Wer von RTL dessen Einschaltquoten erfahren will, wird auf der Internetseite des Kommunikations-Giganten nicht fündig: In der Führungsleiste bietet ihm der Sender Neues zu Corona an. In der Unterrubrik über den eigenen Konzern stehen Nachrichten wie „Der Stern verstärkt sich an vier wichtigen Positionen“ oder „Spannungsfeld Leben – das Dilemma der jungen Generation“. Viel leichter finden sich die Einschaltquoten von RTL in deren Videotext-Angebot. Was passt. Denn genau wie das lineare Fernsehen scheint Videotext ein überholtes Format zu sein – funktioniert aber noch, was sich über die digitale Transformation nur bedingt sagen lässt.
Doch an diese Daten gehen die Sender nicht ran. Sie wollen die Darstellung der TV-Quoten verändern. Nicht zum ersten Mal. In den Anfangstagen des Privatfernsehens hatten ARD und ZDF zigmal so viele Zuschauer wie RTL, doch dafür hatten die Luxemburger einen Schlag bei den jungen Menschen. Also erfand dessen Ur-Vater Helmut Thoma die Legende, für die Werbewirtschaft relevant seien nur die Zuschauer zwischen 14 und 49 Jahren. Genau jene Gruppe, in der RTL stark war. Und stark ist. In diesem Segment bleibt RTL vorerst Marktführer.
Der Haken ist nur: Durch den demografischen Wandel schrumpft diese Gruppe. Laut Fachportal Meedia.de stellt sie nur noch 22 Prozent der gesamten Fernsehzuschauer. Theoretisch. Denn eigentlich interessiert sich diese Generation nicht mehr fürs Fernsehen. So schafft es kaum eine Sendung in dieser Gruppe noch auf über eine Million Zuschauer. Meist gelingt das nur der Tagesschau. Aber nur selten dem Marktführer RTL. Und ein Marktführer mit 800.000 Zuschauern als Spitzenwert macht auf die werbetreibende Wirtschaft immer weniger Eindruck.
Also hat RTL zum Jahresbeginn die Devise ausgegeben, ab jetzt sei die Zielgruppe zwischen 14 und 59 Jahren der heilige Gral der TV-Landschaft. An diesem wolle der nun in Köln sitzende Sender gemessen werden. Die Absicht dahinter ist leicht zu erkennen: Diese Zielgruppe stellt 45 Prozent der gesamten Zuschauerschaft, damit verdoppeln sich die Gesamtzahlen automatisch, wie Meedia.de vorrechnet. In dieser Gruppe schafft es gut ein Dutzend Sendungen täglich, die Marke von einer Million Zuschauern zu knacken.
Die Kölner haben bereits angefangen, ihr Programm auf ein älteres Publikum umzustellen: mehr Günther Jauch und Thomas Gottschalk, mehr Krimis und tagsüber Gerichtsshows mit dem Rentner als Zielgruppe, der zwischen dem Anzeigen von Falschparkern ein wenig nach ihn ansprechender Zerstreuung sucht. In der politischen Berichterstattung ist der Sender aus der Bertelsmann-Gruppe längst mindestens so regierungsfromm wie ARD und ZDF. Sodass die Heimat von Tutti Frutti und dem Dschungelcamp immer mehr zu einer Art öffentlich-rechtlichem Fernsehen mit Werbeblöcken verkommt.
Diese Werbeblöcke sind ein weiterer Grund für RTL, die Jungen aufzugeben. Das Internet hat deren Sehgewohnheiten verändert. Sich sieben, acht oder gar zwölf Minuten am Stück Spots anzusehen, ist für diese Generation kaum noch vorstellbar. Deswegen flüchtet RTL zu den älteren Generationen mit mehr Frustrationstoleranz. Damit hat der Sender dann allerdings interessante Karten, wenn er zu potenziellen Kunden geht: Wir sind RTL, ein Kommunikationsgigant. Wir erreichen Menschen mit einem trägen Konsumverhalten. 3 Millionen davon, wenn’s gut läuft. Und ein Großteil von ihnen sind Jugendliche im Alter von 58 Jahren.