Tichys Einblick
TE-Interview

CSU-Politiker Pilsinger: Lauterbachs Krankenhaus-Reform wäre „massiver Kahlschlag“

Karl Lauterbach hat die „Revolution“ für Krankenhäuser angekündigt. Der CSU-Bundestagsabgeordnete Stephan Pilsinger befürchtet im Interview mit TE, dass dadurch sinnvolle Strukturen zerschlagen und die gesundheitliche Versorgung verschlechtert würden.

IMAGO/C.E. Janßen| T. Atzkern - Collage: TE

Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) will im August einen Entwurf für eine Krankenhaus-Reform vorlegen. Damit will er die Versorgung verbessern und das Gewinnstreben aus dem Gesundheitswesen nehmen. Das komme einer „Revolution“ gleich, verspricht Lauterbach. Er werde sinnvolle Strukturen zerschlagen, warnt der CSU-Gesundheitspolitiker Stephan Pilsinger. Im Interview mit TE warnt der Bundestagsabgeordnete davor, dass die medizinische Versorgung durch Lauterbachs Ideen schlechter werde – vor allem auf dem Land.

Tichys Einblick: Herr Pilsinger, Gesundheitsminister Karl Lauterbach hat für diesen August die „Revolution der Krankenhäuser“ angekündigt. Erwarten Sie auch, dass danach die Behandlungen besser werden und das Gewinnstreben in Krankenhäusern wegfällt?

Stephan Pilsinger: Unstrittig ist, dass es einer Strukturreform für Krankenhäuser bedarf. Revolution ist die Wortwahl des Gesundheitsministers. Ich bin mir nicht einmal sicher, ob die Reform so kommt, wie er das vor Weihnachten angekündigt hat.

Warum nicht?

Er hat die grundsätzliche Richtung der Reform von einer Expertenkommission vorgeben lassen. Die besteht aber aus lauter Professoren, die von den großen Kliniken kommen und folglich in den urbanen Städten arbeiten. Das merkt man ihren Vorschlägen auch an.

Inwiefern?

Für den ländlichen Raum sind ihre Vorschläge völlig inakzeptabel. Wenn die Koalition sie so umsetzt, wie Karl Lauterbach sie vorgetragen hat, dann würde das einen massiven Kahlschlag bedeuten für die Versorgung mit Krankenhäusern in ländlich geprägten Regionen. Aber auch für die gesundheitliche Versorgung im ländlichen Raum generell. Die würde mit Lauterbachs Reform deutlich schlechter werden.

Wieso?

Karl Lauterbach und seine Kommission planen eine Einstufung der Krankenhäuser in drei Level. Aber die Krankenhäuser, die es nicht ins zweite Level schaffen, dürfen nur noch ganz elementare internistische und chirurgische Leistungen anbieten. Alle anderen Stationen müssten sie radikal schließen. In der Konsequenz werden die künftigen Level I-Häuser dann im besten Fall nur noch sowas wie ein Pflegeheim mit Notaufnahme sein. Eine ordentliche Grundversorgung könnten diese Kliniken nicht mehr herstellen. Das trifft vor allem den ländlichen Raum.

Die Eckpunkte Lauterbachs sehen mehr Spezialisierung vor. Nicht mehr alle Krankenhäuser sollen alle Leistungen anbieten. Das ist plausibel. So werden einerseits Kosten gespart und andererseits nehmen Ärzte nur noch Eingriffe vor, die sie beherrschen, weil sie diese oft anwenden. Was haben Sie gegen diese Idee?

Mangel an Geburtskliniken absehbar
Lauterbachs Krankenhausreform wäre ein Kahlschlag
Diese Idee gibt es schon. Die Spezialisierung wird bereits umgesetzt. Das Absurde ist, dass Lauterbach die vorhandene, qualitativ durchaus gute Spezialisierung mit seinen Vorschlägen gefährdet. Seine Regelung sieht eine bundesweite Vereinheitlichung vor. Das bedeutet in der Konsequenz: Ein Krankenhaus darf X nur anbieten, wenn es auch Y und Z anbietet. Bisher hat die Politik diesen Krankenhäusern empfohlen, sich zu spezialisieren. Die haben es gemacht, sich zum Beispiel als Geburtsklinik spezialisiert und enorm viel Geld dafür investiert – aber nach Lauterbachs Reform dürfen sie keine Geburtsklinik mehr sein, nur weil sie zum Beispiel keine Schlaganfallbehandlung anbieten können – schon ein KO-Kriterium für Level II. Das ist absurd. Das ist zentrale Planwirtschaft, die die individuellen Bedingungen vor Ort völlig außer Acht lässt.

Was ist Ihrer Meinung nach der Mindeststandard, den ein Krankenhaus auf dem Land anbieten muss?

Nach Lauterbachs Plänen können Kliniken des Levels I keinen Herzinfarkt mehr behandeln, keine Magen-Darm-Blutung und keinen Schlaganfall. Das kann dazu führen, dass ein Patient vom Land im akuten Notfall weite Wege zurücklegen muss, bevor er versorgt werden kann. Das kann sich natürlich massiv auf die Gesundheitssituation auswirken. Zumal es sich auch auf die allgemeine gesundheitliche Versorgung auswirkt, wenn Krankenhäuser auf dem Land nur noch bessere Pflegeheime mit Notaufnahme sind – wenn ihnen die Notaufnahme nicht auch noch gestrichen wird.

Wieso?

Wenn Krankenhäuser auf dem Land auf so rudimentäre Leistungen zusammengeschrumpft werden, können sie keine Facharzt-Ausbildung mehr anbieten. Dann würde der Personalmangel in kleinen Häusern noch schlimmer. Ebenso wie die Versorgung mit Landärzten. Denn wenn diese in der Ausbildung an eine Klinik auf dem Land kommen, lassen sie sich danach dort oft später als Landärzte nieder. Wenn sie aber gar nicht erst in eine ländlich geprägte Region kommen, lassen sie sich auch nicht dort nieder – und der Ärztemangel auf dem Land wird noch größer. Auch geht seine Rechnung mit den Pflegern nicht auf.

Welche?

Lauterbach geht davon aus, dass, wenn Krankenhäuser auf dem Land schrumpfen, das freigesetzte Personal dann eins zu eins weiter in die Stadt in das dortige Klinikzentrum zieht und dort den Personalmangel mindert. Aber das ist weltfremd. Ein Krankenhaussterben auf dem Land wird zu dem gleichen Effekt führen, den wir auch schon bei der einrichtungsbezogenen Impfpflicht erlebt haben: Viele Pfleger werden ihren Beruf verlassen. Die sagen sich dann: Bevor ich derart weite Wege fahre oder mir eine teure Wohnung in der Stadt mieten muss, dann mache ich beruflich lieber etwas ganz anderes. So führt die Reform dazu, dass es noch weniger Pfleger gibt. Das ist eine Gesundheitspolitik von städtischen Eliten, die bewusst in Kauf nimmt, dass der ländliche Raum ausgesaugt wird.

Wie lässt sich denn die Versorgung in der Fläche erhalten? Dass gespart werden muss, räumen Sie schließlich auch ein.

Ja. Gespart werden muss. Aber mit Maß und Ziel. Wir brauchen eine ausgewogene Reform. Keine, die sich nur gegen gewisse Regionen wendet. Ich kann mir gut vorstellen, dass man elektive Eingriffe weiter bündelt. Also Eingriffe, die planbar sind. Wer zum Beispiel eine Hüftoperation bekommt, dem ist es durchaus zuzumuten, dass er dafür etwas weiterfahren muss als bisher. Zumal es besser ist, wenn Chirurgen diese Operationen durchführen, die so etwas fünf Mal am Tag statt fünf Mal im Monat machen. Aber weitere Wege kann ich einem Herzinfarkt-Patienten eben nicht zumuten. Ein Krankenhaus, das einem solchen Patienten nicht mehr helfen kann, ist kein Krankenhaus mehr, sondern nur noch ein Pflegeheim mit Notaufnahme. Alles andere suggeriert der Gesundheitsminister nur. Es ist ein Etikettenschwindel.

Also gut. Planbare Eingriffe zusammenlegen. Sehen Sie weitere Möglichkeiten zum Einsparen?

Eindeutig ja. Durch die Digitalisierung. Wenn wir sie ausbauen, können wir den Austausch von Kompetenzen weiter verstärken. Wir können Leitzentren schaffen, in denen wir Fachkräfte bündeln. Die können sich dann in Konferenzen in kleinere Häuser zuschalten und so ihre Expertise weitergeben. Das verbessert die Qualität und spart Kosten ein.

Dass die Digitalisierung in den Krankenhäusern so rückständig ist, ist die Schuld der Länder. Diese haben ihre Krankenhäuser massiv finanziell vernachlässigt und so für einen Investitionsstau gesorgt. Glauben Sie, dass die Länder bereit sind, diesen Investitionsstau jetzt aufzulösen? Anders gefragt: Sind die Länder bereit, ihre Krankenhäuser finanziell ordentlich auszustatten?

Es gab in den vergangenen Jahren ja bereits einen massiven Schub, um diesen Investitionsstau aufzuheben: das Krankenhauszukunftsgesetz unter Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU). Es war die größte Finanzierung im Gesundheitswesen seit vielen Jahren. Das Geld ist vor Ort auch sinnvoll verwendet worden. Eigentlich bräuchten wir nun ein Krankenhauszukunftsgesetz zwei – um den Investitionsstau weiter aufzulösen.

Der Gesundheitsminister hilft den Kliniken mit den Inflationshilfen …

… die nur zögerlich beantragt werden – und noch viel zögerlicher ausgezahlt werden. Ich frage mich, warum das so ist, da die Kliniken das Geld doch so offensichtlich brauchen. Mir drängt sich der Eindruck auf: Die Bundesmittel zur Milderung der Energiepreissteigerungen werden als Druckmittel genutzt. Lauterbach stellt die Krankenhäuser vor die Wahl: Entweder ihr macht bei meinen Reformen mit oder ihr geht pleite. Das ist für den Minister eine bequeme Art, das Angebot zu reduzieren.

Inwiefern?

Lauterbach muss sich nicht hinstellen und sagen, auf dem Land gibt es künftig weniger medizinische Versorgung. Aber er sorgt mit seiner Politik dafür, dass immer mehr Krankenhäuser in die Insolvenz gehen. Dann fehlt dieses Angebot so oder so – vor allem im ländlichen Raum. Und der Minister kann die Schuld von sich an die Kliniken weiterreichen.

Wird ein Gesundheitsminister, der die Kliniken retten will, ohne zusätzliches Steuergeld auskommen?

Vermutlich nein. Es muss weitere Ausgaben geben. Aber sie müssen nachhaltig sein. Etwa in die Digitalisierung, die Angebot verbessert und Kosten senkt.

Wie viel Geld wird das sein?

Das kommt auf den Reformentwurf an. Der ist momentan die große Unbekannte.

Wie realistisch ist, dass Lauterbach seine Pläne durchsetzen kann?

Der Minister hat auf eine reine Professorenrunde gesetzt. Viele Beteiligte hat er bisher nicht gehört: Die Krankenhausgesellschaft war ebenso wenig eingebunden wie die Krankenkassen, die Länder oder die Gesundheitspolitiker. Er argumentiert das nach dem Motto, wer den Sumpf austrocknen will, darf nicht auf die Frösche hören. Nur reden wir hier nicht von einem Sumpf, sondern von der gesundheitlichen Versorgung der Menschen. Die ist absolut wichtig. Die sicherzustellen, ist hochkomplex. Da sollte Lauterbach nicht wie ein Machtpolitiker agieren, dem es nur wichtig ist, so viel wie möglich von seinen Ideen durchzusetzen, sondern wie ein Fachpolitiker, der im Austausch der Interessen nach der bestmöglichen Lösung für alle sucht.

Sie haben die Gesundheitspolitiker angesprochen. Seit er die Corona-Maßnahmen willkürlich verlängert hat, ist Lauterbach beim Koalitionspartner FDP unten durch. Inwiefern braucht er aber den liberalen Finanzminister Christian Lindner für seine Vorhaben?

Karl Lauterbach braucht enorm viel Geld für die Reformen der Kranken- und Pflegekassen sowie der Krankenhäuser. Gleichzeitig kommt er auf teure, sinnfreie Ideen wie die Gesundheitskioske. Ich glaube nicht, dass die FDP bereit sein wird, ihm immer neues Geld zu gewähren, um seine Egotrips finanziert zu bekommen. Allerdings mache ich mir in Sachen Krankenhausversorgung auf dem Land mit Blick auf die FDP wenig Hoffnung.

Warum nicht?

Weil die Menschen auf dem Land nicht ihre Klientel sind. Die FDP wird ein wenig über das Krankenhaussterben auf dem Land klagen, aber dann wie so oft einknicken. Um die Versorgung auf dem Land zu garantieren, müssen wir ein breites Bündnis schmieden und für entsprechenden Druck sorgen.

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