Tichys Einblick
Unruhe im Springer-Verlag

Affäre um „Bild“ und Julian Reichelt: Die verlorene Ehre des Mathias Döpfner

Springer-Vorstandschef Mathias Döpfner soll in die Affäre um Ex-Bild-Chef Julian Reichelt hineingezogen werden. Das ist die erkennbare Absicht von Medien wie dem NDR. Es trifft den Verlag in einer operativ schwierigen Zeit.

Mathias Döpfner, Vorstandsvorsitzender Axel Springer bei den Feierlichkeiten zum 80. Geburtstag von Friede Springer im Axel-Springer-Haus, 15.08.2022

IMAGO/Chris Emil Janßen

Es gibt eine Zahl, die dem Springer-Verlag schwer zu schaffen macht: eine Million Exemplare. Unter diese magische Grenze droht die Auflage des Flaggschiffs, der Bild-Zeitung, schon länger zu rutschen. Der Verlag tut alles, um das zu verhindern. Gegenüber der „IVW“ (Informationsgemeinschaft zur Feststellung der Verbreitung von Werbeträgern) meldet Springer nun die Auflage der Bild gemeinsam mit der Auflage der Berliner Boulevardzeitung B.Z. Und auch so sind es nur noch 1,2 Millionen verbreitete Exemplare – darunter 275.000 E-Paper-Ausgaben. Wobei diese Zahl innerhalb eines Jahres um fast 100.000 Exemplare gestiegen ist, weil jetzt auch Tagespässe mitgerechnet werden.

Es ist eine Abwehrschlacht, die der Springer-Verlag eines Tages verlieren wird. Verlieren muss. Egal, welche kosmetischen Tricks den Verantwortlichen noch einfallen. Einst war die Meinungsmacht der Bild so groß, dass Kanzler Gerhard Schröder (SPD) verkündete, er brauche zum Regieren nur „Bild, BamS und Glotze“. Heute können deutlich kleinere Medien genauso gut eine Kampagne inszenieren. Der Mythos des Meinungsmonsters Bild, den Heinrich Böll in „Die verlorene Ehre der Katharina Blum“ beschwor, ist längst passé.

Dafür gibt es viele Gründe. Einer davon ist das Carolinen-Urteil. Es schützt Prominente gegen Boulevard-Berichterstattung, wenn sie sich nicht ausdrücklich darauf einlassen. So darf Bild kaum über Stefan Raab, Michael Schumacher oder Günther Jauch schreiben, sondern muss sich mit der Tochter von Roberto Blanco, einer DSDS-Jurorin oder dem neuen Tattoo von Sophia Thomalla begnügen.

Döpfner-Rücktritt beim BDZV
Unter den Zeitungsverlegern ist ein Krieg ausgebrochen
Ein anderer Grund geht tiefer. Günter Wallraff hat in seinem Klassiker „Der Aufmacher“ geschrieben, dass die Bild und dem Springer-Verlag die Interessen des Kapitalismus vertrete. Nur waren diese Interessen in vielem deckungsgleich mit den Interessen der Arbeitnehmer im Rheinischen Kapitalismus: sichere Jobs, ein Mehren des Wohlstands, gut ausgebaute Straßen und Schienen, innere Sicherheit, geschützte Grenzen, eine wehrfähige Armee oder eine überschaubare Abgabenlast. So konnte Bild zur Stimme des einfachen Mannes werden, etwa auf dem Bau.

Doch der Rheinische Kapitalist steht nicht mehr für „die Wirtschaft“ in Deutschland. Springer lebt wie viele andere Verlage heute von immer stärker ausufernden staatlichen Anzeigenkampagnen. Allein Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) hat im vergangenen Jahr gut 100 Millionen Euro unter die Leute gebracht. Außerdem ist die werbetreibende Wirtschaft heute selbst gerne woke. Denn das Woketum kommt vielen großen Unternehmen gelegen. Gerne taufen sie die Zigeunersauce in Paprikasauce um und lassen enorm mehrgewichtige Modells für Monatshygiene werben, solange keiner mehr auf die Idee kommt, Besitzverhältnisse oder Arbeitsbedingungen zu thematisieren.

In diesen Prozess hat Springer-Verlagschef Mathias Döpfner aktiv eingegriffen. Als die Welt per Gastbeitrag die Theorie vertreten ließ, es gebe nur zwei Geschlechter, unterband Döpfner dies, verpflichtete die Redaktion zu einer Gegenberichterstattung und verkündete, Springer werde künftig an der Seite der Diversen stehen. So kann sich nun der Bauarbeiter in seiner Mittagspause aussuchen, ob er zuerst die Homestory über die glücklich verheiratete Transfrau lesen will, die Story von Sophia Thomallas neuem Tattoo oder die politischen Ansichten von Eintracht-Präsident Peter Fischer. Um nicht unter eine Auflage von einer Million zu rutschen, wird Springer die Bild irgendwann noch mit vielen anderen Titeln gemeinsam an die IVW melden müssen.

Vor diesem Hintergrund ist es nachvollziehbar, dass es Springer auf den US-amerikanischen Markt drängt. Dort hat der Verlag die Marken Politico und Business Insider gekauft. Während die deutschen Marken Stellen abbauen, bauen die amerikanischen Marken Stellen auf. Springer hofft auf die Weltmarktführerschaft. Doch nicht einmal in den USA reicht es dafür. Schließlich verkaufen Konkurrenten wie die New York Times ein Zigfaches an Digitalabos als der Business Insider. Also will Springer weiter investieren. Doch dafür braucht der Verlag Geld.

Eine Idee, um an Geld zu kommen, ist das Sparen an den deutschen Titeln. Eine andere Idee lautet, das Tafelsilber zu veräußern. Begehrt sind die Such-Portale Immowelt und Stepstone. Doch der Big-Tech-Markt befindet sich allgemein in der Krise. Ob das der richtige Zeitpunkt für einen Börsengang ist, bleibt daher fraglich. Ebenso offen ist, ob dabei genug Kapital herumkäme, um eine Marke wie die New York Times anzugreifen – auf einem Markt, der bereits als gesättigt gilt.

Cancel Culture
Die Deutschen haben die Gelassenheit verlernt
Zumal Springer und seinem Verlagschef ein rauer Wind entgegenbläst. Von Bord gefegt hat diesen bereits Döpfners Spezi, den früheren Bild-Chefredakteur Julian Reichelt. Dessen Sexualleben ist in Deutschland eine öffentlich-rechtliche Angelegenheit. So hat der NDR jüngst einen neuen Twist einer alten Geschichte unter der Bettdecke hervorgezogen. Im öffentlich-rechtlichen Format „Reschke Fernsehen“ berichteten Frauen anonym, sie hätten mit dem Chef Sex haben müssen, um beruflich voranzukommen.

Anonyme Zeugenaussagen von Menschen, die bereit sind, Sex zu haben, um sich dadurch berufliche Vorteile zu verschaffen – vor Gericht als Beweismittel undenkbar. Für den NDR gerade gut genug, wenn es um ein Feindbild wie Reichelt und die Bild geht. Zudem versucht der Sender, Döpfner in die Affäre reinzuziehen: Der habe seinem Chefredakteur bei seinen Sex-Affären zu lange den Rücken gedeckt. Nicht der erste Versuch, Döpfner zu diskreditieren.

Jüngst wies die Frankfurter Universität Vorwürfe zurück, Döpfners Doktorarbeit sei ein Plagiat. Auch wurde eine SMS geleakt, in der Döpfner von einem neuen „DDR-Obrigkeitsstaat“ schreibt, gegen den sich Reichelt aufgelehnt habe. Döpfner schickte die SMS an den Autoren Benjamin von Stuckrad-Barre, sie wurde geleaked, was besser klingt als gepetzt, aber das Gleiche meint. Nun gibt es drei Möglichkeiten: Entweder hat Döpfner sich selbst denunziert, weil er amtsmüde ist und seinen Berufsweg beenden will. Stuckrad-Barre war es. Oder ein deutscher Journalist hat sich in den SMS-Verkehr gehackt und diesen öffentlich zugänglich gemacht.

Glosse
Zehn Möglichkeiten, wie das ZDF Geld sparen könnte
Jener Benjamin von Stuckrad-Barre hat nun für den 19. April einen Roman angekündigt. Es soll ein Schlüsselroman über einen Verleger werden. Solch ein Schlüsselroman bietet dem Autoren mancherlei Vorteile. Er kann zum Beispiel über einen großen deutschen Verleger schreiben, der kokst, Kinder zum Frühstück isst, keine Untersetzer benutzt, einen kriminellen Ring betreibt und sich eigentlich einen Staatsputsch von 70-jährigen Rollatorfahrern herbeiwünscht. Dann muss ihm nur sein Anwalt einen Satz zu Beginn des Buches formulieren, dass die Figuren und Geschehnisse rein erfunden seien und alles ist gut. Vor allem, wenn Benjamin von Stuckrad-Barre beweisen kann, dass Döpfner gar nicht gemeint sein kann, da der erwiesenermaßen Untersetzer benutzt.

Vor dem Geraune, das aus den anderen Vorwürfen entsteht, kann sich Döpfner nicht schützen: Lässt er es laufen, muss er mit dem Kübel Schmutz leben, der Benjamin von Stuckrad-Barre gegebenenfalls über ihn ausschüttet. Zieht er vor Gericht, kommt das einem Schuldeingeständnis gleich. Medien auf dem Kriegszug gegen Bild, Reichelt und Döpfner werden sich gerne daran beteiligen, den Schmutz zu verbreiten. Mutmaßlich allen voran der NDR. So bleibt Bölls „Die verlorene Ehre der Katharina Blum“ ein aktuelles Buch, auch wenn die Kampagnen-Journalisten mittlerweile von Gebühren finanziert werden.

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