Wenn man auf einer Party nicht willkommen ist, dann sollte man nicht hingehen. Wird einem die Tür vor der Nase zugeschlagen, sollte man sich nicht durch den Hintereingang schleichen. Doch über den Hintereingang werden sich die Verlierer der Berlinwahl in das Landesparlament und vielleicht sogar in den Senat schleichen.
Die Spitzenkandidaten der Regierungsparteien von Berlin haben noch schlechter abgeschnitten als die eigenen Parteien.
Franziska Giffey begann ihre politische Karriere einst in Neukölln. Heinz Buschkowsky war dort ihr politischer Ziehvater, sie folgte ihm als Bürgermeister nach. Buschkowsky, ein SPD-Urgestein, unterstützte im Wahlkampf Stefanie Bung von der CDU. Im Gespräch mit Tichys Einblick wollte Buschkowsky von Giffey nichts mehr wissen: Sie sei nicht die Politikerin, die einst bei ihm gelernt habe. Das Ergebnis ist vernichtend: Giffey errang im Wahlkreis Neukölln 6 (vorläufig) nur noch rund 30 Prozent der Stimmen. Besser als das Berlinweite Ergebnis von 18 Prozent aller Stimmen aber eine massive Verschlechterung z u 2021 als sie 41 Prozent der Erststimmen erringen konnte. Den Wahlkreis gewann Olaf Schenk von der CDU mit 45 Prozent der abgegebenen Erststimmen. Das bittere für die SPD: Der Wahlkreis Neukölln 3 ist das drittstärkste Erststimmenergebnis der SPD.
Vom Wahlkreisverlierer zur Bürgermeisterin?
Giffeys Parteifreund, der Fraktionsvorsitzende der SPD im Abgeordnetenhaus, Raed Saleh, erfuhr auch eine Abfuhr von den Wählern. Im Wahlkreis Spandau 2 konnte Saleh 26 Prozent der Erststimmen einsammeln. Das ist sogar der fünftbeste Wahlkreis für die SPD. In der Vergangenheit hätte das sicher gereicht. Doch nun geht der Wahlkreis an Ersin Nas (CDU), der 34 Prozent der Erststimmen erringen konnte. Damit setzt sich Nas auch gegen die Spitzenkandidatin der Grünen, Betina Jarasch durch. Sie konnte nur 10 Prozent der Stimmen einholen, könnte aber bald Berlin regieren. Besonders peinlich: Bettina Jarasch kam in ihrem Wahlkreis nur auf den 4. Platz – mit 9,8% hinter CDU, SPD und AFD. Das zeigt: Vor Ort kennen die Wähler ihre Pappenheimer….
Die Liste als Maßregelungsinstrument
Doch diese Politiker, die nicht einmal den eigenen Wahlkreis gewinnen können, müssen nicht um ihre Zukunft bangen. Die Spitzenkandidaten und Parteiprominenten werden trotzdem über die Landesliste in das Abgeordnetenhaus einziehen. Politiker die Wahlkreise verlieren, wird man so nicht einmal dann los, wenn sie verlieren. Man macht Wahlkampf in einem Wahlkreis und wenn das nicht klappt, sichert man sich über die Liste ab. Doch die Liste ist ein Druckmittel der Partei: Wer der Parteispitze missfällt, wird auf die hinteren Plätze verbannt und muss um den Einzug zittern. Die Machtbasis der Spitze wird mit den sicheren Plätzen vorne bedacht. Der einzelne Kandidat muss sich so keiner direkten Wahl durch den Bürger stellen, sondern mit den Funktionären gutstellen. Der Bürger muss dann die fernab entschiedene Liste schlucken – oder eben mit der Zweitstimme eine andere Partei wählen. Das passiert oft genug: Giffey erreicht in ihrem Bezirk in dieser Wahl 29 Prozent der Erststimmen – ihre SPD aber nur 25 Prozent.
Kein ausschließliches Problem von Linksgrün
Das Problem ist natürlich nicht nur bei Linksgrün zu verorten. Die Spitzenkandidatin der AfD in Berlin, Kerstin Brinker erreichte knapp 5 Prozent der Erststimmen in ihrem Wahlkreis in Steglitz Zehlendorf. Der Kreis ging mit mehr als 30 Prozent an eine Politikerin der CDU. Die FDP scheitert bei dieser Wahl an der Fünfprozenthürde, von einem Wahlkreissieg war sie weit entfernt. CDU Kandidat Kai Wegner immerhin konnte sein eigenes Direktmandat mit 47 Prozent der Erststimmen gewinnen.