Wer hat den Wahlkreis 6 von Lichtenberg gewonnen? Das amtliche Ergebnis liegt noch nicht vor, doch das vorläufige Ergebnis ändert sich zurzeit täglich. Denn: Die Auszählung hätte schon am Sonntagabend abgeschlossen sein sollen. Spätestens Montagmorgen hätte ein mehr oder weniger finales Ergebnis vorliegen müssen. Doch es tauchen immer mehr Stimmen auf.
Am Montag wurde gemeldet: Circa 450 Stimmen in diesem Wahlkreis wurden noch nicht ausgezählt. Denn Briefwahlstimmen waren in der Postverteilstelle liegen geblieben. Ein Kurier hatte sie dort am Sonntag angeliefert – aber es war niemand mehr vor Ort, der die Stimmen in das Bezirksamt zum Auszählen hätte bringen können. Von staatspolitischer Verantwortung des privilegierten Unternehmens oder seiner Mitarbeiter keine Spur.
Medien, auch TE, meldeten den Vorfall und spekulierten: Könnten diese 450 Stimmen dazu führen, dass doch die Grüne Bettina Jarasch Bürgermeisterin wird? Denn die SPD hat nur circa 150 Stimmen Vorsprung zu den Grünen und aus diesem marginalen Vorsprung leitet die zweitplatzierte Franziska Giffey den Anspruch ab in einer rot-grün-roten Regierung die Oberbürgermeisterin Berlins zu werden.
Doch es wurde nur absurder: Der Wahlkreis wurde ursprünglich von der CDU gewonnen. Nach der Auszählung ergab sich aber ein Gleichstand der Erststimmen zwischen den Stimmen für die CDU-Kandidaten Dennis Haustein und der Kandidatin der Die Linke, Claudia Engelmann. Das Wahlgesetz sieht vor: In einem solchen Fall soll der Gewinner des Wahlkreises per Los ermittelt werden. Könnte ein Münzwurf über das Schicksal des Wahlkreises – und die daraus resultierenden Überhang- und Ausgleichsmandate – entscheiden?
Noch einmal 9 Stimmen entdeckt
Nein, denn nun sollen weitere neun Stimmen für die CDU aufgetaucht sein, die in der ursprünglichen Nachzählung vergessen wurden. An dieser Stelle sollte der Wahlleiter einen Schlusstrich ziehen und sagen: Der ganze Wahlkreis, besser noch der ganze Bezirk muss öffentlich neu ausgezählt werden. Die Linke fordert es schon, aber zur Selbstreinigung des Systems muss gehören, dass Behörden das eigene Versagen akzeptieren und aufräumen.
Beschwerde beim Landeswahlleiter
In einer Beschwerde beim Landeswahlleiter, die Tichys Einblick vorliegt, wird gerügt, dass für Lichtenberg nicht einmal gesichert ist, ob schon alle Briefwahlunterlagen angekommen sind – bei den Wählern wie beim Wahlamt. Denn laut Briefstempel wurden Wahlunterlagen am 2. Februar dem Dienstleister übergeben – wieder nicht die Deutsche Post – und am 9. Februar ausgeliefert. Angesichts dieser Verzögerung der Auslieferung ist unklar ob
- die abgegebenen Briefwahlstimmen rechtzeitig bis zum 12. Februar geliefert werden konnten,
- Briefwahlunterlagen bei den Wählern ankamen,
- die Sicherheit der Briefwahlunterlagen gewährleistet wurde. Denn sie lagen wohl über Tage bei dem Briefzustellungsunternehmen herum.
Verschiedene Unregelmäßigkeiten bekannt
Mitarbeiter von Tichys Einblick waren am Wahl-Sonntag im Stadtgebiet unterwegs und konnten keine Unregelmäßigkeiten beobachten. In den Wahllokalen waren auch keine größeren Schlangen zu sehen, im Gegenteil war die Beobachtung, dass oft mehr Wahlhelfer als Wähler in den Lokalen waren.
Trotzdem gab es Berichte über Wahllokale, in denen nicht umstandslos gewählt werden konnte. In einem Moabiter Wahllokal fehlte ein Schlüssel eines Vorhängeschlosses an einer Wahlurne. Die Wahl begann daher verspätet, Bürger die zur Arbeit mussten, konnten ihre Stimmen nicht abgeben.
Weiterhin sind TE zwei Fälle aus dem Wahlbezirk Mitte bekannt, bei denen Briefwahlunterlagen erst am Montag dem 13. Februar, also einen Tag nach der Wahl geliefert wurden. Der Postdienstleister – nicht die Deutsche Post – hatte die Briefe am 1. Februar 2023 abgestempelt, es handelt sich wohl um ein Versagen des Dienstleisters. Medien berichteten im Vorfeld von Fällen in Wedding, in denen Briefwahlunterlagen doppelt versandt wurden, und von Fällen, in denen die Briefwahlunterlagen mangels Dienstsiegel nicht gültig waren. Tichys Einblick erreichten außerdem Berichte darüber, dass in einigen Fällen gar keine Wahlunterlagen ankamen.
Zu einer erneuten Wahlwiederholung werden diese Fehler wohl nicht führen. Um eine solche zu erzwingen, muss eine sogenannte „Mandatsrelevanz“ nachgewiesen werden. Selbst wenn dieser Nachweis erbracht wird, können Gerichte eine Wiederholung nur in einzelnen Wahllokalen oder -kreisen anordnen.