben. Natürlich muss jemand, wenn er Christ ist, auch materiell die Kirche unterstützen. Christsein geht unbedingt auch an deinen Geldbeutel. Traditionell spricht man vom „Zehnten“, der dazu da ist, die Verkündiger des Evangeliums und jene, die den „Dienst an den Tischen“ betreiben, materiell zu versorgen.

Wenn sich dieses berechtigte Anliegen nun verselbstständigt und die Institution zu einem selbstreferentiellen Apparat mutiert, der außer Kontrolle gerät, kann man schon auf den Gedanken kommen: Warum gebe ich mein gutes Geld einer unfruchtbaren Großinstitution, die es veruntreut? Ich könnte es doch dem Priester X geben oder der Gemeinschaft Y?

Nun wird man dafür aber in Deutschland aus der Kirche ausgeschlossen?

Böse, böse Kirche
Rede vom „systemischen“ Missbrauch lenkt ab von Verantwortung Einzelner
Ja, man kann nicht kirchlich heiraten, nicht kirchlich beerdigt werden, usw. Die Begründung dafür, das muss man ehrlich eingestehen, steht auf recht schwachen Beinen. Man sieht darin einen symbolischen Akt der Absage an die Solidargemeinschaft. Es gab schon mehrfach Versuche, die strittige Frage „Darf die Kirche in Deutschland so hart reagieren?“ in Rom entscheiden zu lassen. Dort hält man sich bedeckt; wahrscheinlich, weil man den Kritikern Recht geben müsste – gegen die deutsche Bischofskonferenz.

Also, was denn nun: Austreten oder nicht?

Ich kann Ihnen nur sagen, was ich tun werde. Ich werde solange mein Geld via Kirchensteuer der Kirche geben, solange mein Bischof in Einheit mit dem Papst und der Universalkirche ist. Ja, mit dem Synodalen Weg kann es zu echten Konflikten kommen. Sollte mein Bischof ein Häretiker sein und ins Schisma gehen, ist er exkommuniziert – und ich werde den Teufel tun, ihm in die Exkommunikation nachzufolgen.

Was aber, wenn es zu keinem formellen Schisma kommt, wenn wir in eine schmutzige Grauzone geraten, wenn Rom es einfach hinnimmt, dass mein Bischof mich auf seine häretischen Ansichten und seine Privatmoral verpflichten möchte? Dann werde ich aus dieser korrumpierten Bistumskirche austreten, um in der Kirche zu bleiben. Ich werde den Priester finden, der in Einheit mit Rom ist und der mir die Sakramente spendet. Und ich werde mein Geld gut in gläubige Kirchenprojekte investieren. Aber so weit sind wir noch nicht.

Aber das könnten Sie doch schon jetzt tun – und Sie müssten keine diözesanen Betonburgen und keinen ungläubigen Apparat von Funktionären alimentieren?

Bevor jemand, der wie ich die Kirche liebt und immer noch an ihre Erneuerung glaubt, aus der Kirche austritt, muss viel passieren. Was ist denn mit all den hypermoralistischen katholischen Intellektuellen geworden, die der Kirche den Rücken gekehrt haben? Sind sie im Glauben gewachsen? Sind sie dem Lieben Gott ein Stück nähergekommen? Sind sie im Frieden gestorben? Ich habe etliche Biographien dieser Art gesehen. Und überall habe ich diesen Gang ins Eis, dieses langsame Erkalten, diese Bitterkeit wahrgenommen. Es war letztlich doch ein vom Dünkel getragenes Fortstehlen aus der Gemeinschaft – kein Abschied von der Kirche. Es wurde der Abschied von Gott.

Lieber setze ich mich der Kirche aus, wie sie nun einmal ist. Ja, manchmal leide ich wie ein Hund an ihr. Aber ich gehe hin. Sie schenkt mir das Wort Gottes und nährt mich mit den Sakramenten. Und wenn ich einen guten, demütigen Priester finde, der noch glaubt, was er glaubt, dann jubelt mein Herz.

Vielen Dank, Herr Meuser, für dieses Gespräch.

Bernhard Meuser (*1953, verh., 3 Kinder, 5 Enkel) ist ein katholischer Theologe und Publizist. Bekannt wurde er vor allem als Initiator und Hauptautor des in 70 Sprachen erschienenen „YOUCAT“. Er war Geschäftsführer der YOUCAT Foundation, leitete zuvor jahrzehntelang verschiedene Verlage und ist selbst Buchautor. Meuser gehört zu den Gründern der „Initiative Neuer Anfang“, worin Christen ein neues Gespräch über Anthropologie, Ethik, Philosophie, Theologie und Publizistik eröffnen. Angesichts vielfältiger Bedrohungen der menschlichen Lebenswelt will die Initiative die Frage nach dem Menschen neu durchdenken.
Selbst Missbrauchsopfer in der Katholischen Kirche, löste im Jahr 2020 sein 432-seitiges Werk „Freie Liebe. Über neue Sexualmoral“ starke Zustimmung und heftigen Widerspruch aus.

Bernhard Meuser, Freie Liebe. Über neue Sexualmoral. Fontis Verlag, Klappenbroschur, 432 Seiten, 20,00 €.


Empfohlen von Tichys Einblick. Erhältlich im Tichys Einblick Shop >>> 

 

Die mobile Version verlassen