Tichys Einblick
Small modular reactors – SMR

Kernenergie geht in die nächste Runde

Kleine, modulare Reaktoren läuten das weltweite Revival der Atomkraft ein. Nur Deutschland, das lange Jahre führend bei Kernkraftwerken war, bleibt ein weißer Fleck auf der Landkarte, wenn es darum geht, die Energieversorgung der Zukunft zu entwickeln. Von Thilo Spahl

Als erster SMR wurde das schwimmende Kraftwerk Akademik Lomonosov 2019 in Pewek an der Ostsibirischen See ans Netz angeschlossen

IMAGO / ITAR-TASS

Lange war die Entwicklung der Kernenergie in der Schwebe. Die technischen Optionen werden schon länger diskutiert und sind sehr gut erforscht. Es ist klar, dass die Schwächen der vorhandenen globalen KKW-Flotte überwunden werden können.

Es ist klar, dass neue Reaktortypen den Brennstoff besser nutzen, Kernschmelzen physikalisch ausschließen und über lange Zeiträume strahlende Abfälle weitgehend vermeiden können. Aber es blieben als sehr effektive Hindernisse für einen neuen Anlauf der kommerziellen Anwendung die preiswerten fossilen Alternativen, die deutlich geringere Investitionen erfordern, und die politisch-ideologische Unsicherheit: Wer nicht weiß, ob ein für viele Milliarden gebauter Reaktor dann auch langfristig betrieben werden kann, hat es schwer, Investoren zu finden.

Nun haben sich die Rahmenbedingungen geändert. Dekarbonisierung ist auf internationalem Parkett King. Explodierende Preise bei Öl und Gas haben nicht nur uns Deutsche aufgeschreckt. (Und davon, dass die Zukunft Wind und Sonne gehört, wird wahrscheinlich nur noch in deutschen Amtsstuben geträumt). Der Wind hat sich gedreht: Weltweit schießen KKW-Projekte wie Pilze aus dem Boden. Eine zentrale Rolle spielen dabei die kleinen modularen Reaktoren (Small modular reactors – SMR). Es sieht so aus, als werden sie es sein, die in den nächsten Jahren weltweit die Renaissance der Kernenergie befeuern werden.

Billiger, einfacher, sicherer

Die modulare Bauweise von Kernreaktoren bedeutet, dass sie in großem Maßstab und standardisiert in einer Fabrik hergestellt und dann an jeden beliebigen Standort transportiert werden können, anstatt sie als einmalige, hochkomplizierte und oft extrem langwierige Projekte individuell vor Ort zu bauen, wie dies bisher bei Kernreaktoren der Fall war. Das generische Design, die geringere Komplexität und die Massenproduktion mit relativ kurzer Bauzeit bieten enorme Möglichkeiten, die Kosten erheblich zu senken, so dass die Kernenergie bei einer kürzeren Amortisationszeit wettbewerbsfähiger werden kann.

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Darüber hinaus ermöglicht die Fähigkeit, kleinere Reaktoren in verschiedenen Größen zu bauen, unterschiedliche Anwendungen, wie zum Beispiel Kernreaktoren für die Industrie oder abgelegene Orte mit unterentwickelter Netzinfrastruktur. Eine Faustregel im Energiesektor besagt, dass kein einzelnes Kraftwerk mehr als ein Zehntel der Gesamtkapazität eines Netzes liefern sollte, da ein übermäßiges Vertrauen auf dieses Kraftwerk bei einem Ausfall zu weitreichenden Stromausfällen führen könnte. Das bedeutet, dass konventionelle Reaktoren mit hoher Leistung nicht für Regionen mit begrenzter Netzkapazität geeignet sind – aber SMR sind mit ihrer geringeren elektrischen Leistung eine hervorragende Alternative. Das macht SMRs nicht nur für die Erzeugung sauberer Energie wertvoll, sondern auch, um in vielen Regionen der Welt Lücken in der Energieinfrastruktur zu schließen.

SMRs gelten als außerordentlich sicher. Ihre Konstruktion ist einfacher, und aufgrund der geringeren Leistung und des niedrigeren Betriebsdrucks ist kein menschliches Eingreifen erforderlich, um die Systeme in Notfällen abzuschalten. Neben der Produktion von Strom eignen sie sich auch sehr gut zur Bereitstellung von Prozesswärme für industrielle Zwecke oder auch zur Wasserentsalzung. SMRs sind dafür noch besser geeignet als konventionelle KKWs, da sie kleiner sind und besser an Industriestandorten integriert werden können, und weil sie (zumindest einige Typen) sehr viel höhere Temperaturen erreichen, die für viele industrielle Anwendungen wie der Stahlherstellung benötigt werden.

Mit mehr als 80 SMR-Konzepten, die in 19 Ländern entwickelt werden, und den ersten SMR-Blöcken, die in China und Russland bereits in Betrieb sind, wird erwartet, dass SMR einschließlich Mikroreaktoren (MR) eine immer wichtigere Rolle bei der Gewährleistung der Energieversorgungssicherheit spielen und den Übergang zu Netto-Null-Emissionen unterstützen werden. In den nächsten zehn Jahren dürfte sich hier weltweit eine erhebliche Dynamik entwickeln.

Was passiert wo?

Als erster SMR wurde das schwimmende Kraftwerk Akademik Lomonosov 2019 in Pewek an der Ostsibirischen See ans Netz angeschlossen und nahm im Mai 2020 den kommerziellen Betrieb auf. Die FPU mit zwei KLT-40S-Reaktoren hat eine installierte Leistung von 70 MW(e). Seit dem Transport zum Standort und dem Anschluss an das Stromnetz wird sie nur noch für die Strom- und Wärmeversorgung der örtlichen Gemeinden genutzt. Der Entwickler zieht auch eine modifizierte Version für den Export in Erwägung.

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Der andere derzeit in Betrieb befindliche SMR ist der HTR-PM in der Provinz Shandong, China. Bei dem HTR-PM handelt es sich um eine industrielle Demonstrationsanlage eines gasgekühlten Hochtemperaturreaktors (HTGR) mit zwei Blöcken, die im Dezember 2021 ans Netz ging. Sie hat eine installierte Gesamtleistung von 210 MW(e). Ziel dieser HTGR-Demonstrationsanlage ist es, Betriebserfahrungen mit neuen und wichtigen Komponenten wie Heliumzirkulatoren und Dampferzeugern sowie mit den Herstellungs- und Qualitätssicherungspraktiken für diese Komponenten zu testen und zu sammeln. China verfügt über die geistigen Eigentumsrechte an den wichtigsten HTGR-Technologien. Etwa 93 Prozent aller Komponenten wurden in China gefertigt. Andere nationale und internationale Projekte, die auf diesem Konzept basieren, oder mit skalierten Versionen, wie zum Beispiel einer Anlage mit sechs Einheiten, sind in Vorbereitung.

Der CAREM-Reaktor (Central Argentina de Elementos Modulares) ist ein Prototyp eines kleinen, integrierten Druckwasserreaktors, der sich derzeit in Argentinien in der Nähe von Buenos Aires in einem fortgeschrittenen Stadium der Konstruktion befindet. Er wird eine Kapazität von 27 MW(e) haben. Für die Zukunft ist eine größere Version mit einer Leistung zwischen 150 und 300 MW(e) geplant. Alle Komponenten des primären Kühlsystems wurden in den Reaktorbehälter integriert. Nach Angaben des Entwicklers ist das Zieldatum für die Inbetriebnahme und die erste Brennstoffladung in der zweiten Hälfte des Jahres 2023.

Ein weiterer im Bau befindlicher SMR ist Chinas ACP100, oder Linglong One, in Changjiang. Der ACP100 ist ein Mehrzweck-Druckwasserreaktor (DWR) mit 125 MW(e), dessen Bau im Juli 2021 begann.

Die folgende Liste über weitere Aktivitäten weltweit basiert auf dem Report „Small Modular Reactors: A new nuclear energy paradigm“ der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA) sowie einzelnen Meldungen und erhebt keinerlei Anspruch auf Vollständigkeit:

Wir sehen: Praktisch alle Länder, die bisher schon Erfahrungen im Bereich der Kerntechnik haben, engagieren sich bei der Entwicklung und Implementierung der nächsten Generation nuklearer Energieversorgung. Allein Deutschland, das lange Jahre führend bei Kernkraftwerken war, strebt weiter danach, das Erbe von Frau Merkel zu pflegen und ein weißer Fleck auf der Landkarte zu werden, wenn es darum geht, die Energieversorgung der Zukunft zu entwickeln.

Können – und vor allem: sollten – wir uns das auf Dauer leisten?

Rumina Velshi, Präsidentin der Canadian Nuclear Safety Commission, sagt:

„Wenn die Kernenergie eine wichtige Rolle bei der Bekämpfung des Klimawandels und der Energiesicherheit spielen soll, müssen die Länder auf der ganzen Welt ihr modulares Potenzial ausschöpfen. Kernreaktoren müssen schneller und kostengünstiger in Betrieb genommen werden und viel weiter verbreitet sein als die Reaktoren der Vergangenheit. Der Nuklearsektor wird eine deutliche Verlagerung von traditionellen Großprojekten hin zu einem rationalisierten, produktbasierten Modell benötigen. Für uns als Aufsichtsbehörde wird die Sicherheit immer an erster Stelle stehen – hier gibt es keine Veränderung. Aber wir haben auch immer wieder deutlich gemacht, dass wir keine unnötige Belastung oder ein Hindernis für innovative Technologien – wie z.B. SMR – sein wollen. Und ich bin der festen Überzeugung, dass dies auch bedeutet, dass wir unseren Teil dazu beitragen müssen, die Voraussetzungen für ein sicheres und effizientes produktbasiertes Modell für den Einsatz von Kernkraftwerken zu schaffen. Dies wird nicht einfach sein, es wird Zeit brauchen, und es wird eine Umgestaltung der bestehenden internationalen Governance der Nuklearindustrie erfordern, und – offen gesagt – die Bereitschaft, mutig zu sein.“


Dieser Beitrag von Thilo Spahl ist zuerst bei Novo erschienen.

Mehr von Thilo Spahl lesen Sie in dem von ihm herausgegebenen Buch „Schluss mit der Klimakrise: Problemlösung statt Katastrophenbeschwörung“

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