Die Zeiten der parteiübergreifenden (nur die AfD ausschließenden) Einigkeit in der Migrationspolitik sind vorbei. Das ist das eigentliche Ergebnis des Flüchtlingsgipfels. Der Versuch Nancy Faesers, mit Harmonie-Phrasen – „Seite an Seite“ – und der Verkündigung von vier neuen Arbeitskreisen die dramatische Zuwanderungswirklichkeit in den Kommunen zu übertünchen, ist grandios gescheitert, als unmittelbar nach ihr der Landkreistagspräsident Reinhard Sager sprach. Der Druck durch die wachsenden Migrantenzahlen auf die Kommunen und Landkreise wird von Tag zu Tag und Woche zu Woche größer, sagte er sicht- und hörbar emotionalisiert.
Wie groß der Streit zwischen der Bundesregierung und zumindest den unionsgeführten Landesregierungen und Kommunen ist, machte dann ein kleiner Eklat im Publikum deutlich. „Heuchelei“, rief der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Landkreistages, Hans-Günter Henneke, und verließ protestierend den Saal. Da hatte gerade Faesers Parteifreund, der Hamburger Innensenator Andy Grote, versucht, die Lage ähnlich wie diese schönzureden und die Fortsetzung der Politik der Bundesregierung gefordert.
Aber die Bundespolitiker der Union werden sich dieser Dynamik aus der eigenen Basis, oder jedenfalls von den eigenen kommunalpolitischen Praktikern nicht dauerhaft entziehen können. Deren Überzeugungskraft ist deswegen so groß, weil ihre Motivation erkennbar nicht machtpolitisch, sondern sachpolitisch ist. Hier geht es nicht um Koalitionsoptionen, sondern um den Kern von Politik: das Lösen von Problemen, die den Bürgern wichtig sind. Die Landräte und Bürgermeister stehen mit dem Rücken zur Wand, wie unzählige Alarmrufe in den vergangenen Wochen deutlich gemacht haben. Die Kapazitäten für die Unterbringung und Versorgung weiterer Armutsmigranten sind schlicht am Ende. Wie Hessens Innenminister Peter Beuth sagte: „Die Stimmung im Land droht zu kippen.“
Die CDU wird also von der eigenen Basis, oder jedenfalls ihren kommunalpolitischen Praktikern, gezwungen, wieder das zu sein, was sie in den langen Merkel-Jahren so gründlich verlernt hat: eine Kontrahentin gegen Sozialdemokraten und Grüne auf einem zentralen Politikfeld. In anderen europäischen Ländern und sogar in Brüssel begreifen Politiker der alten Mitte-Rechts-Parteien diese Aufgabe und die darin enthaltene Chance allmählich. Wenn Merz und die führenden Köpfe der Union das nicht tun, verlieren sie ihre Existenzberechtigung.