Tichys Einblick
Nach der Pandemie

Experten: Müssen uns auf nächste Grippewelle besser vorbereiten

Erkrankungen am RS-Virus gab es während der Pandemie nicht. Den Preis zahlten die Kinder vor Weihnachten in einer selten gekannten Infektionswelle. Die Folgen der Corona-Maßnahmen führten die deutschen Kliniken bis zu ihren Grenzen.

Symbolbild

IMAGO / Funke Foto Services

Viele Eltern haben es in diesem Winter aus eigener Erfahrung geahnt: Die Infektionswelle unter Kleinkindern schlug so stark wie selten zu. Nun hat die DAK-Gesundheit Zahlen geliefert, die diesen Eindruck bestätigen. Demnach mussten in Deutschland alleine zwischen 1. Oktober und Silvester 17.000 Neugeborene wegen des RS-Virus im Krankenhaus behandelt werden. Das sind laut Krankenkasse fünfmal so viele wie im vierten Quartal 2018 – als auch schon eine starke Infektionswelle herrschte. Die Zahl wäre höher, hätten Krankenhäuser kranke Kinder nicht abweisen müssen – weil es an Plätzen fehlte. Auf den Intensivstationen herrschte eine um 350 Prozent höhere Auslastung als 2018.

„Unsere Analyse zeichnet ein dramatisches Bild und macht deutlich: Es gibt einen akuten Handlungsbedarf der Politik“, sagt Andreas Storm, Vorstandschef der DAK-Gesundheit. Sowohl die Kliniken als auch die ambulant arbeitenden Ärzte müssten sich besser auf die nächste Infektionswelle vorbereiten. „Es kann nicht sein, dass vorhandene Behandlungsplätze wegen Personalmangels nicht genutzt werden können. Das müssen wir künftig unbedingt vermeiden“, sagt Storm.

CSU-MdB Stephan Pilsinger:
„Lauterbach ist das freie Radikal dieser Bundesregierung“
Der DAK-Chef begrüßt, dass Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) die Kinderärzte besser bezahlen will. Das sei ein Schritt in die richtige Richtung. Lauterbach hatte im Dezember spontan versprochen, Kinderärzte aus den Fallpauschalen zu nehmen. Das würde bedeuten, dass sie nach dem bezahlt werden, was sie leisten – und dabei nicht wie bisher gedeckelt werden. Allerdings musste der Minister einen halben Rückzieher machen. Seine Initiative war weder abgesprochen noch vorbereitet. Für den kommenden Monat hat er einen entsprechenden Gesetzesentwurf versprochen, um das nachzuholen.

Die Analyse der DAK macht deutlich, dass während der Covid-Pandemie nahezu keine Kinder wegen des RS-Virus in Krankenhäusern behandelt wurden. „Die Ergebnisse zeigen genau das, was wir in den Praxen erlebt haben“, erklärt sich das Doktor Thomas Fischbach, Präsident des Berufsverbands der Kinder- und Jugendärzte: RSV-Wellen verliefen saisonal und eben wellenförmig. Die Welle vor Weihnachten sei besonders stark gewesen und vorzeitig eingetroffen.

„Die Saison 2020/21 ist wegen der Corona-Schutzmaßnahmen nahezu ausgefallen“, sagt FIschbach. Er geht von „erheblichen Nachholeffekten infolge der Corona-Maßnahmen“ aus. Das sieht auch Professor Doktor Johannes G. Liese, Leiter des Bereichs pädiatrische Infektiologie und Immunologie am Universitätsklinikum Würzburg, so. Kontaktverbote und geschlossene Schulen hätten das RS-Virus gestoppt. „Das Aufholen beziehungsweise Nachholen dieser RSV-Infektionen nach Lockerung der Corona-Maßnahmen führte zu einem überaus starken Wiederanstieg an RSV-Erkrankungen in allen Altersgruppen“, sagt Liese. „An der Krankheitslast von Neugeborenen und Säuglingen, die besonders häufig im Krankenhaus behandelt werden müssen, war dies besonders eindrücklich zu erkennen.“

Für BVKJ-Präsident Fischbach ist auffällig, dass ungewöhnlich viele Neugeborene und Säuglinge trotz erheblicher Krankheitslast nicht stationär aufgenommen werden konnten, weil kein Platz mehr in den Kliniken war. Dies habe in der ambulanten Versorgung zu einem erheblichen Betreuungs- und Versorgungsaufwand geführt, da engmaschige Kontrollen erforderlich gewesen wären: „Die Kliniken arbeiteten an ihren Kapazitätsgrenzen, was nicht zuletzt auch durch coronabedingt hohe Personalausfälle bedingt war. Das galt auch für den ambulanten Versorgungsbereich“, sagt Fischbach. Nun müssen die Bettenkapazität und die Personalausstattung der Kinderkliniken und -abteilungen verbessert werden: „Wir brauchen mehr Kinderkrankenschwestern und -pfleger, die durch eine fachbezogene Ausbildung gewonnen werden müssen.“ Das Gleiche gelte für den Beruf der Medizinischen Fachangestellten (MFA), der attraktiver werden müsse.

Die Zahlen hat die DAK ermittelt. Die Krankenkasse hat die eigenen Versicherungsdaten von 786.000 Kindern repräsentativ hochgerchnet. Die DAK-Gesundheit ist mit 5,5 Millionen Versicherten die drittgrößte Krankenkasse Deutschlands und engagiert sich nach eigenen Angaben besonders für Kinder- und Jugendgesundheit.

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