Es gibt Anfragen, die jede Suchmaschine überfordern. „Andrea Nahles peinlich“ ist so eine Anfrage. Zu groß ist das Angebot, als dass eine Suchmaschine jedes hübsche Detail anzeigen könnte: Da ist das Krisen-Interview, das sie im Clownskostüm gegeben hat. Die Rede, in der sie ihren politischen Gegnern mehrfach ein wild entschlossenes „Bätschi“ entgegenschleuderte. Oder der Moment, als sie diesen Gegnern ankündigte, demnächst gebe es für sie „was in die Fresse“. Nicht zu vergessen der Derwisch-Tanz, den sie vor laufender Kamera im Willy-Brandt-Haus aufführte. Genauso wenig wie das Pippi-Langstrumpf-Lied, das sie im Bundestag anstimmte. Die Interviews, die sie vor und nach dem Sturz Rudolf Scharpings gab. Oder ihr Verhalten währenddessen. Kurzum: Andrea Nahles und peinlich ist eine erschöpfende Kombination.
Nun steht Nahles nicht nur mitten im Arbeitsleben. Sie steht ihm sozusagen vor. Die 52-Jährige ist Vorstandsvorsitzende der Agentur für Arbeit und damit oberste Chefin so erfolgreicher Vermittlungsmaßnahmen wie Bewerbungstraining, dem Gabelstaplerführerschein oder der Existenzgründer-Beratung. An eine solche Stelle kommt frau nicht einfach, indem sie als Abgeordnete, Ministerin und Vorsitzende ihre Partei an den Rand des Abgrunds geführt hat und dann von ihr abgeschoben, aber versorgt wird – sie muss auch noch „Ja“ auf die Anfrage antworten. Das hat Andrea Nahles offensichtlich getan.
Aber Nahles selbst blickt neben ihrer ausgiebigen Studiererfahrung auch noch auf reichlich Arbeitsleben zurück: angefangen als Mitarbeiterin eines Bundestagsabgeordneten. Da muss frau den Kalender eines Abgeordneten führen, seinen Kaffee kochen und einer Meinung mit ihm sein – das alles ist wahrlich kein Ponyhof. Bis die Mitarbeiterin selbst irgendwann auf einen Listenplatz rutscht und Abgeordnete wird, was Nahles‘ nächster Karriereschritt war. 2002 flog sie dann aus dem Bundestag raus und wurde Büroleiterin der IG Metall in Berlin. Die Gewerkschaft verlor in der Zeit Mitglieder und nach kaum zwei Jahren wieder ihre Berliner Büroleiterin. Wahrscheinlich hatte Nahles einfach alle zu erledigende Arbeit bereits getan – ist ja schließlich kein Ponyhof, so eine DGB-Gewerkschaft.
Jetzt wollte sie promovieren. Doch die SPD verhinderte eine weitere langjährige Uni-Karriere und hievte Nahles zurück in den Bundestag. 2009 wurde sie die Generalsekretärin der Partei, 2013 Arbeitsministerin und 2018 SPD-Vorsitzende. Als sie diesen Vorsitz ein Jahr später wieder abgeben musste, diskutierte die Partei, ob sie wirklich noch einen Kanzlerkandidaten aufstellen wolle oder ob das angesichts fehlender Chancen nicht eher peinlich sei. Zweieinhalb Jahre später eroberte die gleiche Partei das Kanzleramt, sodass ihr Rücktritt die erfolgreichste Episode im Berufsleben der Andrea Nahles wurde – aber Arbeit ist halt auch kein Ponyhof.
Dass es in Deutschland an Arbeitskräften mangelt, ist nicht alleine der Agenturvorsitzenden Nahles vorzuwerfen – sondern auch der ehemaligen Arbeitsministerin Nahles. Obwohl das Land auf dieses Problem schon seit Jahrzehnten zusteuert, schafften es Verantwortliche nicht, gegen den Fachkräftemangel anzusteuern, der mittlerweile zum Arbeitskräftemangel ausgewachsen ist. In Nahles’ Amtszeit als Ministerin kamen über eine Million Einwanderer ins Land alias Flüchtlinge alias Schutzsuchende. Deren Beschäftigungsquoten sind jedoch offensichtlich nicht hoch genug, um den Arbeitskräftemangel auch nur zu mindern.
Nun ist Nahles in einer verantwortlichen Position. Sie hätte durchaus die Möglichkeit, etwas am Arbeitsmarkt zu verändern. Außer Interviews zu geben und Leute anzupöbeln. Ihre Agentur könnte die Stille Reserve besser mobilisieren, könnte Einwanderer ans Arbeitsleben führen und könnte den Rückstand im Bereich Lebenslanges Lernen verringern, in dem Deutschland ein Entwicklungsland ist. Aber das wäre Arbeit, kein Ponyhof, also gibt Nahles lieber Interviews, Bätschi, widdewiddewitt, in die Fresse rein.